Strauß und die Konservativen – Überlegungen aus Anlaß seines 20. Todestages

pdf der Druckfassung aus Sezession 27/Dezember 2008

sez_nr_27von Torsten Uhrhammer

Es ist nicht vielen Intellektuellen die Geduld und die Fähigkeit zur Nutzbarmachung des sie abstoßenden Parteiinnenlebens zum Zwecke der Realpolitik gegeben. Schon das Wort Realpolitik ist rechten wie linken Theoriearbeitern oft ein Graus. Denn Realpolitik verwässert die reine Lehre und hat sich an anderen Parametern als den theoretischen zu orientieren. Aber es ist auch die Macht, die manchen erschreckt oder argwöhnisch werden läßt.


Ganz anders der Fall des Franz Josef Strauß: In ihm leb­te der Wil­le zur Macht und zu einer rech­ten Real­po­li­tik. Sein Ver­hält­nis zur äußers­ten Rech­ten und jener zu ihm war dabei natur­ge­mäß ambi­va­lent. Konn­te er mit Aus­sprü­chen wie: „Ich bin ein Deutsch­na­tio­na­ler und ver­lan­ge bedin­gungs­lo­sen Gehor­sam” bei Rechts­bür­ger­li­chen der 1970er Jah­re punk­ten, so fühl­te sich die extre­me Rech­te von: „Man muß sich der natio­na­len Kräf­te bedie­nen, auch wenn sie noch so reak­tio­när sind – mit Hilfs­trup­pen darf man nicht zim­per­lich sein” getrof­fen. Wor­um es ihm dabei eigent­lich ging, liest man in sei­nen Erin­ne­run­gen: „Wer meint, Nati­on und natio­na­les Den­ken hint­an­stel­len zu müs­sen, könn­te sich in sei­ner poli­ti­schen Rechen­fä­hig­keit als sehr kurz­sich­tig erwei­sen. Wenn es einer seriö­sen Rechts­par­tei, einer pro­gres­si­ven natio­nal­kon­ser­va­ti­ven Par­tei gelingt, auf Dau­er über die Fünf-Pro­zent-Hür­de zu kom­men, wäre die Kom­bi­na­ti­on aus CDU, CSU und FDP nicht mehr mehr­heits­fä­hig. … Es geht nicht um rechts­ra­di­ka­le Nar­ren, wie etwa um die Deut­sche Volks­uni­on des Ger­hard Frey. Aber wenn sich eine Rechts­par­tei bil­det mit einem popu­lis­ti­schen Pro­gramm und einer cha­ris­ma­ti­schen Füh­rung … Der Gedan­ke einer gro­ßen Koali­ti­on weckt mehr Unbe­ha­gen als Zuver­sicht. Wo also bleibt die Bewe­gungs­fä­hig­keit der Uni­on?” Strauß sorg­te sich um Bay­ern und Deutsch­land und daher um die struk­tu­rel­le Mehr­heits­fä­hig­keit des nicht-lin­ken Lagers. Bes­ser als sei­ne ver­zag­ten Wider­sa­cher in der CDU ver­stand es Strauß die CSU zu einer all­um­fas­sen­den Kraft der Mit­te und der Rech­ten zu for­men, indem er aus „libe­ra­li­tas bava­riae”, christ­lich-sozia­ler und staats­in­ter­ven­tio­nis­ti­scher Markt­wirt­schaft, baye­ri­schem Hei­mat­ge­fühl und natio­nal­kon­ser­va­ti­vem Den­ken eine anti­so­zia­lis­ti­sche Volks­par­tei machte.
Alle Strö­mun­gen fan­den sich wie­der in Pro­gram­ma­tik und Per­so­nal: auch und gera­de die Kon­ser­va­ti­ven. Der Kon­ser­va­ti­vis­mus hat­te in den Nach­kriegs­jah­ren eine tech­no­kra­ti­sche und prag­ma­ti­sche Rich­tung ein­ge­schla­gen und war eng mit der West­bin­dung und dem Wirt­schafts­wun­der ver­knüpft. Natio­nal­kon­ser­va­ti­vis­mus im Sin­ne mili­tä­ri­scher Stär­ke und Selbst­be­stim­mung der Deut­schen war vor dem Hin­ter­grund der Ost-West-Kon­fron­ta­ti­on und der deut­schen Tei­lung nur in Kom­bi­na­ti­on mit dem Frei­heits­pa­thos des Anti­kom­mu­nis­mus der west­li­chen Sie­ger­mäch­te denk­bar. Das erklär­te auch die posi­ti­ve Hal­tung des kon­ser­va­ti­ven main­stream gegen­über Bun­des­wehr und Ein­bin­dung in die Nato, für die Strauß als Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter maß­geb­li­che Ver­ant­wor­tung getra­gen hatte.

Aber damit war es nach der Spie­gel-Affä­re vor­bei, und in den sech­zi­ger Jah­ren such­te Strauß sich auf dem Feld der Außen­po­li­tik neu zu pro­fi­lie­ren. Wäh­rend der Dis­kus­si­on um den Atom­waf­fen­sperr­ver­trag – Ade­nau­er hat­te von einem dro­hen­den „Super-Ver­sailles” gespro­chen – setz­te er sich dezi­diert für eine ato­ma­re Bewaff­nung der Bun­des­wehr sein. Daß die­se Art von „Gaul­lis­mus” von Armin Moh­ler publi­zis­tisch ver­tei­digt wur­de, kann nicht ver­wun­dern, und unter dem Ein­druck von Neu­er Lin­ker und Stu­den­ten­be­we­gung such­te Strauß sowie­so nach Mög­lich­kei­ten, publi­zis­tisch auf­zu­rüs­ten. Sein neu­er Mann für das CSU-Par­tei­blatt Bay­ern­ku­rier wur­de Mar­cel Hepp. Die­ser hat­te mit sei­nem Bru­der, dem spä­te­ren Sozio­lo­gie­pro­fes­sor Robert Hepp, wäh­rend sei­nes Stu­di­ums in Tübin­gen zur „Katho­li­schen Front” gehört, die noch im Jahr ihrer Grün­dung 1959 auf Druck des Bischofs von Rot­ten­burg in „Kon­ser­va­ti­ve Front” umbe­nannt wer­den muß­te. Im Herbst 1965 ging Mar­cel Hepp auf Ver­mitt­lung Moh­lers als „Per­sön­li­cher Refe­rent” zu FJS, erhielt ein eige­nes „Büro des Lan­des­vor­sit­zen­den”, um Strauß’ Bon­ner und Mün­che­ner Inter­es­sen zu koor­di­nie­ren. 1967 wur­de Hepp „Geschäfts­füh­ren­der Her­aus­ge­ber” eines Bay­ern­ku­riers, gegen den die heu­ti­ge Jun­ge Frei­heit zahm und der heu­ti­ge Bay­ern­ku­rier zahn­los wirkt. Auch sein Nach­fol­ger als Chef­re­dak­teur, Wil­fried Schar­nagl, hat­te dem Blatt noch intel­lek­tu­el­le Impul­se gege­ben. Sein neu­es Buch (Wil­fried Schar­nagl: Mein Strauß. Staats­mann und Freund, Mün­chen: Ars Una 2008. 303 S., 29.80 €) reicht hin­ge­gen nicht an sei­nen gro­ßen Wurf her­an, den er mit der Abfas­sung von Strau­ßens Erin­ne­run­gen lan­den konn­te. Der frü­he Tod Hepps 1970 been­de­te auch Moh­lers Epi­so­de par­tei­po­li­ti­scher Zuar­beit, die erst mit den Repu­bli­ka­nern Franz Schön­hu­bers wie­der auf­leb­te. Schön­hu­bers Mit­glied­schaft im „Fran­zens-Club” um FJS erin­nert des­sen Sohn Franz Georg Strauß vor allem nega­tiv. (Franz Georg Strauß: Mein Vater. Erin­ne­run­gen. Mün­chen: Herbig 2008. 304 S., 19.95 €) Schön­hu­ber hät­te bewußt Unwahr­hei­ten gestreut, um sich inter­es­sant zu machen. In den ansons­ten nur mäßig inter­es­san­ten Erin­ne­run­gen an sei­nen Vater ist denn auch Schön­hu­ber einer der weni­gen, den er schlecht aus­se­hen läßt.
Nach der für die Uni­on knapp ver­lo­re­nen Bun­des­tags­wahl von 1969 (46,1 Pro­zent), die den Sei­ten­wech­sel des Koali­ti­ons­part­ners FDP und 4,3 Pro­zent für die – damals anders als heu­te – bür­ger­lich-natio­na­lis­ti­sche NPD mit sich brach­te, sah Strauß die struk­tu­rel­le Mehr­heits­fä­hig­keit der CDU/CSU gefähr­det. Das Pro­blem erkann­ten auch ande­re, die Publi­zis­ten und Pro­fes­so­ren etwa, die an einem intel­lek­tu­el­len roll back, der soge­nann­ten „Ten­denz­wen­de” arbei­te­ten, und die Krei­se, die Plä­ne zur Grün­dung einer „Vier­ten Par­tei” neben Uni­on, SPD und FDP schmie­de­ten. Ers­te Ver­su­che erga­ben sich aus der Ableh­nung der sozi­al-libe­ra­len Ost­po­li­tik durch den ver­blie­be­nen natio­nal­li­be­ra­len Flü­gel der FDP. Der nord­rhein-west­fä­li­sche Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Sieg­fried Zogl­mann grün­de­te 1970 mit dem baye­ri­schen FDP-Lan­des­vor­sit­zen­den Diet­rich Bah­ner und ande­ren Mit­glie­dern des Hohen­sy­bur­ger Krei­ses die „Natio­nal­li­be­ra­le Akti­on” (NLA), die 1971 in die „Deut­sche Uni­on” (DU) über­führt wur­de. Als das Schei­tern der DU als eigen­stän­di­ge Par­tei abseh­bar wur­de, wech­sel­te er im Novem­ber 1974 zur CSU.

Aber natür­lich konn­te Strauß nicht jeden Natio­nal­li­be­ra­len und Rechts­kon­ser­va­ti­ven direkt in die CSU inte­grie­ren und so man­ches Defi­zit der CDU behe­ben. Auch war nicht jeder kon­ser­va­ti­ve Wäh­ler außer­halb Bay­erns bereit, die CDU zu wäh­len, nur weil es die CSU gab. Nach­dem die Uni­on auch die Bun­des­tags­wah­len 1976, wenn auch mit 48,6 Pro­zent äußerst knapp, ver­lo­ren hat­te, trieb Strauß die legen­dä­ren Beschlüs­se von Wild­bad Kreuth vor­an. Er kün­dig­te der CDU die Frak­ti­ons­ge­mein­schaft im Bun­des­tag und setz­te auf das Mot­to „Getrennt mar­schie­ren, ver­eint schla­gen”. Die CSU soll­te bun­des­weit antre­ten, um so das gan­ze bür­ger­li­che Lager anzu­spre­chen. Die CDU für die Mit­te, die CSU für die Rech­te. Die Ant­wort des gera­de geschei­ter­ten Kanz­ler­kan­di­da­ten Hel­mut Kohl war ein­deu­tig: dann tre­te die CDU auch in Bay­ern an. Kohls Opti­on war nicht die abso­lu­te Mehr­heit der Uni­on – schon gar nicht unter Zuhil­fe­nah­me einer bun­des­wei­ten CSU, son­dern die Koali­ti­on mit der FDP. Für die CSU muß­te die­se Kriegs­er­klä­rung der CDU den Rück­zug bedeu­ten, denn die CSU leb­te in Bay­ern von ihrem Nim­bus als baye­ri­sche Staats- und Volks­par­tei. Sie war es nicht, die Pro­ble­me damit hat­te, allei­ne die abso­lu­te Mehr­heit zu holen. Eine zusätz­li­che baye­ri­sche CDU hät­te die­se Opti­on gestört, viel­leicht zer­stört. Hin­zu kam das nicht von der Hand zu wei­sen­de Argu­ment, daß eben jener Cha­rak­ter als „der” baye­ri­schen Volks­par­tei hät­te Scha­den neh­men kön­nen, bei Ver­en­gung auf ein rein kon­ser­va­ti­ves Pro­gramm und Per­so­nal in den ande­ren Bun­des­län­dern. Eine Wie­der­ho­lung erleb­te die­ses Kon­zept in Gestalt der „Deut­schen Sozia­len Uni­on” (DSU), die sich im Zuge der Wie­der­ver­ei­ni­gung in Mit­tel­deutsch­land gegrün­det hat­te. Auch hier war Schluß, als sich die DSU auf das gan­ze Bun­des­ge­biet aus­deh­nen wollte.
Die Wie­der­ver­ei­ni­gung hat Strauß nicht mehr erlebt, er war am 3. Okto­ber 1988 ver­stor­ben. Sei­ne Poli­tik war in der letz­ten Pha­se sei­ner Tätig­keit bei wei­tem nicht mehr von jener Sicher­heit bestimmt, die sie lan­ge gekenn­zeich­net hat­te. Trotz­dem ist unbe­streit­bar, daß er für vie­le kon­ser­va­ti­ve und rech­te Intel­lek­tu­el­le sei­ner Zeit Auf­trag­ge­ber, Gesprächs­part­ner, Rezi­pi­ent war; sie hat­ten in Strauß einen Bezugs­punkt in der Real­po­li­tik. 20 Jah­re ist es her.

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