Susann Pásztor: Ein fabelhafter Lügner

pdf der Druckfassung aus Sezession 36 / Juni 2010

So zu tun, als sei man Jude, kann sich auszahlen, heutzutage. Der...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

»fabel­haf­te Lüg­ner « heißt in die­sem Fall Joschi und ist die nur in der Erin­ne­rung anwe­sen­de Haupt­fi­gur in Susann Pász­tors kurz­wei­li­gem Roman­de­büt. Joschi ist schon seit Jah­ren tot und hat­te sich – mit den Wor­ten sei­nes Soh­nes Gabor – sein Juden­tum nach dem Krieg aus­ge­dacht (ver­mut­lich), damit er »wenigs­tens ein biß­chen Ent­schä­di­gung vom deut­schen Staat bekom­men würde.«

Im KZ Buchen­wald war er näm­lich wirk­lich (ver­mut­lich), aber viel­leicht ist er auch nur »ein klei­ner unga­ri­scher Gewerk­schaf­ter gewe­sen, der sein gro­ßes Maul nicht hal­ten konn­te und der über­dies mit einer Jüdin ver­hei­ra­tet war, was ihm ein paar Mona­te Zwangs­ar­beit beschert hat­te.« Wie dem auch sei: Joschi hat­te Kin­der, und die drei, die noch leben (Halb­ge­schwis­ter alle­samt, den­sel­ben Vater, aber von drei unter­schied­li­chen Müt­tern stam­mend), sowie eine Enke­lin tref­fen sich in Wei­mar bei Buchen­wald, um den hun­derts­ten Geburts­tag ihres ver­stor­be­nen (Groß) Vaters zu fei­ern und die ver­schie­de­nen Strän­ge der Fami­li­en­ge­schich­te auszubreiten.

Um es vor­weg­zu­neh­men: Bis zuletzt krei­sen die Gesprä­che von Gabor, Han­nah und Mari­ka um die Ver­sio­nen Joschis, die er sei­nen Kin­dern wie ein Erbe hin­ter­ließ, um das es zu strei­ten gilt. Gabor zieht also gleich die gan­ze Iden­ti­täts­grund­la­ge in Zwei­fel, aber die schril­le Han­nah kann das kei­nes­falls zulas­sen, und Halb­schwes­ter Mari­ka nimmt dem Leser die Fra­ge aus dem Mund: Wenn Joschi nun kein Jude gewe­sen wäre und Han­nah mit­hin nicht die Toch­ter eines KZHäft­lings – »wür­de das denn groß was ändern?« Han­nah ist wenigs­tens ehr­lich: »Es wäre eigent­lich das Schlimms­te, was mir pas­sie­ren könn­te.« Woher näm­lich auf die Schnel­le ein Allein­stel­lungs­merk­mal ers­ter Güte neh­men, einen ererb­ten Opfer­sta­tus, der unan­greif­bar macht – zumin­dest in Deutschland?

Auch die Enke­lin Lily gibt red­se­lig zu Pro­to­koll, wel­che Art Nek­tar zu sau­gen dem­je­ni­gen ver­gönnt ist, der im Lan­de der Besieg­ten nicht mit­ver­lo­ren hat. Lily erzählt, was so pas­siert an die­sem Fami­li­en­wo­chen­en­de, und notiert für sich und den Leser unter ande­rem die simp­len Bau­stei­ne ihrer Selbst­ge­wiß­heit: »Ich geste­he, ich genie­ße es manch­mal, wenn ich sagen kann, daß mein Groß­va­ter Jude war und im KZ geses­sen hat.« Lily hat das Grund­vo­ka­bu­lar des mora­li­schen Vor­sprungs qua Geburt schon gepaukt, und eine klei­ne Faschis­mus­keu­le paßt in jede Schul­ta­sche: »Wer wider­spricht schon der Enke­lin eines NS-Opfers, wenn sie im Ethik­un­ter­richt vor den Gefah­ren des Rechts­ra­di­ka­lis­mus warnt?« Sie muß ein Refe­rat für die Schu­le aus­ar­bei­ten, The­ma frei­ge­stellt, und was liegt näher als der jüdi­sche Groß­va­ter, den kein Leh­rer schlecht zu bewer­ten sich her­aus­neh­men wür­de: »Ich bin ein Opfer der drit­ten Gene­ra­ti­on, und des­halb hielt ich es für eine gute Idee, mei­nen Noten­durch­schnitt mit einem lei­den­schaft­li­chen Bei­trag über das Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Buchen­wald anzuheben.«

Susann Pász­tor hält ihren Roman mit sol­chen ohne jede Bos­heit her­aus­ge­plap­per­ten Sät­zen gekonnt in einer Stim­mung jugend­li­cher Fahr­läs­sig­keit. Die puber­tie­ren­de Enke­lin kennt die Schwe­re der Geschich­te nicht, sie begreift sie nicht als Schu­le der Demut. Erst beim Besuch des KZ selbst hält Lily die Klap­pe, dafür stöp­selt sie ihren iPod ein, um das Gelän­de mit der Unter­ma­lung durch Klän­ge von Arvo Päärt abzu­schrei­ten. Die­se Abkap­se­lung bei gleich­zei­ti­ger indi­vi­du­el­ler Insze­nie­rung ist – en pas­sant erzählt – eine Schlüs­sel­sze­ne des Romans. Lily weiß schon genau, wel­che Reak­ti­ons­mög­lich­kei­ten auf die Besich­ti­gung des »Unvor­stell­ba­ren « zur Aus­wahl ste­hen. Sie wird sich selbst in eine bereits fest­ge­leg­te (und somit über­ra­schungs­lo­se) Stim­mung ver­set­zen, die Musik tut ihren Teil dazu.

So gese­hen han­delt die harm­lo­se, infan­ti­le Lily unan­ge­mes­sen, zu sehr nach dem inne­ren Dreh­buch eines Doku­men­tar­films: Ich, in Buchen­wald; Ich, vol­ler Schwe­re auf dem Appell­platz und bei den Kre­ma­to­ri­en; Ich, Erschüt­te­rung erfah­rend und mich als Opfer der drit­ten Gene­ra­ti­on begrei­fend – und alle die­se Gemüts­re­gun­gen befeu­ert und viel­leicht erst geweckt durch die eigens für die­sen Tag auf dem klei­nen Daten­trä­ger gespei­cher­te Ich-Doku­men­tar­film-Musik. Es kann dar­aus nur so etwas wie Beschwingt­heit resul­tie­ren, eine wie­der­um fahr­läs­si­ge Opfer­be­schwingt­heit, eine any­thing-goes-Wet­ter­la­ge.

Fol­ge­rich­tig wächst auf Lilys Mist auch die Idee, des Nachts noch­mals nach Buchen­wald zu fah­ren und asia­ti­sche Him­mels­la­ter­nen stei­gen zu las­sen. Bei die­sem Gedenk-Vor­gang nun wer­den die zwei­te und die drit­te Opfer­ge­ne­ra­ti­on ver­haf­tet. Wie könn­te man behörd­li­cher­seits auch wis­sen, ob es nicht doch Later­nen für Hit­ler, Himm­ler, Hess sind? Auf dem Revier stellt sich die gute Absicht der ver­haf­te­ten Fami­lie schnell her­aus, aber für den Poli­zei­be­am­ten bleibt es eine »Stö­rung der Toten­ru­he. Das ist kei­ne Klei­nig­keit. « Und das ist ein sehr guter Gedan­ke: Wer sagt eigent­lich, daß dem, der geden­ken will, alles erlaubt sei, wenn er denn der Opfer­grup­pe schlecht­hin gedenkt?

Und eines noch: Wenn man den Fabel­haf­ten Lüg­ner neben Per­len­samt von Bar­ba­ra Bon­gartz und Das Eigent­li­che von Iris Hanika stellt, dann hat man gute Grün­de, den Ansatz eines Trends aus­zu­ma­chen – den hin zu einer lite­ra­ri­schen Kri­tik der Vergangenheitspolitik.

(Susann Pász­tor: Ein fabel­haf­ter Lüg­ner. Roman, Köln: KiWi 2010. 205 S., 17.95 €)

Götz Kubitschek

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