Wenn ja, dann müßte das ablesbar sein am von ihm verantworteten Magazin Cicero: Wie wäre es eigentlich, wenn wir für unsere nächste, redaktionell gerade in den Startlöchern stehende Druckausgabe der Sezession etwas von Cicero abkupfern würden? Die jüngsten Schlagzeilen des nach wie vor als “konservativ” geltenden Magazins könnten wir ja leichter Hand ein wenig abwandeln. Dort (noch mal: wir sprechen von Cicero, nicht von Bild oder Bunte) lauten sie aktuell:
Wer ist Guido Westerwelle wirklich? und Exklusiv: Schaefflers Rolle im Dritten Reich und Die ganze Wahrheit zum Mauerfall. Ja, herrgottnochmal, das ist die Monatszeitschrift, die angetreten ist mit dem Anspruch, sich abseits vom „Boulevardjournalismus und der Verflachung vieler Printmedien” hin zu „Reflexion und Qualitätsjournalismus” zu bewegen.
Das abenteuerlich anmutende Unterfangen des Chefredakteurs Weimer, mittels hübscher Titel und horrender Autorenhonorare (nahezu die gesamte politische Klasse integrierend) mindestens zwei, eher mehrere Pferde gleichzeitig zu reiten, ist zu einer traurigen Clownnummer verkommen. Weimer und sein Projekt scheinen ein bißchen durcheinander geraten zu sein. Und das ist gelinde ausgedrückt. Einerseits hat Weimer bereits 2005 zum 1. Geburtstag des Magazins den Verdacht, „streckenweise konservativ” zu argumentieren, vehement als „nicht zutreffend” von sich gewiesen.
Andererseits reüssiert derselbe Weimer dieser Tage mit seinem neuen Buch, worin er erklärt, warum die Krise uns konservativ macht. Eine Streitschrift gegen linke Konzepte, die unter anderem acht “Grundregeln für den Konservativen” beinhaltet – als hätte er die Idee von Karlheinz Weißmann abgekupfert. Eine weitere Überschrift lautet “Weniger Mitte. Bitte!” Ein hübscher Reim, das schon, aber ob er es damit so ernst meint wie wir? Weimer lobt – wir kennen das von Bueb, Hahne, di Fabio etc. – bürgerliche Tugenden und Werte und beklagt den “Ausverkauf der Privatheit”: Wenn alles zur Bühne erklärt werde, gäbe es nur noch schamloses Schauspiel, klagt er.
Womit wir bei seinem Cicero wären, dessen Ressorts sich ausgerechnet “Weltbühne” und “Salon” nennen. Das paßt – allerdings zum Inhalt seines Magazins und weniger zu Weimers buchgewordenem Tugend-und-Qualitätsgetue.
Nicht, daß es nichts Lesenswertes gäbe in der März-Nummer der Zeitschrift. Das Interview mit dem umstrittenen Bestseller-Autor Michael Winterhoff zu Erziehungsfragen lohnt die Lektüre, auch die Abrechnung mit der “XXL-Plaudertasche Johannes B. Kerner” ist einigermaßen witzig. Aber sonst? Plakatschreierei noch und nöcher, verbunden mit sprachlichem Mini-Niveau. “Die Kirche bräuchte einen Obama” heißt es etwa, oder, zum Amtsantritt der isländischen Regierungschefin Johanna Sigurdardottir: „Bezeichnend für die voyeuristische Infantilisierung unserer Zeit war dabei, daß Sigurdardottirs Amtsantritt vor allem wegen deren sexueller Orientierung globale Aufmerksamkeit erregte.” Daneben finden wir auf vierzehn Seiten 20 Photoalbum-Bilder von Guido Westerwelle, inklusive Erster-Kuß-Dokument.
Bildträchtig und mehr (oder weniger?) als schal auch das, was unter der Überschrift „Schweres Erbe” präsentiert wird. Hier geht’s, ästhetisch verbrämt, um die Neubesitzer enteigneter Hofgüter in Schlesien und Masuren. Mit gestärkten Schürzen posieren polnische Dienerschaften (= geschaffenen Arbeitsplätze, was wäre dagegen zu sagen?) vor opulent hergerichteten Traditionsgütern: trés chic – und sehr absonderlich dies.
Mit der breitdiskutierten Ausgabe unter dem Titel „Vergeßt Habermas!” hatte sich Cicero 2006 als nicht-linkes Blatt positioniert. Einen Platz nicht einzunehmen heißt noch nicht, sich auch nur annähernd festzulegen.
Wer nach allen Seiten offen ist, kann nicht ganz dicht sein, weiß der Volksmund. Die April-Sezession (mit Habermas-Teil) verspricht, ein dichtes Heft zu werden.