auch ein Gedicht abgedruckt: Ein Wort von Gottfried Benn. Manche Leser verstanden unmittelbar (und schrieben mir das auch), warum es wichtig ist, solche Dichtung aus unserer Sicht zu lesen und zu deuten, oder: uns anzuverwandeln. Andere Leser halten Gedichte wie das von Benn für hermetisch und arrogant, und deshalb für fehl am Platze.
Ich bin völlig anderer Meinung: Das poetische Sprechen ist aus der Weltsicht, wie wir sie betreiben, gar nicht wegzudenken. Der Rhythmus der Dichtung ist der Rhythmus des Lebens, also: Hebung und Senkung, Einatmen und Ausatmen, niemals bloß eines davon. Das allein schon ist lehrreich genug.
Vor allem aber ist ein Gedicht die Verdichtung eines Bildes in einprägsamen Worten. Es ist eine auffindbare, wiederholbare Form, und ein Schlüssel zur Ordnung der Welt: Wir müssen das, was wir tun, nach Bildern ordnen.
Das März-Gedicht ist von Hans Magnus Enzensberger.
Leuchtfeuer
I.
Dieses Feuer beweist nichts,
es leuchtet, bedeutet:
dort ist ein Feuer.
Kennung: alle dreißig Sekunden
drei Blitze weiß. Funkfeuer:
automatisch, Kennung SR.
Nebelhorn, elektronisch gesteuert:
alle neunzig Sekunden ein Stoß.II.
Fünfzig Meter hoch über dem Meer
das Insektenauge,
so groß wie ein Mensch:
Fresnel-Linsen und Prismen,
vier Millionen Hefnerkerzen,
zwanzig Seemeilen Sicht,
auch bei Dunst.III.
Dieser Turm aus Eisen ist rot
und weiß, und rot.
Diese Schäre ist leer.
Nur für Feuermeister und Lotsen
drei Häuser, drei Schuppen aus Holz,
weiß, und rot, und weiß. Post
einmal im Monat, im Luv
ein geborstener Wacholder,
verkrüppelte Stachelbeerstauden.IV.
Weiter bedeutet es nichts.
Weiter verheißt es nichts
Keine Lösungen, keine Erlösung.
Das Feuer dort leuchtet,
ist nichts als ein Feuer,
bedeutet: dort ist ein Feuer
dort ist der Ort wo das Feuer ist,
dort wo das Feuer ist ist der Ort.
Und jetzt sage mir einer, daß dieses Gedicht nichts mit uns und unserer Arbeit (konkret: etwa mit diesem Netz-Tagebuch) zu tun hätte! Was anderes als ein Leuchtfeuer ist solches Tun, und reduziert auf den Kern ist es wirklich nicht mehr: ein Leuchtfeuer mit regelmäßigen Signalen, die jeder wahrnehmen kann und wahrnehmen wird, der sie braucht und der – auch bloß diffus (im Dunst!) – nach ihnen sucht. Lest die IV. Strophe in diesem Sinne noch einmal. Und danach nochmal das ganze Gedicht, im dem viel über das Wesentliche, Nüchterne, Eigentliche, über die Kernaufgabe und das Unspektakuläre dieses Auftrags zu finden ist. Pathos der Kälte?
Auswendiglernen!