Schöne Literatur

pdf der Druckfassung aus Sezession 33 / Dezember 2009

Bei jedem mitteilenswerten Unglück auf deutschen Straßen,

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Schie­nen oder an Tage­bau­gru­ben betreu­en geist­li­che Seel­sor­ger ver­eint mit Psy­cho­lo­gen und Sozi­al­päd­ago­gen die Davon­ge­kom­me­nen und die Ange­hö­ri­gen. Gibt es dafür Lehr­gän­ge, oder sind Pfar­rer von Amts wegen in der Lage, jedem auf die ihm gemä­ße Art bei­zu­ste­hen? Der evan­ge­li­sche Pfar­rer in Die­ter Wel­lers­hoffs Roman steht ohne Zusatz­aus­bil­dung bei, als er nächt­lich zu einem Unfall geru­fen wird: Ein Auto ist vom Weg abge­kom­men, Gat­tin und Kind sind ertrun­ken, wäh­rend sich der Mann mit einem Sprung aus der Fah­rer­tür ret­ten konnte.

Jetzt steht ihm der Seel­sor­ger bei und weiß nicht, ob er ihn anfas­sen, trös­ten oder über die schreck­li­che Wirk­lich­keit unter­rich­ten soll. Der Pas­tor macht von allem ein wenig, nur sein urei­ge­nes Hand­werks­zeug, das Gebet, steht ihm nicht zur Ver­fü­gung: Es ist ihm zu for­mel­haft in die­ser Situa­ti­on. So unter­schei­det sich der Geist­li­che in die­ser Nacht in nichts vom pro­fa­nen Berufs­für­sor­ger; der Him­mel scheint für ihn kein Ort zu sein, an dem sich in sol­cher Grenz­si­tua­ti­on Halt fin­den lie­ße. Die­ses Dilem­ma (oder: die­ser Offen­ba­rungs­eid) ist das The­ma des Romans: Er ist eine Zustands­be­schrei­bung der sich selbst unsi­che­ren Kir­che und eines ihrer sich red­lich mühen­den Ver­tre­ter. Die Unfä­hig­keit, ein fest­ge­füg­tes Glau­bens­ge­bäu­de zu bewoh­nen, strahlt auf die Wort­wech­sel und Lebens­ent­schei­dun­gen des jun­gen Pas­tors aus. Wäh­rend er sei­nen Bei­stands­auf­trag fort­zu­set­zen ver­sucht, muß er immer wie­der die plau­si­ble Ver­si­on des Unfall-Her­gangs zuguns­ten einer neu­en, dif­fe­ren­zier­te­ren, nicht fest­ge­füg­ten Per­spek­ti­ve auf­ge­ben. Weil er sich sei­ne Unvor­ein­ge­nom­men­heit nicht neh­men las­sen möch­te, steht er bald in offe­nem Gegen­satz zur ver­mö­gen­den, kir­chen­na­hen und von einem Mord über­zeug­ten Sip­pe der ertrun­ke­nen Frau, die an der Kom­ple­xi­tät der Vor­ge­schich­te kein Inter­es­se hat. Wo wäre Halt zu fin­den? Bei einem Freund und des­sen Frau, zu deren Hoch­zeits­tag er ein­ge­la­den ist und deren Ehe­glück an die­sem Abend auf ihn aus­strahlt, obwohl er um die Brü­chig­keit auch die­ser Bin­dung weiß?

Wel­lers­hoffs unbe­haus­ter Pfar­rer lebt ziem­lich kraft­los im noch immer unein­ge­rich­te­ten Pfarr­haus: »Für sei­ne Woh­nung im ers­ten Stock hat­te er aus­ran­gier­te Möbel sei­nes Vor­gän­gers über­nom­men und sie mit weni­gen eige­nen Möbeln zusam­men­ge­stellt.« Die­ses stil­un­si­che­re Sam­mel­su­ri­um paßt nicht zum Selbst­an­spruch »sei­ner Stu­di­en­kol­le­gen, die sich ger­ne als eine Gene­ra­ti­on von Neue­rern ver­stan­den hät­ten, aber natür­lich wuß­ten, daß vor Ort in den Gemein­den vie­le fort­schritt­li­che Neue­run­gen und Akti­vi­tä­ten auf sie war­te­ten, so daß nicht mehr viel Spiel­raum für wei­te­re Pro­jek­te blieb.« Die Kir­che als »flo­rie­ren­der Betrieb« in Kon­kur­renz mit ande­ren flo­rie­ren­den Betrie­ben, in denen man ein altru­is­ti­sches Bedürf­nis und zivil­ge­sell­schaft­li­ches Enga­ge­ment aus­le­ben kann. Es gibt, neben einer hilf­lo­sen Brief­lie­be, eine theo­re­ti­sche Ver­dich­tung gegen Ende des Romans: Der Pas­tor besucht einen Kon­greß, der sich mit der Rol­le der Kir­che in einer säku­la­ren Welt beschäf­ti­gen soll. Als der Ver­an­stal­tungs­lei­ter in sei­ner Rede davon spricht, daß man »die Seel­sor­ge kri­ti­schen mul­ti­per­spek­ti­vi­schen Ansich­ten ihrer selbst aus­zu­set­zen« vor­ha­be, ist klar, daß die Teil­neh­mer kei­ne Stär­kung im Glau­ben, son­dern sei­ne Infra­ge­stel­lung zu erwar­ten haben. So kommt es auch, ver­dich­tet in einem Wort­wech­sel zwi­schen einem »mul­ti­per­spek­ti­vi­schen « Gene­ra­lis­ten (»Das Urchris­ten­tum und das der Kreuz­zü­ge und unser sozi­al­päd­ago­gi­sches Chris­ten­tum unter­schei­den sich gewal­tig«) und einem Theo­lo­gen der alten Schu­le (»Aber die Kraft eines wah­ren Gedan­kens setzt sich unter wech­seln­den his­to­ri­schen Bedin­gun­gen immer wie­der durch«). Der jun­ge Pas­tor ver­läßt den Kon­greß nach einem hal­ben Tag. Der Him­mel ist kein Ort ist kein hämi­sches Buch. Es zeich­net einen Autor von vorn­her­ein aus, wenn er sich nicht über sei­nen Betrach­tungs­ge­gen­stand lächer­lich macht, obwohl es naheliegt.

(Die­ter Wel­lers­hoff: Der Him­mel ist kein Ort Roman, Köln: KiWi 2009. 300 S., 19.95 €)

Der jun­ge Öster­rei­cher Kai­ser-Mühle­cker hat auch hier (Heft 24/2008) für sei­nen Debüt­ro­man Der lan­ge Gang über die Sta­tio­nen viel Lob erhal­ten. Sein zwei­tes Buch ent­täuscht: Ein jun­ger Mann kommt nicht recht los vom elter­li­chen Hof und des­halb nie wirk­lich woan­ders an. Sein Bru­der ist kon­se­quen­ter und geht end­gül­tig, um nach eini­gen Jah­ren in Wien von einer Stra­ßen­bahn über­rollt zu wer­den. Ihm wird nach­ge­trau­ert. Der­weil macht sich eine Lap­top-Besit­ze­rin in der Woh­nung breit, es gibt Schnaps, es wird viel geschwie­gen, und dann geht die Frau wie­der. Das ist ein post­pu­ber­tä­res Her­um­ge­sit­ze vor einem lee­ren »Quart­heft«, ein Her­um­ge­schwei­ge in Gesell­schaft. Ja nun, möch­te man sagen, der Kerl braucht sei­ne Hei­mat. Die ist dort, wo man sich nicht erklä­ren muß und schwei­gen darf. Im Wirts­haus etwa: »Es war, wie es immer gewe­sen war. Ab und zu fiel ein Name, der in mir klang. Nie­mand frag­te mich etwas.« Ver­mut­lich ist Mag­da­len­aberg ein Roman dar­über, daß man sich für einen Ort ent­schei­den muß, um der Vor­läu­fig­keit zu ent­kom­men – ein Hei­mat­ro­man also. Aber die­se Zuord­nung macht ihn lei­der nicht besser.

(Rein­hard Kai­ser-Mühle­cker: Mag­da­len­aberg. Roman, Ham­burg: Hoff­mann und Cam­pe 2009. 224 S., 20 €)

Götz Kubitschek

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