Auch andere Großfeuilletonisten haben nicht mit Häme gespart. Alles in allem rangieren die Kritiken zwischen “sehr gut” und “sehr schlecht”, es dürften gewisse ideologische Probleme sein, die die Spötter hier verhandeln.
Das war bei der millionenfach verkauften, in 39 Sprachen übersetzten Buchvorlage (1995) des Juristen Bernhard Schlink kaum anders. Auch da hatte es – womöglich gerade aufgrund des Verkaufserfolgs – Kritik gehagelt. Von „Revisionismus” und „Kulturpornographie” war die Rede. (Andererseits wurde Der Vorleser als Oberstufenlektüre in die Lehrpläne diverser Bundesländer aufgenommen.) Jedenfalls können wir den Vorleser getrost in den Kanon der dringend zu lesenden deutschsprachigen Romane aufnehmen. Es ist ein überwältigendes Buch, das die simple Bewältigungskategorie sprengt. Die Handlung in zwei Sätzen: Ein Jüngling liebt einen Sommer lang eine reifere Frau, zusätzlich läßt sie sich von dem Gymnasiasten bändeweise Weltliteratur vorlesen. Jahre später, wir schreiben 1966 und er ist angehender Jurist, begegnet er der nie vergessenen Geliebten im Gerichtssaal wieder. Sie ist angeklagt, als Aufseherin in Auschwitz für den Tod von 300 Juden verantwortlich zu sein.
Nun also der Film: eine US-Produktion mit einem britischen Regisseur und überwiegend deutschen Schauspielern. Es gibt nur wenige Filme, die ihre literarische Vorlage vollends einlösen oder gar übertreffen; auch dieser tut das nicht. Es macht nichts in diesem Fall; der Film ist gelungen – mindestens. Die Grundfragen, die Schlink im Buch stellte, kommen auch hier ganz gut heraus: Was ist gut, was böse, und woran sollten wir’s je trennscharf erkennen? Schlink sagte mal, er habe das Trauma seiner Generation einkreisen wollen. Wie umgehen mit Menschen (die man respektiert, verehrt, ja liebt, wenn sich herausstellt, daß sie einst einem anderen Regime dienten, also: Nazionalsozialisten waren?
Wieder so ein Film, den eigentlich nur wir Deutsche ganz nund gar begreifen können. Das ist wohl der Vorsprung der Besiegten …