folgenreiches Verdikt: »Es mag Aberglaube sein, aber in meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht gut in die Hand zu nehmen.
Ein Geruch aus Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten alle eingestampft werden.« Es ist ein großes Glück, daß Mann selbst von Aberglaube spricht – er folgte ihm im Moment seiner Äußerung wohl und rückt sich damit für uns Spätgeborene selbst in jenen Bereich, in dem die phantastische Literatur entstehen kann: ins leicht Verschobene, Getriebene, Unwirkliche. Und verschoben ist Manns Verdikt doch ohne Zweifel: Daß er Ernst Jüngers Auf den Marmorklippen (1939), Horst Langes Schwarze Weide (1937), Ernst Wiecherts Das einfache Leben (1939) oder gar Werner Bergengruens Der Großtyrann und das Gericht (ebenfalls 1935) eingestampft sehen wollte, konnte ihm nur ein Dämon eingeblasen haben. Aber weil im August 1945 die Deutschen noch wußten, wie man eine große Klappe ignoriert, nahmen sie Manns Empfehlung nicht ernst. Und so kann heute der Göttinger Literaturprofessor und Pfitzner-Experte Rein A. Zondergeld sozusagen an Mann vorbei aus dem Fundus der während der zwölf teuflischen Jahre in Deutschland entstandenen und veröffentlichten Literatur jene Stücke versammeln, die ins Phantastische tendieren. Das Ergebnis ist ein Band mit Texten von zwanzig Schriftstellern, zweckmäßig eingeordnet mittels biographischer Angaben zu den Autoren und eines Nachworts des Herausgebers. Darin deutet Zondergeld nur an, was in mancher germanistischer Arbeit ausgewalzt wird: daß nämlich in unfreier Zeit die Leser auf der Pirsch nach Doppelbödigkeiten sind, mit denen ihnen der Autor seine Sicht auf die Umstände verschlüsselt übermitteln möchte. Zondergeld ist gegen solche Strapazierungen. Er sieht den »magischen Realismus« aus der Malerei der zwanziger Jahre später auch in der Literatur wirksam, jene »allmähliche Verfärbung der Wirklichkeit«, die gerade »aufgrund der Überpräzision eine unwirkliche, magische Dimension « erhalte. Jedoch war dies vor allem der (damals) neue Ton, während die Quellen, aus denen die Autoren schöpften, wie stets in der phantastischen Literatur die Sage, das Mythische, das Volkstümliche blieben, stets verknüpft mit dem Alltäglich-Besonderen, das seine unheimliche Verschiebung erfährt. Zweierlei ist wichtig an Zondergelds Sammlung: Sie ist zum einen ein weiterer sprechender Beweis dafür, daß es in der Literatur ebensowenig 1933 wie 1945 so etwas wie eine umfassende »Stunde Null« gab. Zum anderen – und das ist eine kleine Sensation – hat der Herausgeber die Texte zusammengestellt, ohne sich besonders darum zu kümmern, »wie die Einstellung der ausgewählten Autoren zum Nationalsozialismus gewesen ist«. In der Phantastik könne es eben »unterschiedliche Grundeinstellungen« geben. – Das ist eine Freiheit im Zugriff, wie man sie sich an allen Stellen des germanistischen Betriebs wünscht. Nun zu den phantastischen Erzählungen selbst: Der vergessene Otto Freiherr von Taube bleibt in der Nähe der Märchen, wenn er im Fluch über Luhsen das Verhängnis ausspinnt, das eine Adelsfamilie zu Fall bringt. Und Armin Mohlers Freund Georg Britting schildert in Der bekränzte Weiher, wie eine Gruppe von Wandervögeln die Erschütterung über den Kriegstod eines ihrer Kameraden mit einem seltsamen Ritus zu bannen versucht. Die Perle des Buchs aber ist Ernst Kreuders Phantom der Angst, das die Hauptperson nur vertreiben kann, indem sie von einem Fremden Hilfestellung erhält – sehr unheimlich und, ja, liebevoll erzählt. Drei Beispiele, willkürlich, das heißt: ohne besondere Begründung herausgegriffen aus Zondergelds Sammlung, in der es noch viel mehr zu entdecken gibt.
(Rein A. Zondergeld (Hrsg.): Schattenspiel. Phantastische Erzählungen aus dem Dritten Reich Wien/Leipzig: Karolinger 2008. 292 S., 23 €)
Der Autor des postum veröffentlichten Romans Terra infernalis konnte sich der Aufmerksamkeit für sein Debüt sicher sein, weil sein Vater der in Frankreich bekannte und geschätzte Schriftsteller Georges Bernanos war. An ihn reicht der Sohn nicht heran, aber Terra infernalis (nun erstmals ins Deutsche übersetzt) ist doch ein Wurf: In nur 19 Tagen – ein Jahr vor seinem Selbstmord 1964 – schrieb Bernanos diesen kurzen, phantastischen Roman nieder. Er schildert darin die vergebliche Suche zweier Schiffbrüchiger nach einer Welt, in der nach menschlichem Maßstab zu leben wäre. Aber das Land, an dessen Ufer sie strandeten, gehorcht unmenschlichen Gesetzen, und diese in einprägsame, mächtige Bilder zu fassen, gelingt Bernanos vortrefflich. Am stärksten sind die Passagen, in denen er das nächtliche Gebet aller Pflanzen beschreibt, die sich vor einem Berg verneigen. Er wird das Ziel für die trostlosen Wanderer, aber als sie den Blick hoffnungsvoll hinter den Horizont werfen, blicken sie ins Auge der Medusa. Und so versteinern die Menschen nach allem Schrecklichen, was ihnen auf ihrer Suche schon begegnete. Was bleibt, ist das »sanfte Gefühl von Tränen auf einem menschlichen Antlitz.«
(Michel Bernanos: Terra infernalis, Roman, Frauenfeld: Waldgut 2009. 139 S., 18 €)