Zur Moral des Bombenkrieges

pdf der Druckfassung aus Sezession 27/Dezember 2008

sez_nr_278von Stefan Scheil

„Denn es gilt Irrtümer, nicht Menschen auszurotten". Mit diesem bedenkenswerten Satz des deutschen Humanisten Konrad Heresbach eröffnet Björn Schumacher seine Abhandlung über die Zerstörung deutscher Städte durch alliierte Luftstreitkräfte (Die Zerstörung deutscher Städte im Luftkrieg. „Moral Bombing" im Visier von Völkerrecht, Moral und Erinnerungskultur, Graz: Ares 2008. 320 S., 19.90 €). Die Frage haben schon andere gestellt: inwieweit in den strategischen Bombardements eine Ausrottungsmentalität zum Ausdruck kam, die jenseits von militärisch-psychologischen Angriffsrechtfertigungen in Wahrheit auf die vollständige physische Vernichtung unerwünschter Personengruppen zielte. Den Planungen für einen Atomkrieg, für ein strategisches Bombardement konventioneller Art und für den Holocaust liege eine gemeinsame Völkermordmentalität zugrunde, meint etwa der amerikanische Genozidhistoriker Eric Markusen.


Anschau­li­che Bele­ge zur Stüt­zung die­ser The­se las­sen sich geben. Win­s­ton Chur­chill bei­spiels­wei­se äußer­te im Febru­ar 1945 die Idee, Bom­ber­flot­ten­chef Har­ris könn­te doch frei­ge­wor­de­ne Flug­zeu­ge nach Indi­en schi­cken, um die dor­ti­ge Bevöl­ke­rung aus­zu­lö­schen. Ihren beson­de­ren Bezug erhält die­se auf den ers­ten Blick viel­leicht nur leicht­fer­tig hin­ge­wor­fe­ne Bemer­kung, wenn man berück­sich­tigt, daß seit 1943 in Indi­en bereits drei Mil­lio­nen Men­schen den Hun­ger­tod gestor­ben waren. Chur­chill selbst hat­te mit einer enor­men Kür­zung der Nah­rungs­mit­tel­lie­fe­run­gen auf den Sub­kon­ti­nent sei­nen Bei­trag zu die­ser Ent­wick­lung geleis­tet und das Par­la­ment spä­ter über die Situa­ti­on vor­sätz­lich falsch infor­miert. So star­ben sie seit­dem in Mas­sen, die nach Unab­hän­gig­keit stre­ben­den Inder, die Chur­chill ein paar Tage nach dem Luft­an­griff auf Dres­den für „wider­lich” und längst zum Aus­ster­ben an der Rei­he erklärte.
Auch Dres­den ist ein The­ma für Björn Schu­ma­cher. Selbst von Haus aus Jurist, will er es im juris­ti­schen Sinn genau wis­sen und weist die Äuße­rung des ehe­ma­li­gen Bun­des­prä­si­den­ten Her­zog zurück, recht­li­che Bewer­tun­gen des Bom­ben­krie­ges wür­den nichts brin­gen. Er gibt zudem einen erschre­cken­den Über­blick dar­über, wie sich deut­sche Städ­te bemü­hen, die eige­ne Ver­nich­tung im Rah­men der Erin­ne­rungs­kul­tur indi­rekt zu recht­fer­ti­gen oder zu ver­harm­lo­sen. Schließ­lich dis­ku­tiert er auch die Opfer­zah­len der Bom­bar­die­rung Dresdens.

Schu­ma­cher folgt den Anga­ben des Stu­di­en­ra­tes Hanns Voigt, der im Früh­jahr 1945 als Lei­ter der „Abtei­lung Tote” der Ver­miß­ten­nach­weis­zen­tra­le amtier­te und nach eige­nen Anga­ben bis Kriegs­en­de etwa neun­zig­tau­send Kar­tei­kar­ten zu Ein­zel­per­so­nen anleg­te. Etwa fünf­zig­tau­send wei­te­re Opfer sei­en nicht mehr erfaßt wor­den. Die schrift­li­che Bestä­ti­gung die­ser Anga­ben ist nicht mög­lich, doch sind Voigts Anga­ben in sich schlüs­sig und von nie­man­dem wider­legt, wie Schu­ma­cher fest­stellt. Die zuletzt von der ent­spre­chen­den His­to­ri­ker­kom­mis­si­on auf dem Dresd­ner His­to­ri­ker­tag genann­te Zahl von acht­zehn­tau­send Toten scheint vor die­sem Hin­ter­grund mög­li­cher­wei­se erheb­lich zu nied­rig zu sein.
Wer nach der recht­li­chen Bewer­tung fragt, spricht von mög­li­chen Ver­bre­chen. Schu­ma­cher über­schreibt ein Kapi­tel mit der ein­deu­ti­gen und pro­vo­kan­ten Fra­ge: „War Chur­chill ein Kriegs­ver­bre­cher?” Er stellt den Kriegs­pre­mier vor ein fik­ti­ves Tri­bu­nal, um die­se Fra­ge zu beant­wor­ten. Sei­ner Ansicht nach hät­te ein sol­ches Tri­bu­nal vor allem zu ent­schei­den, ob die Alli­ier­ten vor einem völ­ker­recht­lich aner­kenn­ba­ren Not­stand stan­den, als sie mit der Flä­chen­bom­bar­die­rung began­nen und sie auch fort­setz­ten, als der Krieg mili­tä­risch ent­schie­den war. Die­se Fra­ge läßt sich ver­nünf­ti­ger­wei­se nur ver­nei­nen – so kommt Schu­ma­cher zum Ergeb­nis, Chur­chill wäre wegen „Staats­ter­ro­ris­mus jen­seits kon­kre­ter Kriegs­zie­le” zu verurteilen.
Schu­ma­cher for­dert ein wei­te­res Mahn­mal in Deutsch­land, in die­sem Fall ein zen­tra­les Mahn­mal für zivi­le Opfer west­al­li­ier­ter Flä­chen­an­grif­fe. Dies ist zum gegen­wär­ti­gen Zeit­punkt nicht in der Dis­kus­si­on. Viel­leicht ist das auch gut so. Für eine wür­di­ge Bewer­tung des Bom­ben­krie­ges feh­len in Deutsch­land der­zeit intel­lek­tu­el­le Kapa­zi­tä­ten und die mora­li­sche Inte­gri­tät. Inso­fern gerie­te ein Mahn­mal womög­lich zur Peinlichkeit.
Lothar Frit­ze wid­met sich auf den ers­ten Blick dem glei­chen The­ma wie Björn Schu­ma­cher, geht dies aber deut­lich anders an. Er fragt nach der „Moral des Bom­ben­ter­rors” (Alli­ier­te Flä­chen­bom­bar­de­ments im Zwei­ten Welt­krieg, Mün­chen: Olz­og 2007. 247 S., 29.90 €) und stellt umfas­sen­de Fra­gen nach der poli­ti­schen, wirt­schaft­li­chen und recht­li­chen Gesamt­si­tua­ti­on, in wel­cher der Zwei­te Welt­krieg statt­fand. Zudem geht Frit­ze ‑Lehr­be­auf­trag­ter an der TU Chem­nitz – zeit­lich wie the­ma­tisch deut­lich über die­sen Krieg hin­aus. Er stellt ein Argu­men­ta­ti­ons­sche­ma in Fra­ge, das sich sinn­ge­mäß so umschrei­ben läßt: Hät­te es in den 1930ern kein Appease­ment, son­dern einen Prä­ven­tiv­krieg gege­ben, wäre eine gro­ße Kata­stro­phe ver­mie­den wor­den. Die­se Ein­schät­zung genießt heu­te den Rang einer all­ge­mein aner­kann­ten Wahr­heit und wur­de im Jahr 2003 zur Begrün­dung etwa des Irak­kriegs öffent­lich – und bekannt­lich frag­wür­di­ger­wei­se – bemüht.

Frit­ze stellt zu Beginn sei­nes moral­phi­lo­so­phisch ange­leg­ten Essays rich­tig fest, das The­ma hal­te Fall­stri­cke bereit. Er ver­sucht denen er aber dadurch zu ent­ge­hen, daß er aus­drück­lich die „unbe­strit­te­ne” poli­ti­sche und mora­li­sche Haupt­ver­ant­wor­tung Deutsch­lands für die „euro­päi­sche Kom­po­nen­te des Ereig­nis­ses Zwei­ter Welt­krieg” aner­kennt. So rück­ver­si­chert, geht er dann aber auf über­ra­schend erfri­schen­de Wei­se an die heik­len The­men, wie „legi­ti­me Kriegs­zie­le”, „War­um eine Alli­anz mit Sta­lin?”, „ungül­ti­ge Recht­fer­ti­gungs­grün­de” und ande­re mehr. Er legt dabei die gel­ten­den Maß­stä­be der Ver­ein­ten Natio­nen an und nennt als legi­ti­men Kriegs­grund nur die Selbst­ver­tei­di­gung und die Hil­fe für ange­grif­fe­ne Drit­te. Auch dabei dür­fe der Ein­satz krie­ge­ri­scher Mit­tel bloß die Wie­der­her­stel­lung des Rechts zum Ziel haben, sei also nach Art und Umfang begrenzt. Der Ver­nich­tungs­krieg zur Aus­schal­tung eines poten­ti­el­len Geg­ners oder wirt­schaft­li­chen Kon­kur­ren­ten ist dem­nach kei­nes­falls gerechtfertigt.
An die­ser Stel­le offen­bart ein Blick in Stich­wort­re­gis­ter und Lite­ra­tur­ver­zeich­nis das Feh­len des Namens Carl Schmitt. Das über­rascht, muß aber inso­fern kein Scha­den sein, als Schmitts viel­fach zutref­fen­de und teil­wei­se zyni­sche Ana­ly­se der Poli­tik des west­li­chen Impe­ria­lis­mus es gele­gent­lich nicht ver­mei­den konn­te, von Sein auf Sol­len zu schlie­ßen. Genau dort hört die Moral bekannt­lich auf, und es ist durch­aus erfri­schend zu lesen, wie Frit­ze einen Moral­es­say zur Zeit­ge­schich­te ver­faßt hat, der letzt­lich die ein­sei­ti­gen Schuld­zu­wei­sun­gen in bezug auf den Zwei­ten Welt­krieg in ihrer Gesamt­heit unter­gräbt. Dem Autor ist dabei bewußt, daß sein Ver­such, Macht­po­li­tik unter mora­li­schem Gesichts­punkt zu beleuch­ten, „man­chem ‚Rea­lis­ten‘ als abwe­gig erschei­nen” muß. Den Vor­wurf der Rela­ti­vie­rung von Ver­bre­chen nimmt er offen an und bezeich­net ihn als Miß­ver­ständ­nis. Wenn sowohl Täter als auch Opfer Schuld auf sich gela­den hät­ten, rela­ti­vie­re sich der Unter­schied zwi­schen Täter und Opfer, stellt er fest: „Und dies soll­te man auch nicht ver­mei­den wol­len!” Die Schuld des Täters wird dadurch sei­ner Ansicht nach nicht gerin­ger. Ob mit die­sen fei­nen Maß­stä­ben die heu­te ver­brei­te­ten Irr­tü­mer über ein geno­zi­da­les Jahr­hun­dert wie das zwan­zigs­te kor­ri­giert wer­den kön­nen, bleibt fraglich.

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