Unübersichtliche Gefilde II: Geschlechterkunde

pdf der Druckfassung aus Sezession 35 / April 2010

Wer mit Eva Hermans »Sicht der Dinge« vollauf zufriedengestellt war, mag dieses Buch der Religionswissenschaftlerin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz womöglich irritiert zur Seite legen. Wer jedoch gewissermaßen den Fußnotenapparat zu Hermans Weiblichkeits-Plädoyer vermißte, wird hier fündig. Nicht, daß trockene Wissenschaftsprosa geliefert würde – das gerade nicht! Der Zugang der Autorin ist philosophisch, ihr Sprachduktus essayistisch, in Teilen verwegen.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Bereits dies sorgt für eine aben­teu­er­li­che, bis­wei­len anstren­gen­de (For­mu­lie­rungs­wag­nis­se und Sie­he da!-Schreibungen wie »eigen­sin­nig «, »nach-denk­lich«) Lek­tü­re. Lang­wei­lig wird’s nie, die­sem anspruchs­vol­len Gang durch das Laby­rinth diver­ser Weib­lich­keits­ent­wür­fe zu fol­gen. Gibt es das Weib­li­che, wor­aus man das Wesen der Frau ablei­ten kön­ne? Wie sehen das – höchst unter­schied­lich! – Femi­nis­tin­nen? Oder soll­ten die Gen­der­theo­re­ti­ker recht behal­ten, daß Geschlecht nur eine kul­tu­rel­le Zuwei­sung sei und ein nach binä­rem Code defi­nier­ter Leib gar nicht exis­tie­re? Jene spre­chen vom »Kör­per«, der (corp­se!) schon ety­mo­lo­gisch eine Ent­lee­rung des Leib­be­grif­fes (Ver­wandt­schaft mit Leben und Lie­be) bedeu­te. Affir­ma­tiv und dicht begrün­det wird das Frau­en­bild der Bibel ins Spiel gebracht. Da weder Natur noch Kul­tur von sich aus »heil« sei­en, lie­ge hier ein Schatz, den es zu heben gel­te. In nar­ziß­ti­scher Gegen­wart (nach Gerl-Fal­ko­vitz sind auch homo­ero­ti­sche Moden ein selbst­be­zo­ge­nes Aus­wei­chen vor der Zumu­tung eines »Ande­ren«) gel­te »Auto­no­mie« als Leit­be­griff, deren Man­gel wer­de als »Preis­ga­be« des Selbst­emp­fun­den. Die Autorin hält die­se Begrif­fe für »Abfäl­schun­gen« der mensch­li­chen »Dop­pel­be­stim­mung «, näm­lich »Selbst­stand « und »Selbst­ga­be«.
Daß die Autorin aktu­el­le Ver­öf­fent­li­chun­gen (»neu­er­dings « heißt bei ihr: 2004) igno­riert und sich auf ihrer lei­den­schaft­lich- klu­gen Suche nach Mus­tern, Rol­len und Urgrün­den des Geschlechts gele­gent­lich ver­irrt, stört kaum. Brun­hil­de war mit­nich­ten stär­ker als Sieg­fried (son­dern als Gun­ther); Nietz­sche wünsch­te kei­nen »dio­ny­si­schen Unter­gang des Geis­tes«, son­dern eine Syn­the­se; eben­so ist es ver­kürzt, daß his­to­risch den Mythen mit glück­lo­sem Aus­gang des Geschlech­ter­kampfs die jün­ge­ren Mär­chen folg­ten, die die Paar­be­zie­hung glü­cken las­sen. Die Kunst­mär­chen (Ander­sen!) pfleg­ten näm­lich wie­der tra­gisch zu enden.

(Han­na-Bar­ba­ra Gerl-Fal­ko­vitz: Frau–Männin–Menschin. Zwi­schen Femi­nis­mus und Gen­der, Keve­laer: But­zon & Bercker 2009. 286 S., 19.90 €)

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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