Man spürt, er weiß genau um Fährnisse und Widrigkeiten der Künstlerexistenz. Dadurch entsteht eine Innenschau, die so taktvoll gehalten ist, daß sie nichts Voyeuristisches bekommt, obwohl sie gerade jenen Dichter zeigt, der sich vor den Augen der Welt verbarg: den sentimentalen, bisweilen liederlichen (»ein träumerischer Faulpelz«), narzißtischen, manchmal depressiven. »Kein steifer und kalter Bürger fertigte dieses Werk, sondern ein unerfüllter, entwurzelter und verletzlicher Mensch rang es sich ab.« Vor allem zeigt es einen Romancier, der zeitlebens seiner Geschlechtlichkeit zu entfliehen suchte. Das Leiden an der sexuellen Indifferenz zieht sich als roter Faden durch das Buch. Und daraus resultierend ein weiterer Aspekt, der die Tragik, aber auch die enorme Schöpferkraft Thomas Manns erklärt, nämlich der selbstauferlegte Imperativ: Du darfst nicht lieben! Kunst als Kompensation, aber mit dem entscheidenden Dreh versehen, der aus der Not eine Tugend macht: »ein Mensch, der empfindet, dichtet schlecht.« Also – eiserne Disziplin bis zur Rücksichtslosigkeit. »Er kennt den Preis. Man kann nicht Künstler und Bürger zugleich sein. Man bezahlt Künstlerschaft mit dem Verzicht auf das Leben.«
Kurzkes einfühlsame Beschreibung verdeutlicht am Beispiel Manns, wie und warum Kunst und Literatur entstehen, welche Bedingungen, welche Zwänge und Beschädigungen nötig sind, damit sie über ihren bloßen Unterhaltungswert etwas essentiell Menschliches und Kulturelles enthält. Und welch enormer Druck zumeist auf einem solchen Dasein lastet: 1910 nahm sich eine Schwester das Leben, 1927 die andere, 1949 der Sohn Klaus. Tochter Erika verfiel den Drogen, Sohn Michael starb in der Silvesternacht 1976/77 an einer »Mischung aus Alkohol und Barbituraten.« Auch der berühmte Vater blieb trotz großbürgerlichen »Glücks« innerlich einsam, zerrissen, heimatlos und in ständiger Anspannung gefangen zwischen Trieb und Vernunft. – Ja, gewiß: »Es war anstrengend, Thomas Mann zu sein.«
(Hermann Kurzke: Thomas Mann. Ein Porträt für seine Leser München: C.H. Beck 2009. 250 S., 16.90 €)