und das Finanzproblem einfach eine Ebene höher gehievt wird. Die EU dürfe nicht nur eine Währungsunion sein, sondern müsse auch sozial- und wirtschaftspolitisch eine Einheit bilden, so der Tenor. Einhergehend mit dieser supranationalen Orientierung geraten die Kommunen immer mehr in die Bredouille. Ist dies aber vielleicht sogar eine Chance für einen Neuanfang?
Was passiert eigentlich, wenn die ersten Kommunen zur offenen Opposition übergehen, sich aus ihrer Zwickmühle befreien wollen und noch dazu die Unterstützung der eigenen Bürger für diesen Sonderweg erhalten? Und was für Konsequenzen hätte es, wenn bedeutende Unternehmer den „fiskalischen Bürgerkrieg“ (Peter Sloderdijk) ausrufen; wohlwissend, daß sie eine breite Gefolgschaft der Bürger hinter sich haben?
Der ehemalige tschechische Präsident Václav Havel hat 1978 einen bemerkenswerten Essay geschrieben, in dem er der Möglichkeit von vorpolitischen Parallelstrukturen nachgeht, die letzten Endes sogar ein postdemokratisches Zeitalter einläuten könnten. Sein Versuch, in der Wahrheit zu leben, appelliert an das gemeinschaftliche Empfinden der Menschen, die wieder „auf der Basis der eigenen Identität“ leben wollen:
Der ureigenste Raum, der Ausgangspunkt für alle Bestrebungen der Gesellschaft, sich dem Druck des Systems zu widersetzen, ist das Gebiet des „vorpolitischen“, da die „Parallelstrukturen“ ja nichts anderes als ein Raum des anderen Lebens sind, eines Lebens, das im Einklang mit seinen eigenen Intentionen ist und das sich selbst im Einklang mit diesen Intentionen strukturiert.
Bis hierher könnte man meinen, Havel bereite den Weg für eine Zersplitterung der Gesellschaft. Wenn jede Schicht bzw. jedes politische Lager sich nur noch mit sich selbst beschäftigt und kompromißlos auf die eigenen Zielvorstellungen pocht, kommt es zu vielen kleinen Nischen, die alle die kritische Masse, die notwendig ist, um Macht auszuüben, nicht überschreiten. Havel stellt sich das aber anders vor:
Die „Parallel-Polis“ ist wegweisend und hat einen Sinn nur als Akt der Vertiefung der Verantwortung für das Ganze und dem Ganzen gegenüber, als Entdeckung des geeignetsten Standorts für diese Vertiefung, keineswegs also als Flucht vor und aus der Verantwortung. (…)
Ich glaube an Strukturen, die sich nicht an der „technischen“ Seite der Machtausübung orientieren, sondern an dem Sinn ihrer Ausübung; an Strukturen, die mehr durch das gemeinsame Gefühl, daß bestimmte Gemeinschaften sinnvoll sind, als durch gemeinsame Ambitionen zur Expansion nach „außen“ gefestigt werden. (…)
Es dürfen in keinem Fall Strukturen sein, die ihre Autorität auf längst entleerte Traditionen stützen (wie die traditionellen politischen Massenparteien), sie müssen sich auf ihre konkrete Aufgabe in der Situation stützen. Besser als ein statischer Komplex formalisierter Organisationen, sind Organisationen, die ad hoc entstehen, voller Begeisterung für ein konkretes Ziel, und sich nach der Erreichung des Ziels auflösen.
In diesem Sinne entsprechen NGOs wie Greenpeace oder attac nicht den Vorstellungen Havels, weil sie ein diffuses, globales Ziel anstreben und sich nicht den konkreten Aufgaben vor Ort stellen. Vielmehr wünscht er sich Organisationen, die durch persönliche Beziehungen zusammengehalten werden und die Aufgabe anpacken, die zur Zeit getan werden muß. Dabei sind für den mehrmals für den Friedensnobelpreis vorgeschlagenen Tschechen sowohl politische als auch wirtschaftliche Einheiten denkbar.
Sind nicht diese informellen, unbürokratischen, dynamischen und offenen Gemeinschaften, diese ganze „parallele Polis“, eine Art Keim oder symbolisches Mikromodell jener sinnvollen „postdemokratischen“ politischen Strukturen, die eine bessere Ordnung der Gesellschaft begründen könnten?