Schöne Literatur

pdf der Druckfassung aus Sezession 31 / August 2009

Das kurze Leben des Lyrikers Georg Trakl: Das ist ein Erzähl-...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Stoff, der ein­fach irgend­wann ergrif­fen und in Form gebracht wer­den muß­te. Tra­kl – der früh­rei­fe Salz­bur­ger Deca­dent, der sich mit sei­ner Schwes­ter Gre­te in sei­ne Dach­kam­mer zurück­zog, um bei Wein und Tabak an der Welt zu lei­den; der intel­li­gen­te Schul­bub, der sich mit einem Thea­ter­stück her­vor­wag­te, der Gequäl­te, der alles Epi­go­na­le abstreif­te und unver­wech­sel­bar dich­te­te. Stoff genug also, jedoch zu groß für Mar­tin Bey­er, der nur das Bil­ligs­te bemüht. Sei­nen Reiz soll der Roman aus dem Spiel mit dem Inzest-Ver­dacht gegen Tra­kl und sei­ne Schwes­ter ziehen.

Die­se Gre­te mag ein neu­ro­ti­sches Luder gewe­sen sein, aber selbst dort, wo sie einen jun­gen Mann, der viel­leicht ihr Gat­te wer­den könn­te, regel­recht ver­ge­wal­tigt, erzählt Bey­er ganz ohne Phan­ta­sie und Talent. Sei­ne Dar­stel­lung bleibt über­all Ober­flä­chen­ge­krat­ze, wo – um ein gelun­ge­nes Gegen­bei­spiel zu nen­nen – Peter Härt­lings Roma­ne über Fried­rich Höl­der­lin oder Franz Schu­mann in die Tie­fe gehen. Grei­fen wir das Wich­tigs­te auf, die Ent­ste­hung der Tra­kl urei­ge­nen Form des lyri­schen Spre­chens. An kei­ner Stel­le des Romans zeigt Bey­er, wie aus dem Spre­chen-Müs­sen die spe­zi­fi­sche Ver­dich­tung erfolgt, die her­bei­ge­lit­te­ne Art der dich­ten­den Äuße­rung, den tra­klschen Zei­len­stil etwa. Bey­er ist in die Dich­tung Tra­kls nicht ein­ge­stimmt, er zieht aus der Sprech­art Tra­kls kei­ne Rück­schlüs­se auf des­sen Wahrnehmungsweise.

Viel­mehr erzählt er kli­schee­haftat­mo­sphä­risch die bekann­ten Anek­do­ten nach und läßt das Figu­ren­ka­bi­nett vor­bei­mar­schie­ren: von Lud­wig von Fik­ker über Arnold Schön­berg bis zu Franz Füh­manns Vater (der Tra­kl an der gali­zi­schen Front 1914 noch traf) sind sie alle da, aber alle sehr flach, sehr anek­do­tisch halt. Dabei könn­te doch tat­säch­lich so etwas wie der Vor-Welt­kriegs­über­druß des alten Euro­pa auf­schei­nen, und etwas von der gro­ßen Lust auf die ulti­ma­ti­ve Ent­la­dung, die Tra­kl selbst dann von ihrer grau­en­haf­ten Sei­te mit­er­leb­te und der er ganz und gar nicht gewach­sen war: in Gali­zi­en, in der Ver­wen­dung als eine Art Feld­apo­the­ker, vor allem aber als Hand­lan­ger in einem front­na­hen Laza­rett bei Gro­dek ein­ge­setzt. Wie­der bemüht Bey­er Bil­der aus den Ver­sen Tra­kls, ohne jedoch den Weg die­ser Bil­der in die Dich­tung zu ver­fol­gen. Man fragt sich also stän­dig: War­um schreibt die­ser jun­ge Mann einen Roman über einen jun­gen Mann, der nicht anders konn­te als zu dich­ten, wenn man beim Roman­cier selbst von irgend­ei­ner Dring­lich­keit nichts ver­spürt? Abge­kürzt: Da muß noch­mal ein ande­rer ran, an die­sen Stoff!’

(Mar­tin Bey­er: Alle Was­ser lau­fen ins Meer. Roman, Stutt­gart: Klett-Cotta
2009. 240 S., 18.90 €)

Ein gefüt­ter­ter Umschlag, dar­in ein Buch von einem jener Ver­la­ge, die alles dru­cken, wenn der Autor selbst bezahlt. Im Begleit­brief steht: »Viel­leicht inter­es­siert Sie die­ser Roman, der Autor muß Leser Ihrer Zeit­schrift sein, denn er läßt die Haupt­per­son, den Mör­der, die Sezes­si­on als sei­ne Lek­tü­re erwäh­nen.« Die durch­aus span­nend geschrie­be­ne Geschich­te ist rasch gele­sen: Ein jun­ger Mann sitzt in Unter­su­chungs­haft, er hat eine fünf­köp­fi­ge tür­ki­sche Fami­lie umge­bracht. An sie­ben Tagen erzählt er dem Gefäng­nis­geist­li­chen nun sei­ne Lebens­ge­schich­te und besteht dar­auf, daß ein Ton­band mit­läuft. Zwi­schen die Abschrif­ten die­ser Gesprä­che sind kur­ze theo­re­ti­sche Abhand­lun­gen (zur Kriegs­schuld­fra­ge etwa, zur Ver­trei­bung, zum Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus) gescho­ben, die der Täter abends in sei­ner Zel­le nie­der­schreibt. Der Autor hat die­sen dop­pel­ten Kunst­griff mit Bedacht gewählt: Bauch­schmer­zen ist ein Roman, der viel erklä­ren möch­te. Sol­che Mit­tei­lungs­pro­sa wirkt auf­ge­setzt, wenn sie bloß erzählt wird. Die Form des Gesprächs ermög­licht hin­ge­gen die Ich-Form und zugleich die Distanz davon – hier durch den geist­li­chen Zuhö­rer, der stell­ver­tre­tend für den Leser sei­ne Abscheu kund­tut. Wor­um geht es? Es geht um die Gene­se des Täters aus der Erfah­rung des All­tags und der theo­re­ti­schen Auf­rüs­tung durch Leu­te wie uns: Da ist ein Jugend­li­cher in Frank­furt, kein Rauf­bold, kein Angst­ha­se, recht intel­li­gent. Die Eltern sind Pazi­fis­ten, gefühls­links. Ganz anders ist’s mit Akin, dem tür­ki­schen Freund, der das Kick­bo­xen lernt und an Deut­schen aus­pro­biert: »Akin drück­te ihn an die Haus­wand. Jetzt paß auf, sag­te er zu mir. Ich zeig dir an ihm ein paar Kicks.« So geht das wei­ter: Deut­sche Mäd­chen sind Schlam­pen und wer­den als sol­che gede­mü­tigt; deut­sche Jungs sind Opfer und sehen sich durch die Leh­re von der his­to­ri­schen Schuld und die mul­ti­kul­tu­rel­le Ideo­lo­gie ihrer Mus­keln beraubt, die sie für den Wider­stand gegen die Rea­li­tät doch drin­gend bräuch­ten. Der spä­te­re Mör­der schiebt die Kulis­sen bei­sei­te, liest auf Emp­feh­lung eines Anti­quars die Lite­ra­tur der KR und ent­deckt die Sezes­si­on. Er spricht vom »Vor­bür­ger­krieg« und dann schrei­tet er zur Tat und mor­det bru­tal – das Patho­lo­gi­sche tritt deut­lich her­vor. Man mag also herz­lich lachen bei der Vor­stel­lung, die Lek­tü­re der Sezes­si­on könn­te jeman­den zum Psy­cho­pa­then machen. Aber man soll­te nie zu früh lachen: Viel­leicht ver­knüpft die­ser Roman die kran­ke Tat mit unse­rer Wirk­lich­keits­be­schrei­bung, weil sich nur so der Deckel wei­ter­hin erfolg­reich auf den Topf pres­sen läßt. Denn eigent­lich muß man unse­ren Ana­ly­sen zustimmen.

Wolf­gang Gott­schalk: Bauch­schmer­zen. Roman, Pro Busi­ness: Ber­lin: Pro Busi­ness 2009. 208 Sei­ten, 9.90 €

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