Wenn die eigene Mutter Opfer von Vergewaltigungen oder der sieht van Creveld vor allem Vater Mordzeuge waren, heißt das nicht, daß sich dies bei deren Kindern als manifestes psychisches Leiden niederschlagen muß. Bode ist weder Ärztin noch Wissenschaftlerin, sie widmet sich den beklemmenden Schatten, die auf den Nachgeborenen liegen. Sie nennt keine Prozentzahlen – man mag es für konstruiert halten, daß die hier Porträtierten häufig an Eßstörungen, Kinderlosigkeit und diversen »Beziehungsstörungen« laborieren. Jedenfalls scheint es, daß diese Teilgeneration, anders als die 68er, eben nicht unter den verschwiegenen Untaten ihrer Väter und Mütter leidet (wie auch, wo die Eltern selbst noch Schulkinder waren?), sondern unter unausgesprochenem Leid und Entbehrungen einer heimatlos gewordenen Nachkriegsjugend. Es fehle nicht an Fakten und Daten über das Regime und seine Auswirkungen, sondern an einem tiefergehenden Verständnis für die Auswirkungen auf die eigene Identität. Ausführlich kommen Männer und Frauen zu Wort, die sich mit »verbohrten Sichtweisen«, einem extremen Sicherheitsbedürfnis und der Unfähigkeit, Dinge genießen zu können ihrer zwischen 1930 und 1945 geborenen Eltern konfrontiert sehen. Bode stellt sich diesmal auf die Seite der Enkelgeneration; manchmal einseitig. Einmal beklagt sie es als »Loyalitätsfalle «, daß eine Gesprächspartnerin ihren Beitrag »aus Respekt und Liebe zu meiner alternden Mutter« zurückgezogen hatte. Andererseits stellt sie das Desinteresse an den Erfahrungen der eigenen Eltern heraus: »Das übliche Schweigen in deutschen Familien steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu der Mühelosigkeit, mit der Hintergrundinformationen im Internet erworben werden können. Es reicht das Eintippen der Stichworte ›Breslau‹ und ›1945‹.«
(Sabine Bode: Kriegsenkel. Die Erben der vergessenen Generation
Stuttgart: Klett-Cotta 2009. 304 S., 21.90 €)