Schöne Literatur

pdf der Druckfassung aus Sezession 34 / Februar 2010

Es gibt – nach einigem Nachdenken und wiederholter Lektüre...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

– kei­nen Zwei­fel: Per­len­samt ist ein Schlüs­sel­ro­man des deut­schen Schuld­stol­zes um die Jahr­tau­send­wen­de, und zwar ein sehr gelun­ge­ner. Ganz sicher hat Bar­ba­ra Bon­gartz den skan­da­lö­sen Gehalt sol­cher Sät­ze bedacht, wie sie etwa auf Sei­te 178 zu fin­den sind: »In Ber­lin mag man heu­te noch wis­sen, was mal auf der Wil­helm­stra­ße los war. Wie ich die Deut­schen ken­ne, ist da jeder Pflas­ter­stein nume­riert, und denen, die 68 geflo­gen sind, ist ein Gedenk­stein gewid­met. Man badet dort gern im eige­nen Schlamm, und inzwi­schen lockt die Art Folk­lo­re ja auch Tou­ris­ten­strö­me an. Mit die­ser Selbst­zer­flei­schung kön­nen wir hier in Paris nicht kon­kur­rie­ren. Wir sind Fran­zo­sen, kei­ne boches, die sich an Le Schuld­ge­fühl ergötzen.«

Oder auf Sei­te 232, ganz knapp: »Betrof­fen­heits­adel, schon mal davon gehört?« Der Rei­he nach: Mar­tin Saun­ders ist Ame­ri­ka­ner in der ers­ten Gene­ra­ti­on, sei­ne Mut­ter ist Deut­sche, die nach dem Krieg und kurz vor der Nie­der­kunft nach Ame­ri­ka aus­wan­der­te, um ihrem Sohn das Deutsch-Sein zu erspa­ren. Saun­ders arbei­tet als Kunst­his­to­ri­ker bei einem Auk­ti­ons­haus in Ber­lin und stol­pert eines Tages über David Per­len­samt, einen rei­chen Erben, der gera­de sei­ne Mut­ter durch einen Mord ver­lo­ren hat.

In der Vor­hal­le zu Davids Vil­la hän­gen wert­vol­le Gemäl­de, und weil eines davon – eine Land­schaft am Meer von Cour­bet – wenig spä­ter dem Auk­ti­ons­haus zum Ver­kauf ange­bo­ten wird, tritt neben das per­sön­li­che, homo­se­xu­el­le Inter­es­se Mar­tins auch ein beruf­li­ches: die Pro­ve­ni­enz­for­schung, die Zuord­nung von Kunst­ge­gen­stän­den in die Kate­go­rie »Beu­te­kunst«. Bis an die letz­ten Kapi­tel her­an scheint alles ganz offen­sicht­lich zu sein: David Per­len­samt ist der Enkel von Otto Abetz, dem Abge­sand­ten des Drit­ten Rei­ches in Paris, einer besat­zungs­po­li­ti­schen Ide­al­be­set­zung (im dop­pel­ten Wort­sinn): gebil­det, kunst­in­ter­es­siert, elo­quent, gewin­nend; stets bemüht, die Här­ten des Regimes abzu­mil­dern sowie die intel­lek­tu­el­le und kunst­schaf­fen­de Sze­ne Frank­reichs zumin­dest für eine Vor­form der Kol­la­bo­ra­ti­on zu gewinnen.

David Per­len­samt behaup­tet nun, daß Abetz, sein Groß­va­ter, eine wert­vol­le Gemäl­de­samm­lung zusam­men­ge­raubt habe; nun sei es an ihm, dem Enkel, die­ses Unrecht ein­zu­ge­ste­hen und die Kunst­wer­ke ihren recht­mä­ßi­gen Besit­zern zurück­zu­ge­ben. Jedoch: Nach eben­so raf­fi­nier­ten wie plau­si­blen Wen­dun­gen stellt sich her­aus, daß all dies nicht wahr ist. Weder ist David der Enkel von Otto Abetz, noch sind die Gemäl­de echt. Sie sind viel­mehr meis­ter­haf­te Kopien, die David in einer Fäl­scher­werk­statt bei Hal­ber­stadt am Harz­rand anfer­tigt. Die­ser dop­pelt fal­schen Fähr­te sitzt Mar­tin eben­so auf wie das Ber­li­ner Kunst­pu­bli­kum, das sich nicht fragt, wie aus­ge­rech­net die Pri­vat­samm­lung eines der expo­nier­ten NS-Funk­tio­nä­re so lan­ge unent­deckt blei­ben konn­te: Viel­mehr benö­tigt die Öffent­lich­keit den Mut und die Ein­satz­be­reit­schaft David Per­len­s­amts – denn bei­des ver­hilft ihr eben­so wie ihm erst zu dem, was zwi­schen Iden­ti­täts­fin­dung und ‑erfin­dung pen­delt: »Dabei­sein ist alles, und wenn Dabei­sein nur durch Betrof­fen­heit ent­steht. Eigent­lich merk­wür­dig, daß die Men­schen in Deutsch­land immer noch dabei­sein wol­len, egal wobei, egal als was, Haupt­sa­che dabei und nicht allein.«

Je nach Blick­win­kel und Ein­stel­lung zu dem, was Nor­man Fin­kel­stein die »Holo­caust- Indus­trie« nann­te, ist David Per­len­samt eine tra­gi­sche oder eine absto­ßen­de Figur – oder bei­des. So jeden­falls hat Bar­ba­ra Bon­gartz ihre Figur gezeich­net und dar­über in einem Gespräch mit dem Deutsch­land­funk Aus­kunft gege­ben: »Er inthro­ni­siert sich dadurch, daß er sich zum Nazi­en­kel macht. Das berech­tigt ihn, sein per­sön­li­ches Rechts­sys­tem zu erschaf­fen und so rigi­de zu sein, wie sonst kei­ner rigi­de sein darf. Er braucht die­sen Nazi­hin­ter­grund, um über­haupt han­deln zu kön­nen. Daß dahin­ter dann noch­mal ein ganz per­sön­li­cher Grund steht, ist per­fi­de – auch in der Anla­ge der Figur per­fi­de. Aber ich habe sol­che Men­schen ken­nen­ge­lernt, genau wie ich Men­schen ken­nen­ge­lernt habe, die behaup­ten, jüdisch zu sein oder jüdi­sche Vor­fah­ren zu haben und es gar nicht sind oder kei­ne jüdi­schen Vor­fah­ren haben.

Men­schen, die die­se gru­se­li­ge deut­sche Geschich­te für ihre eige­ne Selbst­dar­stel­lung und ihre eige­ne Pro­blem­lö­sung benut­zen.« In der Tat: Lea Rosh, Ste­phan Kra­mer – die Rei­he deut­scher Pro­se­ly­ten ist beträcht­lich und den Kult mit der Schuld mit­zu­ma­chen, kann einen je nach Geschick und Unver­fro­ren­heit recht schnell an die prall gefüll­ten Fut­ter­trö­ge bringen.
»Mir scheint, man kann sein gan­zes Leben damit ver­brin­gen, ein deut­scher Enkel zu sein«, sagt der ins Wirr­warr sei­ner Gefüh­le und einer his­to­risch auf­ge­la­de­nen Lügen­ge­schich­te ver­strick­te Mar­tin Saun­ders. Er kehrt zuletzt nach Ame­ri­ka zurück, trägt die Last sei­ner unge­lös­ten Ver­gan­gen­heit aber mit sich. Wer ist er, was ist er? Deut­scher? Ame­ri­ka­ner? Die Mut­ter, nach dem deut­schen Vater befragt, rät nach­drück­lich, sich auf die Sei­te der Unbe­schwer­ten zu schla­gen. Saun­ders sol­le das Stö­ren­de bei­sei­te las­sen in New York, die­sem Ort des guten Gewis­sens und des täg­li­chen Neu­starts: »Nichts wird die­ser Stadt je etwas anha­ben kön­nen«, behaup­tet die Mut­ter. Es ist der 10. Sep­tem­ber 2001.

(Bar­ba­ra Bon­gartz: Per­len­samt, Frank­furt a.M.: Weiss­books 2009. 320 S., 19.80 €)

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