Phantastisches

pdf der Druckfassung aus Sezession 32 / Oktober 2009

Von Thomas Mann, der Radiostimme aus der Emigration, stammt ein...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

fol­gen­rei­ches Ver­dikt: »Es mag Aber­glau­be sein, aber in mei­nen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutsch­land über­haupt gedruckt wer­den konn­ten, weni­ger als wert­los und nicht gut in die Hand zu nehmen.

Ein Geruch aus Blut und Schan­de haf­tet ihnen an. Sie soll­ten alle ein­ge­stampft wer­den.« Es ist ein gro­ßes Glück, daß Mann selbst von Aber­glau­be spricht – er folg­te ihm im Moment sei­ner Äuße­rung wohl und rückt sich damit für uns Spät­ge­bo­re­ne selbst in jenen Bereich, in dem die phan­tas­ti­sche Lite­ra­tur ent­ste­hen kann: ins leicht Ver­scho­be­ne, Getrie­be­ne, Unwirk­li­che. Und ver­scho­ben ist Manns Ver­dikt doch ohne Zwei­fel: Daß er Ernst Jün­gers Auf den Mar­mor­klip­pen (1939), Horst Lan­ges Schwar­ze Wei­de (1937), Ernst Wie­cherts Das ein­fa­che Leben (1939) oder gar Wer­ner Ber­gen­gruens Der Groß­ty­rann und das Gericht (eben­falls 1935) ein­ge­stampft sehen woll­te, konn­te ihm nur ein Dämon ein­ge­bla­sen haben. Aber weil im August 1945 die Deut­schen noch wuß­ten, wie man eine gro­ße Klap­pe igno­riert, nah­men sie Manns Emp­feh­lung nicht ernst. Und so kann heu­te der Göt­tin­ger Lite­ra­tur­pro­fes­sor und Pfitz­ner-Exper­te Rein A. Zon­der­geld sozu­sa­gen an Mann vor­bei aus dem Fun­dus der wäh­rend der zwölf teuf­li­schen Jah­re in Deutsch­land ent­stan­de­nen und ver­öf­fent­lich­ten Lite­ra­tur jene Stü­cke ver­sam­meln, die ins Phan­tas­ti­sche ten­die­ren. Das Ergeb­nis ist ein Band mit Tex­ten von zwan­zig Schrift­stel­lern, zweck­mä­ßig ein­ge­ord­net mit­tels bio­gra­phi­scher Anga­ben zu den Autoren und eines Nach­worts des Her­aus­ge­bers. Dar­in deu­tet Zon­der­geld nur an, was in man­cher ger­ma­nis­ti­scher Arbeit aus­ge­walzt wird: daß näm­lich in unfrei­er Zeit die Leser auf der Pirsch nach Dop­pel­bö­dig­kei­ten sind, mit denen ihnen der Autor sei­ne Sicht auf die Umstän­de ver­schlüs­selt über­mit­teln möch­te. Zon­der­geld ist gegen sol­che Stra­pa­zie­run­gen. Er sieht den »magi­schen Rea­lis­mus« aus der Male­rei der zwan­zi­ger Jah­re spä­ter auch in der Lite­ra­tur wirk­sam, jene »all­mäh­li­che Ver­fär­bung der Wirk­lich­keit«, die gera­de »auf­grund der Über­prä­zi­si­on eine unwirk­li­che, magi­sche Dimen­si­on « erhal­te. Jedoch war dies vor allem der (damals) neue Ton, wäh­rend die Quel­len, aus denen die Autoren schöpf­ten, wie stets in der phan­tas­ti­schen Lite­ra­tur die Sage, das Mythi­sche, das Volks­tüm­li­che blie­ben, stets ver­knüpft mit dem All­täg­lich-Beson­de­ren, das sei­ne unheim­li­che Ver­schie­bung erfährt. Zwei­er­lei ist wich­tig an Zon­der­gelds Samm­lung: Sie ist zum einen ein wei­te­rer spre­chen­der Beweis dafür, daß es in der Lite­ra­tur eben­so­we­nig 1933 wie 1945 so etwas wie eine umfas­sen­de »Stun­de Null« gab. Zum ande­ren – und das ist eine klei­ne Sen­sa­ti­on – hat der Her­aus­ge­ber die Tex­te zusam­men­ge­stellt, ohne sich beson­ders dar­um zu küm­mern, »wie die Ein­stel­lung der aus­ge­wähl­ten Autoren zum Natio­nal­so­zia­lis­mus gewe­sen ist«. In der Phan­tas­tik kön­ne es eben »unter­schied­li­che Grund­ein­stel­lun­gen« geben. – Das ist eine Frei­heit im Zugriff, wie man sie sich an allen Stel­len des ger­ma­nis­ti­schen Betriebs wünscht. Nun zu den phan­tas­ti­schen Erzäh­lun­gen selbst: Der ver­ges­se­ne Otto Frei­herr von Tau­be bleibt in der Nähe der Mär­chen, wenn er im Fluch über Luh­sen das Ver­häng­nis aus­spinnt, das eine Adels­fa­mi­lie zu Fall bringt. Und Armin Moh­lers Freund Georg Brit­ting schil­dert in Der bekränz­te Wei­her, wie eine Grup­pe von Wan­der­vö­geln die Erschüt­te­rung über den Kriegs­tod eines ihrer Kame­ra­den mit einem selt­sa­men Ritus zu ban­nen ver­sucht. Die Per­le des Buchs aber ist Ernst Kreu­ders Phan­tom der Angst, das die Haupt­per­son nur ver­trei­ben kann, indem sie von einem Frem­den Hil­fe­stel­lung erhält – sehr unheim­lich und, ja, lie­be­voll erzählt. Drei Bei­spie­le, will­kür­lich, das heißt: ohne beson­de­re Begrün­dung her­aus­ge­grif­fen aus Zon­der­gelds Samm­lung, in der es noch viel mehr zu ent­de­cken gibt.

(Rein A. Zon­der­geld (Hrsg.): Schat­ten­spiel. Phan­tas­ti­sche Erzäh­lun­gen aus dem Drit­ten Reich Wien/Leipzig: Karo­lin­ger 2008. 292 S., 23 €)

Der Autor des pos­tum ver­öf­fent­lich­ten Romans Ter­ra infer­na­lis konn­te sich der Auf­merk­sam­keit für sein Debüt sicher sein, weil sein Vater der in Frank­reich bekann­te und geschätz­te Schrift­stel­ler Geor­ges Ber­na­nos war. An ihn reicht der Sohn nicht her­an, aber Ter­ra infer­na­lis (nun erst­mals ins Deut­sche über­setzt) ist doch ein Wurf: In nur 19 Tagen – ein Jahr vor sei­nem Selbst­mord 1964 – schrieb Ber­na­nos die­sen kur­zen, phan­tas­ti­schen Roman nie­der. Er schil­dert dar­in die ver­geb­li­che Suche zwei­er Schiff­brü­chi­ger nach einer Welt, in der nach mensch­li­chem Maß­stab zu leben wäre. Aber das Land, an des­sen Ufer sie stran­de­ten, gehorcht unmensch­li­chen Geset­zen, und die­se in ein­präg­sa­me, mäch­ti­ge Bil­der zu fas­sen, gelingt Ber­na­nos vor­treff­lich. Am stärks­ten sind die Pas­sa­gen, in denen er das nächt­li­che Gebet aller Pflan­zen beschreibt, die sich vor einem Berg ver­nei­gen. Er wird das Ziel für die trost­lo­sen Wan­de­rer, aber als sie den Blick hoff­nungs­voll hin­ter den Hori­zont wer­fen, bli­cken sie ins Auge der Medu­sa. Und so ver­stei­nern die Men­schen nach allem Schreck­li­chen, was ihnen auf ihrer Suche schon begeg­ne­te. Was bleibt, ist das »sanf­te Gefühl von Trä­nen auf einem mensch­li­chen Antlitz.«

(Michel Ber­na­nos: Ter­ra infer­na­lis, Roman, Frau­en­feld: Wald­gut 2009. 139 S., 18 €)

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