So ziert das Titelbild ein jugendlich wirkender Mann mit offenem, frischem Gesicht, in dessen Obhut als Erzieher man ohne weiteres seine Enkelkinder geben würde.
In der Tat repräsentiert Habeck das neue Gesicht der Grünen, da ist nichts von der ideologischen Verkniffenheit eines Apparatschiks wie Jürgen Trittin, dem schrillen Betroffenheitsgestus einer Claudia Roth oder jener politikasterhaften Attitüde von Renate Künast. 1969 geboren, Fraktionsvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein, Schriftsteller und Vater von vier Söhnen steht Habeck – laut Klappentext – »für einen neuen Kurs der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit seiner Partei«.
Böswillig übersetzt könnte man solch eine politische Haltung auch als Beliebigkeit deuten. Manche seiner Vorschläge, die er in dieser »politischen Streitschrift « (Verlagswerbung) macht, sprechen tatsächlich dafür. Beispielsweise sein Vorstoß für eine Reform des kommunalen Wahlrechts, das für ihn keine Frage der Staatsbürgerschaft ist, sondern mit den Rechten der »ausgeschlossenen Minderheit« von acht Prozent der Bevölkerung mit »Migrationshintergrund« zu tun hat. Natürlich solle das Ausländerwahlrecht keineswegs bei den Kommunen haltmachen, »letztlich müssen auch Bundes- und Landtagswahlen allen offenstehen.«
Der Autor bezeichnet dies als »linken Patriotismus«, und es ist zu befürchten, daß er das ehrlich meint. Doch die Frage muß schon erlaubt sein, warum ihm die Zustände in den türkisch- islamischen Parallelgesellschaften und die am Horizont drohenden Bürgerkriegsszenarien nicht eine einzige Zeile wert sind. Für Habeck spricht, daß er sich der üblichen Attacken gegen Konservative und Rechte, die inzwischen jede läppische Party des geistigen Mittelstandes zieren, wohltuend enthält. So traut er sich zwar auf eine spielerisch-überlegene Weise alte linke Zöpfe abzuschneiden, um »all die konservativen Kampfbegriffe« wie »Freiheit, Demokratie, Grundgesetz, Leistung, Familie, Gemeinschaft, selbst Heimat oder eben: Patriotismus« einer »fortschrittlichen Interpretation« zuzuführen, doch wenn es zum Schwure kommt, bleibt all dies vage und realitätsfern.
Dabei hat er natürlich recht, wenn er »ein gewisses Maßhalten statt der Maßlosigkeit der entgrenzten Märkte«, oder für junge Familien Teilzeitarbeitsmodelle fordert. Doch relativieren sich derartige sinnvolle Forderungen schnell wieder, wenn man seine Ideen zur Bildungspolitik liest, die auf Kuschelpädagogik und eine Abwertung der Allgemeinbildung hinauslaufen. Habecks Kinder duzen den Trainer der gegnerischen Handballmannschaft. Nun ja.
Als »Lackmustest der Freiheit« sieht er im Bereich von Kunst und Kultur vor allem die Förderung einer »liberalen Atmosphäre« in einem »toleranten Umfeld«. Denn wo es Theater, Kleinkunst und ein breites Kulturangebot gebe, »ziehen Homosexuelle in die Quartiere und Städte mit einem reichen kulturellen Leben«, und »wo viele Homosexuelle sind, ist es für Frauen attraktiver zu leben, weil sie weniger bedrängt und angemacht werden. Wo viele Frauen sind, steigt die Geburtenrate, dann kommen Kitas und das Viertel wird kinderfreundlich …« So wäre das Demographieproblem mit tatkräftiger Unterstützung der Schwulenszene endlich gelöst!
Habecks politikphänomenologisch hochinteressante Mischung aus einem mulchwarmen »linken Plädoyer« für Patriotismus und einer völlig realitätsfernen Schilderung der bundesrepublikanischen Verhältnisse berührt die Tragik des sittlichen und noch mehr die Härte und Grausamkeit des politischen Konflikts nicht einmal mit Fingerspitzen. Sein »linker Patriotismus « ist ein dem Grabe entstiegener Verfassungspatriotismus von Habermasschen Ausmaßen.
Mit Merkel, Wowereit und Özdemir habe sich »die Anerkennungskultur gegenüber anderen in den letzten Jahrzehnten positiv entwickelt«. Ein »anderes politisches Spitzenpersonal « sei mehrheitsfähig geworden: »Frauen, Homosexuelle, Menschen mit Migrationshintergrund«. »Muff und Spießigkeit sind abgeschüttelt« frohlockt der Autor und lobt »die 68er und alle, die ihr Erbe annehmen, diese Gesellschaft liberalisiert und freier gemacht haben.« Heilige Einfalt! Nicht im Ansatz begreift Habeck die Funktion von Politik und die Aufgabe des Staates! Ebenso unfähig und unwillens ist er, die bestehende Ordnung als Verblendungszusammenhang im Sinne Adornos zu begreifen. Immerhin führt uns der erbauliche Klang seiner Theorien in die Ideen- und Gefühlswelt eines »linken Patriotismus«, der, so dünn und anfällig er auch ist, vor allem von der politischen Schwäche und Agonie des sterbenden Konservativismus zeugt.
(Robert Habeck: Patriotismus. Ein linkes Plädoyer, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2010. 207 S., 19.95 €)