Portrait eines Geschichtsdenkers

pdf der Druckfassung aus Sezession 33 / Dezember 2009

von Andreas Krause Landt

Die Würdigungsliteratur, die bis in die frühen Jahrzehnte der Bundesrepublik ein wichtiges Element des Geisteslebens war, ist aus der Mode gekommen. Die Ehrfurcht, mit der man über Dichter und Denker sprach, war allerdings von mehr Kenntnis und Bildung durchdrungen als die das Geistesleben horizontal strukturierende und jedermann zustehende »Meinung «. Früher sprach, wer dazu berufen war. Siegfried Gerlich, in Hamburg lebender Pianist und freier Autor des Jahrgangs 1967, darf sich zweifellos berufen fühlen, eine Monographie über das Lebenswerk Ernst Noltes vorzulegen, in der er das geistige Profil des »Geschichtsdenkers « nachzeichnet.

Es ist die ein­zi­ge Dar­stel­lung die­ser Art, die auch das letz­te Jahr­zehnt des immer noch pro­duk­ti­ven His­to­ri­kers ein­be­zieht. Der ruhi­ge und gelehr­te Ton die­ses Buches, das die Nol­te­schen Ideo­lo­gie-Genea­lo­gien in die Tie­fen der euro­päi­schen Geis­tes­ge­schich­te zurück­ver­folgt, macht es zu einer vor­züg­li­chen Ein­füh­rung und Über­blicks­dar­stel­lung. Die Abwehr, die Nol­te seit dem His­to­ri­ker­streit von 1986/87 zuteil wird, tritt als Gegen­stand der Dar­stel­lung ange­nehm in den Hin­ter­grund. Der Lärm ist gleich­sam nur durchs geschlos­se­ne Fens­ter zu hören, und dabei pas­siert Erstaun­li­ches: Ohne ein deut­li­ches Bemü­hen des Autors, Nol­tes Posi­tio­nen zu ver­tei­di­gen, fragt sich der Leser am Ende erstaunt, war­um aus­ge­rech­net Nol­te der­art zur per­so­na non gra­ta der deut­schen Geis­tes­land­schaft hat wer­den kön­nen. Deut­li­cher als in Ger­lichs Buch, aber im Ein­klang mit sei­ner Dar­stel­lung sei bemerkt, daß Nol­te in mehr­fa­cher Hin­sicht vom Geist der Bun­des­re­pu­blik geprägt war und ist, und das nicht nur als erklär­ter Anhän­ger des Libe­ra­lis­mus. Nol­te hat die kar­tha­gi­sche Nie­der­la­ge des Deut­schen Rei­ches im Zwei­ten Welt­krieg ganz zeit­ge­nös­sisch als grund­sätz­li­che »Daseins­ver­feh­lung« inter­pre­tiert. Als ers­ter in Deutsch­land ver­trat Nol­te »mit phi­lo­so­phi­scher Ver­ve die Sin­gu­la­ri­täts­the­se «, die dann zur Basis der »nega­ti­ven Iden­ti­tät« der Deut­schen wur­de. Nol­te hat das jüdi­sche Volk als Statt­hal­ter mensch­li­cher Tran­szen­denz gewür­digt. Eben­falls in wohl­mei­nen­der Absicht hat er der Lin­ken das welt­his­to­ri­sche pri­us zuge­wie­sen, womit jene die Rech­te dazu ver­ur­teilt, unschöp­fe­risch in der »Reak­ti­on« zu ver­har­ren. Des­halb hat Nol­te den Faschis­mus auch weit­ge­hend als radi­kal­kon­ser­va­ti­ve Gegen­re­vo­lu­ti­on gedeu­tet. Dar­über hin­aus hat er mit sei­ner Skep­sis gegen­über der »prak­ti­schen Tran­szen­denz« (letzt­lich ein Syn­onym für »Fort­schritt«) in einer Wei­se vor der »Selbst­über­schrei­tung « des Men­schen gewarnt, wie es für Jahr­zehn­te Gemein­gut der öko­lo­gi­schen Lin­ken war. Und schließ­lich kann man den hypo­the­ti­schen Cha­rak­ter sei­ner Gedan­ken, sei­nen her­me­neu­tisch gepräg­ten Per­spek­ti­ven­reich­tum, der auch sei­nem jüngs­ten Buch eig­net, als eine Vari­an­te der zeit­ge­nös­si­schen men­ta­li­täts­ge­schicht­li­chen Metho­de anse­hen, die Nol­te in poli­ti­scher Hin­sicht zu einem aus­ge­spro­chen vor­sich­ti­gen, ja skru­pu­lö­sen Autor macht. All dies stellt Ger­lich kennt­nis­reich dar. Wie aber kann Nol­te ange­sichts die­ser Ein­ord­nun­gen seit Jahr­zehn­ten in Ver­dacht ste­hen, anti­se­mi­tisch oder rechts­ra­di­kal zu sein? Ger­lich gibt einen ers­ten all­ge­mei­nen Hin­weis, wenn er sagt, daß nicht Nol­te sich geän­dert habe, son­dern das intel­lek­tu­el­le Milieu ab Mit­te der acht­zi­ger Jah­re ver­än­der­te Maß­stä­be an sein Werk anlegt. Die The­sen, derer Nol­te unter die­sen neu­en Bedin­gun­gen »schul­dig« zu wer­den begann, waren offen­bar nichts als »Abwei­chun­gen« inner­halb jenes ursprüng­lich gemein­sa­men und sich dann ver­än­dern­den Hori­zonts. Mit der Fra­ge nach dem »ratio­na­len Kern« des Zwei­ten Welt­kriegs und des Hit­ler­schen Ver­nich­tungs­an­ti­se­mi­tis­mus waren gleich zwei Tabus ver­letzt: Das stets behaup­te­te welt­ge­schicht­li­che pri­us der Lin­ken woll­te man kei­nes­wegs auf die moder­ne Mas­sen­tö­tung bezo­gen wis­sen, vor der auch »libe­ra­le« Kolo­ni­al­mäch­te nicht zurück­schreck­ten. Zwei­tens war mit der Fra­ge nach dem »ratio­na­len Kern« von Krieg und Mas­sen­mord der geschichts­po­li­ti­sche Autis­mus auf­ge­kün­digt, der Deutsch­land zum mythi­schen Ursprungs­land des Bösen sti­li­sie­ren soll­te, ohne jede Bezo­gen­heit auf außen­po­li­ti­sche Fak­to­ren. In Nol­tes For­de­rung nach »Gerech­tig­keit«, nach einer Art regu­lä­rem Ver­fah­ren für Adolf Hit­ler, wur­de ein Angriff auf die Kon­zep­ti­on jenes »anti­na­tio­na­len Natio­na­lis­mus « ver­mu­tet, den mit­zu­tra­gen Nol­te sich – wie so oft im Ton bei­läu­fig! – nicht bereit fand. Gera­de die­ses Kon­zept aber wur­de von sei­nen Geg­nern als intel­lek­tu­el­les Gegen­ge­wicht zur Wie­der­ver­ei­ni­gung instal­liert. Nach­hal­tig ver­übelt hat man Nol­te auch die Tat­sa­che, daß er über­haupt auf Cha­im Weiz­manns Brief vom August 1939 ein­ging, wor­in der dama­li­ge Prä­si­dent des Zio­nis­ti­schen Welt­kon­gres­ses Cham­ber­lain mit­teil­te, daß die Juden im Kriegs­fal­le an der Sei­te Groß­bri­tan­ni­ens ste­hen wür­den. Nol­tes phi­lo­se­mi­ti­scher Grund­hal­tung zum Trotz hat der blo­ße Ver­dacht des Anti­se­mi­tis­mus aus­ge­reicht, ihn aus dem deut­schen aka­de­mi­schen Leben zu ver­ban­nen. Das Fest­hal­ten an his­to­ri­schen Exis­ten­tia­li­en und an der tra­gi­schen Sei­te der Geschich­te, das ent­täu­schungs­fes­ten Ideo­lo­gen seit jeher auf­stößt, mag erschwe­rend hin­zu­ge­kom­men sein. Man lese und stau­ne trotzdem.

(Sieg­fried Ger­lich: Ernst Nol­te. Por­trait eines Geschichts­den­kers Schnell­ro­da: Edi­ti­on Antao­is 2009. 352 S., 22.00 €)

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