Seit das Massenpublikum weggefallen ist, ist ein verschworener Kern an Lesern übriggeblieben, der das Fernausche Werk wie einen Schatz hütet und nach jedem Schnipsel giert, der den Stempel seines Lieblingsautors trägt. Mit dem zeitlichen Abstand zeigt sich, daß Fernaus Bücher trotz ihrer einst immensen Popularität vielleicht immer schon nur wenigen Lesern gehört haben. Fernau schrieb außerdem für ein klassisch gebildetes Publikum, das es in dieser Form nicht mehr gibt. Geblieben sind allerdings die Wadenbeißer. Wer heute den Namen Fernaus in die Netzsuchmaschine »Google« eingibt, bekommt an der Spitze einen konkurrenzlos miesen Beitrag des Bayerischen Rundfunks aus dem Jahre 2001 aufgelistet, in dem der Autor als seichter Quatschkopf abgewertet wird. Eine seriöse literarische Würdigung Fernaus steht indessen immer noch aus.
Armin Mohler war einer der ersten, die tiefer hinter die Autorenmasken des »Phänomens Fernau« blickten und den klassisch konservativen Pessimismus unter der »Narrenkappe« erkannten. Hinter der vorgeblich ironischen Distanz von Fernaus Geschichtsdarstellungen machten sich ein leidenschaftliches Engagement und eine unbeugsame Persönlichkeit bemerkbar. Hier zeigte sich jemand unbeeindruckt von den Vorgaben des Zeitgeistes und leistete sich eine Ketzerei nach der anderen gegen die bundesrepublikanischen Denk- und Sprachregelungen. Ein Autor, der sein Ich so unmittelbar durch seine Bücher sprechen ließ, muß auch als Mensch interessieren. »In unserem Zeitalter der Ersatzreligionen ist dem Schriftsteller zu seiner Funktion des Bücherschreibens noch eine andere aufgebürdet: er wird – ob er will oder nicht – außerdem noch zum Seelsorger, zum Seelenführer«, schrieb Mohler. Daß Fernaus Publikum in seinen Büchern mehr suchte als bloße Unterhaltung, zeigen die ausgewählten Briefwechsel mit Lesern, die unter dem Titel In dem Hause auf dem Berge von der Witwe des Autors herausgegeben wurden. Darin zeigt sich allerdings nicht nur seine einfühlsame Anteilnahme, sondern auch sein entschiedener Wille zur Abgrenzung und Unabhängigkeit. Derselbe Autor, der oft in seinen Büchern sein Innerstes offenlegte, schirmte zugleich das unmittelbar Biographische und Private ab. Vieles an seinem Leben blieb undurchsichtig. Besonders die Jahrzehnte vor dem schriftstellerischen Ruhm, die Fernau später als »verlorene Jahre« bezeichnete, lagen lange im dunkeln. Trockene Fakten waren bekannt. Aber wie hatte er die 42 Jahre seines Lebens verbracht, ehe er mit Deutschland, Deutschland über alles … schlagartig bekannt wurde? Was hatte es tatsächlich mit seiner Tätigkeit als Kriegsberichterstatter der Waffen-SS und »Durchhalte«-Propagandist auf sich, die er niemals bereute? Wie hatten seine Erlebnisse in der Zwischenkriegszeit, im Dritten Reich und im Weltkrieg sein Geschichtsbild geformt? Fragen, die sich nun mit dem bei Antaios erschienenen Leseund Bilderbuch zu Leben und Werk des Autors annähernd beantworten lassen. Die Herausgeber Götz Kubitschek und Erik Lehnert hatten dabei intimen Zugriff auf Fernaus Nachlaß. In dem reichillustrierten Band breiten sie ihre Fundstücke mit ansteckender Entdeckerlust aus. Neben vielen privaten Fotos, die bis in die Kindheit Fernaus zurückreichen, finden sich Abbildungen von Zeichnungen und Gemälden, Buchumschlägen, persönlichen Dokumenten, frühen Zeitungsartikeln und aufschlußreichen Trouvaillen wie einer Liste von Kinofilmen, die Fernau im Berlin des Jahres 1930 sah. Darunter ist auch manches Skurrile wie handschriftliche Entwürfe von Nonsens-Werbe-Gedichten für »Dr. Oetker«-Produkte oder Verweise auf pseudonym verfaßte Trivialromane und heute gnädig vergessene Softsex-Filmchen, die nach Vorlagen Fernaus entstanden. Keine Fragen werden mehr offenbleiben über die »kontroversen « Jahre des Autors. Sowohl seine Tätigkeit als Kriegsberichterstatter, dessen Texte unter anderem im Schwarzen Korps und im Völkischen Beobachter erschienen sind, als auch die von Peter Wapnewski in denunziatorischer Absicht losgetretene Kampagne werden ausführlich dokumentiert und kontextualisiert. Diese Monographie ist nicht nur Leitfaden und unverzichtbares Kompendium für alte, neue und zukünftige Anhänger, sondern auch das fesselnde Dokument eines Lebens, in dem sich das Private mit dem Schicksal der Nation zu einem komplexen Gesamtbild jenseits aller Bewältigungsklischees verschränkt. Auf das vom Verlag für diesen Herbst angekündigte, bis dato unveröffentlichte Fragment Tausend Tage, in dem Fernau die erste Zeit seines Einsatzes als Kriegsberichterstatter protokolliert, ist man gespannt.
(Götz Kubitschek und Erik Lehnert (Hrsg.): Joachim Fernau. Leben und Werk in Texten und Bildern, Schnellroda: Edition Antaios 2009. 141 S., 24 €)