Was sind Werte?

In der Krise sind Werte gefragt. Diese Aussage wird vermutlich die Mehrzahl unserer Zeitgenossen unterschreiben.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Daß man mit die­ser Unter­schrift nicht viel anfan­gen kann, liegt an der Dop­pel­deu­tig­keit des Wor­tes “Wert”. Dem einen schwe­ben öko­no­mi­sche Wer­te vor, mit denen sich die Kri­se bes­ser über­le­ben läßt. Der ande­re erkennt viel­leicht in der Ehr­lich­keit einen Wert, des­sen Man­gel die Kri­se erst ver­ur­sacht hat. Das Miß­ver­ständ­nis kommt nicht von unge­fähr, denn “Wert” ist ein pro­ble­ma­ti­scher Begriff.

Erst im 19. Jahr­hun­dert wird das Den­ken in Wer­ten üblich und erst Nietz­sche hat sie mit sei­nem Ver­such der “Umwer­tung aller Wer­te” popu­lär gemacht und damit gleich das Kern­pro­blem for­mu­liert: Wer setzt die Wer­te? Wer­te haben kei­ne Ding­lich­keit, sie sind zunächst völ­lig rela­tiv. Was für mich einen hohen Wert besitzt, ist für ande­re viel­leicht wert­los. Der Wert an sich exis­tiert nicht, nur sei­ne Gel­tung ver­leiht ihm Bedeu­tung. Carl Schmitt:

Wer Wert sagt, will gel­tend machen und durch­set­zen. Tugen­den übt man aus; Nor­men wen­det man an; Befeh­le wer­den voll­zo­gen; aber die Wer­te wer­den gesetzt und durch­ge­setzt. Wer ihre Gel­tung behaup­tet, muß sie gel­tend machen. Wer sagt, daß sie gel­ten, ohne daß ein Mensch sie gel­tend macht, will betrügen.

Der Rela­ti­vis­mus der Wer­te bedeu­tet, daß es von mei­nem per­sön­li­chen Stand­punkt abhängt, wel­chen Wert ich am höchs­ten schät­ze. Schmitts Sät­ze klin­gen nun gar nicht rela­ti­vis­tisch. Er spielt auf den dar­aus logisch fol­gen­den Abso­lu­tis­mus an, die “Tyran­nei der Wer­te” (Nico­lai Hart­mann). Da Wer­te nur dann exis­tie­ren, wenn sie Gel­tung haben, muß im Wett­streit der Wer­te ein Wert über den ande­ren sie­gen. Nico­lai Hartmann:

So gibt es einen Fana­tis­mus der Gerech­tig­keit, der kei­nes­wegs bloß der Lie­be, geschwei­ge denn der Nächs­ten­lie­be ins Gesicht schlägt, son­dern schlech­ter­dings allen höhe­ren Werten.

Im Gegen­satz zu Schmitt war Hart­mann Ver­tre­ter einer Wert­ethik, zeigt hier aber den­noch die Mög­lich­keit “wert­zer­stö­ren­der Wert­ver­wirk­li­chung” auf. Egal ob die Ras­se oder die Klas­se den höchs­ten Wert dar­stellt, immer müs­sen ande­re Wer­te negiert wer­den. Des­halb hät­te Preu­ßen auf Basis einer Wert­ethik nie ent­ste­hen kön­nen und des­halb wur­de in Preu­ßen nicht mit Wer­ten geführt. Der kate­go­ri­sche Impe­ra­tiv funk­tio­niert nur vor dem Hin­ter­grund des Glau­bens an Auto­ri­tät, an die von Gott ver­lie­he­ne Königs­wür­de. Die­ser Glau­be ermög­lich­te das “rich­ti­ge Han­deln”, auch wenn kei­ner hinsah.

Die­ser Glau­be hat­te mit Wer­ten nichts zu tun und ist durch Wer­te nicht zu erset­zen. Wer­te sind unge­bun­de­ne Leer­for­meln, die belie­big gefüllt wer­den kön­nen (man den­ke nur an Frei­heit, Gleich­heit, Brü­der­lich­keit). Wenn sie kei­ne Gel­tung haben, sind sie wert­los. Naiv ist es, das Gegen­teil zu behaupten.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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