Gewiß, Intellektuelle können innerhalb von wenigen Jahren manchmal die unterschiedlichsten Standpunkte einnehmen. Doch erfolgte das bei Alain de Benoist im Unterschied zu anderen stets unter dem Zeichen eines unbedingten Prinzips: dem Anti-Egalitarismus, der Ablehnung der Gleichheitslehre. Sie durchzieht alle seine doktrinären Positionen bis heute, und sie läßt seine Reflexionen derzeit auch als Ausdruck eines „rechten Denkens” erscheinen – sein rätselhaftes Wort wird dadurch erhellt. Ungleichheit als das Grundprinzip der menschlichen Natur, ja des Lebens schlechthin – das war gemeinhin akzeptierte Maxime all derer, die seit dem Jahre 1789 die Konsequenzen der Französischen Revolution zu revidieren gedachten: von den ersten Verteidigern des Ancien Régime bis hin zu Hitler und Mussolini. Doch ist de Benoist, obgleich väterlicherseits von aristokratischer Herkunft, weder ein monarchistischer Reaktionär noch ein Apologet des Faschismus. Sein Anti-Egalitarismus ist zutiefst ästhetischer Natur und durchzogen von einem philanthropischen Ethos: Seit nunmehr über vierzig Jahren widmet er sich in seinem publizistischen Schaffen dem Kampf für den Erhalt der Verschiedenheit der Welt und gegen die Reduktion des Mannigfaltigen auf das Eine. „Das Glück bei einer Reise”, sagte er einmal, „ist, noch verschiedene, verwurzelte Lebensgepflogenheiten zu beobachten; ist, die Völker in ihrem eigenen Rhythmus zu sehen: Völker, mit einer anderen Hautfarbe, mit einer anderen Kultur, mit einer anderen Mentalität – und zu wissen, daß sie stolz darauf sind. Ich glaube, daß das den Reichtum der Welt bildet und daß der Egalitarismus dabei ist, ihn zu töten”.
Daß Alain de Benoist zu einem antiegalitären Denker wurde, hat viel mit der gesellschaftlichen Situation zu tun, in die er hineinwuchs: 1943 in Tours geboren, ist er ein Kind der Trentes Glorieuses – jener „dreißig glorreichen” Jahre forcierter Modernisierung, in denen seit 1945 aus dem Bauernland Frankreich eine Industrienation werden sollte. Die Konsequenzen dieses Strukturwandels waren für das Land enorm: In den Trentes Glorieuses geriet das gesamte soziale und kulturelle Gefüge Frankreichs in Bewegung, in ihnen bildeten sich in den Städten völlig neue Lebensformen heraus, es verschwanden viele bäuerliche Traditionen; die moderne Massenkultur entstand und das einst stolze Bürgertum ging in einer „neuen Mitte” auf. Es war das Zeitalter der „Nivellierung”, das für Frankreich hereinbrach – bereits Nietzsche hatte in ihm die Unmöglichkeit einer wahren Kultur erkannt. Alain de Benoist, mütterlicherseits aus einer alten Bauernfamilie stammend, setzt sich schon früh gedanklich dazu in Opposition: Als Kind las er nicht Alexandre Dumas oder Jules Verne, wie viele seiner Altersgenossen, sondern die Märchen der Gebrüder Grimm und die Ilias des Homer. Es war die Vielfalt, die ihn magisch anzog, das spirituelle Universum der Mythen und Legenden – sein großes Lebensthema klang hier bereits an. Später sollte er es bei der Lektüre von Charles Maurras wiederfinden, dem Theoretiker der Monarchie, der gegen den modernen Egalitarismus die polytheistische Formenwelt des griechischen Heidentums setzte. Und noch viel später, als jungem Mann, begegnete es ihm bei Louis Rougier und Georges Dumézil, beides Gelehrte, die auch in ihren Schriften die kulturelle Mannigfaltigkeit des antiken Paganismus rühmten. Aber vor allem ist es Friedrich Nietzsche, der sein Denken bis heute prägt: Seit Alain de Benoist im Alter von 13 Jahren die Genealogie der Moral des deutschen Philosophen gelesen hatte, begleitete ihn dessen Idee, daß es das Christentum gewesen war, das den Egalitarismus über die Welt gebracht hatte.
Mit diesem geistigen Gepäck, das angesichts der gesellschaftlichen Erschütterungen Kommentar und Bewältigungsstrategie zugleich bedeutete, studierte Alain de Benoist ab 1960 Recht, Philosophie und Religionswissenschaften an der Pariser Sorbonne. Als Student engagierte er sich auf der Seite der politischen Rechten für Algérie française: in der Fédération des Étudiants Nationalistes, der Vereinigung nationalistischer Studenten. Aber es war keine koloniale Attitüde, die ihn dazu bewog, sondern jene Bauernmentalität, die seine Mutter in der Familie wachhielt und die mahnt, daß Territorium nicht aufzugeben ist. Gepaart mit Nietzsches Spott über den „flachen Utilitarismus” der modernen Zeit erschien ihm de Gaulles Politik absurd, der für ein modernes Frankreich Algerien in die Unabhängigkeit entließ. In dieser Zeit, in der letzten Phase des Algerienkrieges, entstanden seine ersten philosophischen Texte, so der Essay Pour une éthique nationaliste – „Für eine nationalistische Ethik”. Darin wird die tragische Spannung zwischen Apollon und Dionysos, die der deutsche Philosoph in der griechischen Tragödie erkannte und die er als Voraussetzung einer wirklichen Kultur begriff, dem kaum Zwanzigjährigen zum Leitmotiv der Algérie-française-Partisanen. Sie widerspricht dem Egalitarismus, da sie an Kampf und Ungleichheit appelliert, sie ist antiutilitaristisch – und dadurch ästhetisch. Diese tragisch-heroische Weltsicht bestimmte von nun an sein intellektuelles Schaffen, sie inspirierte später seine generelle Kritik an der modernen Kultur und im besonderen die des Liberalismus – jener Ideenformation, in der die Aufklärer des 18. Jahrhunderts den Gedanken der Freiheit mit dem der Gleichheit vermengten. Und: Sie gibt ihn als einen Repräsentanten der „Konservativen Revolution” zu erkennen – bis heute fühlt sich Alain de Benoist dieser Strömung am meisten verpflichtet.
Nach der erfolglosen Algérie-française-Kampagne beteiligte er sich bis 1967 am „national-europäischen” Aufbruch der französischen Rechten, er arbeitete als Journalist bei ihren Zeitungen und unterstützte ihre Wahlkampagnen. Doch blieb er dort auch immer eine Ausnahmeerscheinung: Als ein an philosophischen Fragen interessierter junger Mann verschlang er unermüdlich die verschiedensten Lektüren, er schrieb in einem fort und er erstaunte durch seine subtilen Gedanken – selbst in rassebiologischen Argumentationen redete er der kulturellen Vielfalt das Wort. Im Januar 1968 gründete er zusammen mit anderen ehemaligen Algérie-française-Aktivisten den Groupement de recherche et d’ études pour la civilisation européenne (GRECE) – die „Studiengruppe für die europäische Zivilisation”. Es war der erste Diskussionsklub der politischen Rechten in Frankreich nach 1945 – und es war der Versuch, ihr nach den Niederlagen, die sie seit dem Ende des Algerienkrieges erlitt, überhaupt wieder politischen Einfluß zu verschaffen. Der GRECE sollte jedoch keine vorrangig politische Bewegung sein, vielmehr versuchte er durch Zeitschriften und Bildungsprojekte die linke Deutungshoheit in der Gesellschaft zu brechen. „Metapolitik”, so heißt seit Joseph de Maistre dieses Konzept – und auch heute noch fühlen sich ihm die GRECEisten verbunden. Im Februar 1968 erschien die erste Nummer der Theoriezeitschrift Nouvelle École, vier Jahre später folgte das eher aktuell und literarisch orientierte Magazin Eléments – beide Organe bereichern noch heute die französische Presselandschaft durch unkonventionelle Themen und Sichtweisen. Alain de Benoist wurde rasch zum Protagonisten dieser „neuen Kultur” der Rechten. Kraft seiner intellektuellen Ausstrahlung vermochte er auch angesehene Wissenschaftler und Schriftsteller für sie zu gewinnen: Bereits zu Beginn der 1970er Jahre verzeichnet die Liste des Patronatskomitees von Nouvelle École illustre Namen: unter anderen den Nobelpreisträger Konrad Lorenz, die Mitglieder der Académie Française Thierry Maulnier und Pierre Gaxotte, oder auch Jean Cau, den ehemaligen Sekretär von Jean-Paul Sartre.
Vor allem aber setzte Alain de Benoist seine eigene Ideenarbeit fort. Intellektuell gereift, erkannte er tiefere Zusammenhänge und zog größere Analogien: Antichristliche Vorbehalte und europäische Begeisterung fanden ihren Kontrapunkt in Georges Dumézils Überlegungen zur trifunktionalen Ideologie der Indoeuropäer, ebenso bezog er Carl Schmitts Theorie des Politischen darauf und entwickelte seine eigene Kritik des Liberalismus, die weit über Schmitt hinausgeht. Mit den kulturrelativistischen Ansätzen von Claude Lévi-Strauss sowie den Theorien der philosophischen Anthropologie überwand er seine rassebiologischen Argumentationen und fand zum „differentialistischen Antirassismus” – eine logische Konsequenz in seiner intellektuellen Entwicklung, da ein solcher Standpunkt die Verschiedenheit nicht verneint, sondern von ihr ausgeht. Überhaupt entwickelte er während der 1970er Jahre ein kohärentes Weltbild – trotz seines Hangs zu enzyklopädischen Synthesen, die ihn auch als typisch französischen Denker erscheinen lassen. Kommunismus, Sozialismus, Liberalismus – all das, so de Benoist, seien nur „Spielarten” der „aktuellen Subversion”. Die gesamte Moderne begriff er als Verfallsepoche – samt ihrem Ökonomismus und der Gleichgültigkeit gegenüber gewachsenen Werten, samt ihrem universalen Anspruch, der schon totalitären Charakter habe und samt ihrer Wurzel: dem Christentum und seiner Idee von der Gleichheit aller Menschen vor Gott. Es war eine philantike Doktrin, für die Alain de Benoist warb, ein geistiges „Zurück zu den Griechen” – in ihrer polytheistischen Welt erkannte er eine Alternative für Gegenwart und Zukunft.
Unterdessen kam das „metapolitische” Projekt nicht nur in den eigenen Zeitschriften voran: Seit 1970 schrieben Alain de Benoist und einige seiner Freunde in bürgerlichen Blättern wie Spectacle du monde und Valeurs actuelles; 1977 wurde de Benoist auch Redakteur beim Magazine des traditionsreichen Figaro. Noch etwas erhöhte den Bekanntheitsgrad der neuen Kultur: 1977 erhielt Alain de Benoist für sein Buch Vu de droite den Grand Prix de l’Essai der Académie française. Der Linken, nach wie vor die Deutungsmacht in der französischen Gesellschaft, blieb das nicht verborgen. Seit Solschenizyns Archipel Gulag war sie in ideologischer Verwirrung begriffen, schon lange regierte die republikanische Rechte, und 1981 standen Präsidentschaftswahlen an. Im Sommer 1979 kam es zu einer Pressekampagne gegen den GRECE und Alain de Benoist. Als „Naziwerkstatt” titulierte man den Intellektuellenklub, als faschistisch die Ideen seiner Protagonisten. Das bürgerliche Lager versuchte sich abzugrenzen und schlug damit ein neues Kapitel der Ideengeschichte auf: Man habe, so versicherten seine Journalisten, nichts gemein mit dem GRECE und Alain de Benoist, diese seien eine gänzlich neue Kraft auf der politischen Rechten – eine „Nouvelle Droi-te”, eine „Neue Rechte”.
Fortan war dieser Begriff das Markenzeichen der Strömung. Aber obwohl die Affäre „Nouvelle Droite” auch internationales Aufsehen erregte, schwand ihre Breitenwirkung kurz darauf, und sie wurde auf ein intellektuelles Milieu beschränkt. Durch das moralische Verdikt der Presse gerieten Spectacle du monde, Valeurs actuelles und vor allem Figaro-Magazine unter Druck. Alain de Benoist und seine Freunde mußten die Redaktionen verlassen, und die „neue Kultur” verlor somit ihre wichtigsten Medien. Trotzdem ging de Benoist weiter auf dem Weg des nonkonformistischen Denkers. Nach wie vor überschritt er unbeirrt Denkverbote, wofür er oft auch im eigenen Lager beargwöhnt wurde: Während der 1980er Jahre formulierte er seine Kritik an den Menschenrechten, die auch viele marxistische Intellektuelle im Munde führten: Als liberale Ideologie mit universalem Anspruch legitimierten sie für ihn nur das ökonomische System des Westens und seine weltweite Implementierung – und damit die Zerstörung der verschiedenen Kulturen. Für ihn waren sie moralische Phrase und politisches Instrument, „die letzte Verwandlung des egalitären Diskurses”. Im „Recht der Völker” sah Alain de Benoist dazu eine Alternative, in jener Idee, die in den antikolonialen und nationalen Freiheitsbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg entstand – der einstige Unterstützer von Algérie française wandte sich so gegen neue Formen des Kolonialismus, ja gegen Kolonialismus überhaupt. Aber auch Europa sollte sich befreien von seinen universalen, egalitären und liberalen Glaubenssätzen und von seinen Vormündern beiderseits des Eisernen Vorhangs, um einen „Dritten Weg” zu suchen, jenseits von Kapitalismus und Sozialismus. Wie die einstigen Kolonien sollte es seine Identiät wiederentdecken: Europa und Dritte Welt – nach de Benoist kämpften sie denselben Kampf.
Ist aus Alain de Benoist ein Linker geworden? In der Tat dachten das viele Beobachter seit den 1980er Jahren, denn der „Dritte-Welt”-Diskurs und die Konsumkritik waren vornehmlich Themen linker Ökologen. Auch sonst schien de Benoist mit dem gegnerischen Lager zu sympathisieren: 1988 gründete er seine eigene Zeitschrift Krisis, in die er linke Intellektuelle zu Publikationen einlud, und immer lauter protestierte er gegen die xenophoben Parolen der extremen Rechten. Er hatte schon lange versucht, die Spaltung zwischen links und rechts zu überwinden, jene Unterscheidung, die seit der politischen Moderne bestand und die er aufheben wollte, weil sie anachronistisch geworden war – nicht erst der Zusammenbruch des Kommunismus bestätigte ihn darin. Ab jetzt verschwanden in seinen Veröffentlichungen herkömmliche ideologische Differenzierungen – allerdings blieb der Ausgangspunkt antiegalitär, auch wenn die Inhalte meist die waren, die vor allem die Linke auf die politische Tagesordnung setzte. In der Reichsidee, einem rechten Topos schlechthin, verwirklichte sich für ihn der multikulturelle Traum: durch pluralistische Gesetzesformen in einer gesellschaftlichen Struktur, die verschiedene Kulturen bestärkt und integriert, ohne sie auf eine Identität zu verpflichten – das war ein Affront für die republikanischen Gralshüter juristischer Egalität und für die traditionellen Nationalisten. Aber genauso verwirrte er mit seinen Reflexionen zur Ökologie, auch das eine Debatte, die sonst nur französische Linke führten: Der egalitäre Liberalismus, so erklärte er in seinem vorerst letzten Buch, sei per se der Feind der Natur. Als säkularisierte Form des Christentums vollziehe er dessen Auferstehungssymbolik: durch seine monetäre Vernunft und den Fortschrittsglauben – die eigentlichen Motoren der Marktgesellschaft. Ein „negatives Wachstum” sei daher die einzige Chance, den Raubbau an natürlichen Ressourcen zu beenden und eine Lebensweise, die wie in der Antike die Wirtschaft in den Dienst des Menschen stelle.
Das Christentum und die Moderne – für de Benoist sind deren ideelle Grundlagen ähnlich. Ihre Derivate, wie den Egalitarismus oder die Unterscheidung zwischen links und rechts; gut und böse zugunsten eines alternativen Bildes von Mensch und Gesellschaft intellektuell zu überwinden – das ist bis heute sein Ziel. Er hat es immer auf besondere Weise verfolgt: Ungeachtet aller Anfeindungen war er stets kompromißlos, neugierig, streitbar und bereit, seine Positionen zu überdenken und – wenn es sein mußte – auch aufzugeben. „Vom moralischen Standpunkt betrachtet”, sagte er einmal, „liebe ich vor allem den Sinn für Nuancen, die Hingabe des Selbst und die Großzügigkeit. Ich verabscheue nichts so sehr wie geistige Enge, das Ressentiment, das Streben nach dem eigenen Interesse. Die Armut, gemessen an den Nöten unserer Epoche, ist ein großer Reichtum, sagte Epikur. Ich glaube – auf jeden Fall hoffe ich das – immer einen freien Geist, eine tragische Seele und ein rebellisches Herz bewahrt zu haben”. Alain de Benoist, der „linke Mann von rechts”, begeht am 11. Dezember seinen 65. Geburtstag.