Schere im Kopf

pdf der Druckfassung aus Sezession 34 / Februar 2010

von Karlheinz Weißmann

Jörg Schönbohm war der letzte konservative Hoffnungsträger in der Union. Ein Mann nach dem Geschmack aller, die sich den idealen Politiker irgendwie »preußisch« vorstellen, geradlinig, zupackend, fleißig, befehlsgewohnt, ehemaliger General, mit entsprechender Distanz zum »Betrieb«, und als Organisator der Vereinigung von Bundeswehr und NVA ein ausgewiesener Patriot. Schönbohms Nichtwiederwahl in das Präsidium der CDU auf dem Parteitag 2006 war deshalb auch nicht nur ein Inszenierungsfehler am Ende einer politischen Karriere, sondern Signal dafür, daß es nun ganz und gar nichts mehr ist mit den Konservativen in dieser Partei, daß Frau Merkel einen Mann von Schönbohms Verdiensten und mit Schönbohms Stellung fallenlassen kann, ohne negative Rückwirkungen zu fürchten, weder von einem konservativen Flügel noch von einer konservativen Basis.


Schön­bohm wür­de die­ser Inter­pre­ta­ti­on kaum wider­spre­chen, ihr aller­dings auch nicht offen bei­pflich­ten, das ver­hin­dern gute Kin­der­stu­be und ein ana­chro­nis­ti­scher Loya­li­täts­be­griff. In sei­nen nun vor­lie­gen­den Memoi­ren gibt es aber eini­ge Stel­len, die wenigs­tens ahnen las­sen, was er emp­fin­det, wenn sich sei­ne Par­tei selbst »ver­senkt«: »Seit den acht­zi­ger Jah­ren schon betreibt die CDU Appease­ment gegen­über dem Zeit­geist«, schreibt Schön­bohm und fügt hin­zu: »Es ist aber nicht bewie­sen, daß nur die­je­ni­ge Par­tei Chan­cen hat, die dem all­ge­mei­nen Trend folgt. Es traut sich ein­fach nie­mand, es dar­auf ankom­men zu las­sen, vor allem aus Angst vor den Medi­en, die als potes­tas indi­rec­ta immer mehr das poli­ti­sche Gesche­hen bestim­men.« Man spürt bei ihm Ver­ach­tung gegen­über denen, die die­ser Angst nach­ge­ben, sich der »Schwei­ge­spi­ra­le« fügen, ohne eige­ne Prin­zi­pi­en ihre Poli­tik von Mei­nungs­um­fra­gen oder dem, was in Talk­shows gefor­dert ist, dik­tie­ren las­sen. Schön­bohm selbst hat als Innen­se­na­tor von Ber­lin unter Beweis gestellt, daß es mit deut­li­chen Wor­ten zur Aus­län­der­po­li­tik und zur Inne­ren Sicher­heit, zum Ver­fall des Sozi­al­sys­tems und zur erlern­ten Hilf­lo­sig­keit des Pre­ka­ri­ats, sehr wohl mög­lich ist, kon­ser­va­ti­ve Wahr­hei­ten ins Feld zu füh­ren und sich direkt an die Bevöl­ke­rung zu wen­den, die im Zwei­fel erstaun­lich offen scheint für ver­nünf­ti­ge Vor­schlä­ge. Das Bild wur­de etwas unscharf in der Fol­ge­zeit als Innen­mi­nis­ter von Bran­den­burg. Da hat sich Schön­bohm – was in sei­nem Buch kaum deut­lich wird – durch­aus am »Kampf gegen Rechts« betei­ligt, des­sen rein instru­men­tel­len Cha­rak­ter er durch­schau­te, aber wider bes­se­res Wis­sen unter­stütz­te. Da folg­te er, wie im Fall Hoh­mann (»Auch ich habe eine Sche­re im Kopf, denn wenn die Empö­rung ein­mal da ist, kann einem nie­mand mehr hel­fen, der nicht sei­ner­seits die sozia­le Äch­tung fürch­ten müß­te.«), der Par­tei­rä­son, die die Auf­recht­erhal­tung der gro­ßen Koali­ti­on in Pots­dam ver­lang­te, obwohl das, was dabei an prak­ti­scher Poli­tik geleis­tet wur­de, nie­man­den zufrie­den­stel­len konnte.
Das, der maro­de Zustand der Lan­des­par­tei und eine wenig glück­li­che Hand bei der Aus­wahl sei­ner Mit­strei­ter in den von Stol­pe und Platz­eck geführ­ten Kabi­net­ten wer­fen einen Schat­ten auf Schön­bohms letz­te Jah­re in Bran­den­burg. Trotz­dem hat er lan­ge aus­ge­hal­ten, hängt sein Herz an der alten Hei­mat, aus der sei­ne Fami­lie von den Kom­mu­nis­ten ver­trie­ben wur­de. Auch das ist sym­pa­thisch, kann nur nicht über die alte Wahr­heit hin­weg­täu­schen, daß ein Kon­ser­va­ti­ver, gezwun­gen, im dau­ern­den Kom­pro­miß mit feind­li­chen Umstän­den und gegen sei­ne eigent­li­chen Über­zeu­gun­gen zu han­deln, letzt­lich ver­sagt. Es liegt Tra­gik in sol­chem Ver­sa­gen und das um so mehr, als Schön­bohm ein aus­ge­präg­tes Pflicht­ge­fühl auf den Weg des Poli­ti­kers führ­te. Er ver­weist auf die War­nun­gen, die sei­ne Ent­schei­dung beglei­te­ten, den Mili­tär­dienst zu quit­tie­ren. Wel­chen Zwang er sich damit antat, geht schon aus dem Unter­ti­tel sei­nes Buches – »Erin­ne­run­gen eines Unpo­li­ti­schen« – her­vor. Er zitiert aber Tho­mas Manns Wort von der »macht­ge­schütz­ten Inner­lich­keit« nicht, die über­haupt nur die kon­ser­va­ti­ve als eine unpo­li­ti­sche Exis­tenz ermög­licht. Schön­bohms Wesen wider­sprach offen­bar, die für den Kon­ser­va­ti­ven immer schwie­ri­ge­ren Alter­na­ti­ven zu wäh­len, also ohne Vor­be­halt poli­tisch zu wer­den, oder zu begrei­fen, daß durch Mit­ar­beit nicht das Schlim­me­re ver­hin­dert, son­dern der Nie­der­gang nur ver­zö­gert wird.
Trotz­dem bleibt eine Hem­mung, Schön­bohm das zum Vor­wurf zu machen. Denn man ver­steht, daß jemand vom Jahr­gang 1937, der den Zusam­men­bruch und den Nach­krieg schon bewußt erleb­te, sei­ne ers­te poli­ti­sche Erfah­rung mit dem Able­ger des sowje­ti­schen Sys­tems in Deutsch­land mach­te, in den Auf­bau­jah­ren der Bun­des­re­pu­blik groß wur­de, der aus so hono­ri­gen Moti­ven die Offi­ziers­lauf­bahn ein­schlug und in einem Milieu leb­te, in dem Tra­di­ti­on und Chris­ten­tum, Fami­lie und Vater­land, Bür­ger­lich­keit und Leis­tungs­be­reit­schaft nach wie vor Gel­tung hat­ten, der Kampf gegen den Tota­li­ta­ris­mus in jeder Gestalt und die zer­set­zen­den Kräf­te mit Kon­se­quenz geführt wur­de, den gan­zen Ernst der Lage nur schwer zu begrei­fen ver­moch­te und wei­ter vermag.

(Jörg Schön­bohm: Wil­de Schwer­mut. Erin­ne­run­gen eines Unpo­li­ti­schen, Ber­lin: Landt 2009. 462 S., 29.90 €)

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