War Ernst Rowohlt ein Nazi?

pdf der Druckfassung aus Sezession 25/August 2008

sez_nr_253Ob es Günter Grass, Theodor Oberländer oder andere betrifft: Welche Möglichkeiten gibt es, einen anderen Menschen oder wenigstens sein Handeln zu verstehen, insbesondere dann, wenn die Zeiten, in denen sie lebten, von der unseren so grundverschieden waren? Was Wilhelm Dilthey und seine Schule bis ins kleinste durchdacht haben, beschränkt sich heute auf eine einfache Antwort: Laßt die Fakten sprechen. Als Nörgler steht man da, wenn man zaghaft fragt: Was sind das - Fakten? Und selbst wenn über diese Fakten Einigkeit herrscht, stellt sich die Frage nach der Interpretation, nach dem Verstehen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.


Doch die­ser Mühe muß man sich heu­te nicht mehr unter­zie­hen. Man hat sich auf das Erklä­ren ver­legt, das sei­ne Hei­mat in der Natur­wis­sen­schaft hat und eine Kau­sa­li­tät anneh­men muß, ohne die natur­wis­sen­schaft­li­che Phä­no­me­ne nicht erklär­bar wären. Dar­aus wird in Zei­ten der Wis­sen­schafts­gläu­big­keit ein abso­lu­tes Welt­bild. Es reiht Phä­no­me­ne nach einem bestimm­ten Mus­ter anein­an­der, und am Ende steht die Bestä­ti­gung einer Theo­rie, die schon in den Vor­aus­set­zun­gen gege­ben war. In die­ser Art und Wei­se geht die Indus­trie der Auf­ar­bei­tung vor. Ihr genü­gen drei The­sen, um die Ver­gan­gen­heit eines jeden, der das Pech hat­te, zwi­schen 1933 und 1945 in Deutsch­land gelebt zu haben, zu erklä­ren: 1. Was der Ein­zel­ne über sein eige­nes Han­deln und die Grün­de sagt, ist in jedem Fall falsch. 2. Jeder, der nicht im KZ geses­sen hat, ist kri­mi­nell. 3. Dif­fe­ren­zie­run­gen sind grund­sätz­lich zu vermeiden.
Soll­te der Ein­druck ent­stan­den sein, daß sich die Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung etwas ent­spannt hat, ist die­ser falsch. Es kann, wie aus hei­te­rem Him­mel, jeden tref­fen, jüngst auch den Ver­le­ger Ernst Rowohlt (1887–1960).
Der Hin­ter­grund: Der Rowohlt-Ver­lag, der seit 1982 zum Holtz­brinck-Kon­zern gehört, fei­ert in die­sem Som­mer sein ein­hun­dert­jäh­ri­ges Bestehen. Des­halb ist ein opu­len­ter Jubi­lä­ums­band erschie­nen (sie­he Sezes­si­on 24), der die­se 100 Jah­re Revue pas­sie­ren läßt: die Grün­dung als Ver­lag der lite­ra­ri­schen Moder­ne, in dem Kaf­ka sein ers­tes Buch ver­öf­fent­lich­te, die Neu­grün­dung nach dem Ers­ten Welt­krieg als Ver­lag, der eine neue Art des Sach­buchs (was man heu­te als Kul­tur­ge­schich­te bezeich­net) ent­wi­ckel­te, in sei­nem Bestand rech­te und lin­ke Autoren ver­sam­mel­te (bei­spiels­wei­se Kurt Tuchol­sky und Ernst von Salo­mon) und der die moder­ne ame­ri­ka­ni­sche Lite­ra­tur für Deutsch­land entdeckte.
Was zum Streit füh­ren muß­te, war die Dar­stel­lung des Ver­lags in der NS-Zeit, die den drei genann­ten The­sen nicht ent­sprach, nicht ent­spre­chen konn­te. Das rief den Spie­gel auf den Plan: „Der legen­dä­re Ver­le­ger Ernst Rowohlt umgab sich gern mit der Aura des trink­fes­ten Lebe­man­nes und ent­schie­de­nen Nazi-Geg­ners – ent­spre­chend ungern wird jetzt, zum 100-Jah­re-Jubi­lä­um der Grün­dung des Rowohlt-Ver­lags, über sei­ne dubio­se Tätig­keit in der Wehr­macht gere­det.” Der Ein­wand des heu­ti­gen Ver­lags­lei­ters, Alex­an­der Fest, es han­de­le sich um eine Ver­lags­ge­schich­te, nicht um eine Bio­gra­phie Rowohlts, wird vom Spie­gel mit dem Hin­weis auf die anhal­ten­de Iden­ti­tät von Ver­lag und Grün­der bei­sei­te gescho­ben. Die­ses Argu­ment hat sicher sei­ne Berech­ti­gung. Damit wird aller­dings auch impli­ziert, daß es sich bei Ernst Rowohlt um kei­ne sub­al­ter­ne Exis­tenz han­delt, die mal einen Ver­lag gegrün­det hat, son­dern um eine Per­sön­lich­keit, bei der man eben mehr Pro­blem­be­wußt­sein ver­mu­ten dürf­te als bei ande­ren Zeitgenossen.

Die gan­ze Geschich­te des Rowohlt-Ver­lags in den drei­ßi­ger Jah­ren ist oft erzählt wor­den, nicht zuletzt von Salo­mon in sei­nem Fra­ge­bo­gen, und auch schon oft genug kri­ti­siert wor­den. Vor ziem­lich genau 25 Jah­ren, zum 75. Jubi­lä­um des Ver­lags, ritt die tages­zei­tung eine ähn­lich Atta­cke: „Der Ver­le­ger Rowohlt war wirk­lich in kei­ner Lage ver­le­gen um Aus­re­den, Geschichts­fäl­schung, unglaub­li­che Ver­drän­gungs­akro­ba­tik, Eigen­lob, Schön­fär­be­rei, dop­pel­te Moral, Instinkt für die For­de­run­gen der Zeit, Geschäfts­sinn. Nur eines war er nicht, ein Mann, der sich sei­ner Ver­ant­wor­tung bewußt ist.” Der Sohn und Nach­fol­ger, Hein­rich Maria Ledig-Rowohlt (1908–1992), kom­men­tier­te dies damals tro­cken: „Das kön­nen jun­ge Leu­te heu­te schrei­ben, weil sie nicht wis­sen, wie es damals war.” Heu­te wie damals muß man sich die Fra­ge stel­len, was wirft man Rowohlt eigent­lich vor?
Zunächst ein­mal: Rowohlt ver­leg­te bis 1938 in Deutsch­land Bücher, war damit ein glat­ter Oppor­tu­nist, der Geschäf­te machen woll­te. Als Beleg dafür führt der Spie­gel an, daß Rowohlt, der vor 1933 „nazi­kri­ti­sche Schrif­ten” ver­legt hat­te, den Bild­band Ein Volk steht auf ins Pro­gramm nahm. Ledig spricht von Tar­nung, was näher­liegt als die Unter­stel­lung einer Nazi-Gesin­nung. Davon abge­se­hen: Es war bekannt, die voll­stän­di­ge Biblio­gra­phie der betref­fen­den Jah­re liegt seit 1962 vor. Ledig: „Ver­bor­gen haben wir das nie.” Was hät­te Rowohlt nach Mei­nung des Spie­gels tun sol­len? Es wird zwar erwähnt, daß der Rowohlt-Ver­lag von den Bücher­ver­bo­ten nach 1933 mit am stärks­ten betrof­fen war, doch hät­te man eben­so­gut Bücher anfüh­ren kön­nen, die die Argu­men­ta­ti­on des Spie­gel ad absur­dum füh­ren wür­den: Erwin Topfs Die grü­ne Front, eine Kri­tik am „Blut und Boden”-Konzept erschien noch 1933. Und durch die Ver­öf­fent­li­chung der Kor­re­spon­denz zwi­schen Rowohlt und sei­nem Best­sel­ler­au­tor Fal­la­da sind wir in der Lage, nach­zu­voll­zie­hen, wie schwie­rig es war, damals ver­nünf­ti­ge Bücher zu machen. Das ist aber nicht der Punkt.
Im Juli 1938 wird Rowohlt wegen „Tar­nung jüdi­scher Autoren” aus der Reichs­schrift­ums­kam­mer (RSK) aus­ge­schlos­sen, was einem Berufs­ver­bot gleich­kam. Im „Jah­res­la­ge­be­richt 1938 des Sicher­heits­haupt­am­tes” (Sicher­heits­dienst der SS) heißt es rück­bli­ckend: „Die Aus­schal­tung poli­tisch unzu­ver­läs­si­ger Ele­men­te aus dem Buch­ver­lag, der dem welt­an­schau­li­chen Geg­ner noch in wei­tem Umfan­ge als Kampf­ba­sis ver­blie­ben war, hielt an. Bei­spiels­wei­se wur­de der frü­he­re kul­tur-bol­sche­wis­ti­sche Ver­le­ger Rowohlt von jeder ver­le­ge­ri­schen Tätig­keit aus­ge­schlos­sen”. Rowohlt ver­läßt am 19. Novem­ber 1938 Deutsch­land und reist nach Bra­si­li­en, der Hei­mat sei­ner dama­li­gen Frau, wo er bis 1940 bleibt. Der zwei­te Vor­wurf lau­tet also: Rowohlt kehr­te nach Deutsch­land zurück. War­um? Rowohlt selbst sagt: Er woll­te wie­der ver­le­gen, sah 1940 den Zusam­men­bruch kom­men, konn­te nicht abseits ste­hen in der Stun­de der Not. Der Spie­gel bezwei­felt dies und nennt als mög­li­che Grün­de: Lan­ge­wei­le und Ent­frem­dung von der Frau. Spon­tan fal­len einem ande­re ein: Heim­weh und Aben­teu­er­lust. Was soll er in Bra­si­li­en, wenn Deutsch­land kämpft (als er ver­reis­te, war noch kein Krieg)? Hin­zu kommt, daß 1939 sei­ne Mut­ter starb und ihm ein Erbe zustand, das er in Anspruch neh­men woll­te. Der Ver­le­ger­kol­le­ge Karl Baur, Callw­ey-Ver­lag, hat die Situa­ti­on erlebt: „Es kam der Krieg. Den alten Sol­da­ten zog es, allen Erfah­run­gen zum Trotz, nach Hau­se. […] Ob ich an sei­ner Stel­le zurück­ge­kom­men wäre? Ihm aber wog sei­ne Ver­pflich­tung als Deut­scher und Offi­zier schwe­rer als alles, was man ihm zuge­fügt hat­te.” Der Spie­gel erweckt dage­gen den Ein­druck, als ob Rowohlt vom sol­da­ti­schen Eifer zer­fres­sen gewe­sen wäre, weil er unbe­dingt noch vor dem End­sieg sei­ne Regime­treue unter Beweis stel­len wollte.

Löb­lich ist, daß der Spie­gel recher­chiert hat, was Rowohlt bei der Wehr­macht mach­te (drit­ter Vor­wurf: Rowohlt war in der Wehr­macht). Er war bei einer Pro­pa­gan­da­trup­pe in Grie­chen­land und im Kau­ka­sus ein­ge­setzt. Was ist dar­an schlimm? Die Eck­da­ten ste­hen bereits in der Bio­gra­phie von May­er, über die genau­en Auf­ga­ben, ins­be­son­de­re sei­ne kon­kre­ten Betei­li­gun­gen an irgend­wel­chen anti­se­mi­ti­schen Pro­pa­gan­da­ak­tio­nen kann auch der Spie­gel nur spe­ku­lie­ren, da im Janu­ar 1943, beim Rück­zug aus dem Kau­ka­sus, alle Akten ver­nich­tet wurden.
Rowohlt wur­de am 30. Juni 1943 als „poli­tisch unzu­ver­läs­sig” aus der Wehr­macht ent­las­sen, ver­mut­lich weil man sei­ne Unter­schrift unter einem Auf­ruf von 1927 zur Über­prü­fung des Urteils gegen Max Hoelz fand. Der Spie­gel schreibt: „Sei­ne Ent­las­sung bedau­er­te er.” Was den Ein­druck erwe­cken soll, daß Rowohlt lie­ber wei­ter Krieg geführt hät­te. Viel­leicht. Näher liegt aber die Annah­me, daß er befürch­te­te damit aus dem Schutz der Wehr­macht ent­las­sen zu sein. Daß die Wehr­macht Schutz bot, ist bekannt. Der oben erwähn­te Erwin Topf ist, wie auch Gott­fried Benn, ein schö­nes Bei­spiel: „Dr. Topf hat­te genau das getan, was man damals mach­te, wenn man in Gefahr geriet, von der Gesta­po ver­haf­tet zu wer­den: Er hat­te sich reak­ti­vie­ren las­sen als Oberst der Wehr­macht – da konn­te auch die Gesta­po nichts mehr wol­len.” (Ledig)
Vier­ter Vor­wurf: „Was er [im März 1946] ver­schwieg und was auch in der Rowohlt-Chro­nik nicht vor­kommt: Er spen­de­te vor sei­ner Bra­si­li­en-Fahrt Geld an eine SS-Staf­fel in unbe­kann­ter Höhe.” Zunächst: Wer hät­te das damals nicht ver­schwie­gen? Auch klingt der Vor­wurf so, als hät­te Rowohlt jeman­den umge­bracht, oder es läge eine Spen­den­af­fä­re wie bei der CDU vor. Viel­leicht waren es zehn Mark für eine ver­lo­re­ne Wet­te? Viel­leicht woll­te er sich das Wohl­wol­len von irgend jeman­dem erkau­fen? Immer­hin ver­such­te er, gegen das im Juli 1938 aus­ge­spro­che­ne Berufs­ver­bot vor­zu­ge­hen und hoff­te viel­leicht, auf die­se Wei­se Unter­stüt­zung zu erhal­ten? Nicht schön – aber doch zu ver­ste­hen. Daß hin­ter den Kulis­sen die Strip­pen gezo­gen wur­den, belegt Baur, der mehr­fach das Minis­te­ri­um ein­schal­te­te, um eben das Schlimms­te, ein Berufs­ver­bot, zu verhindern.
Daher läßt sich auch Rowohlts Mit­glied­schaft in der NSDAP (fünf­ter Vor­wurf) erklä­ren. Er selbst kom­men­tier­te dies so: „Wenn ich nicht Mit­glied bin, kön­nen sie mich um so leich­ter matt set­zen.” Zeit­ge­nos­sen nah­men die­sen Schritt nicht ernst (Hans Zeh­rer) oder hiel­ten ihn für naiv (Theo­dor Eschen­burg). Kei­ner wäre auf die Idee gekom­men, dar­in Rowohlts Gesin­nung aus­ge­drückt zu sehen. Zu ver­ste­hen ist auch, war­um Rowohlt sich im August 1943 um die Bestä­ti­gung sei­ner Par­tei­mit­glied­schaft bemüh­te. In der NS-Poly­kra­tie war es über­le­bens­wich­tig, irgend­ei­ner Orga­ni­sa­ti­on anzu­ge­hö­ren, um deren Schutz in Anspruch neh­men zu können.
Sechs­ter Vor­wurf ist ein Brief an Sin­clair Lewis von 1933. Die zitier­ten Stel­len aus dem Brief an Lewis recht­fer­ti­gen das Vor­ge­hen gegen die Juden. Eine „gewis­se anti­se­mi­ti­sche Bewe­gung der Natio­nal­so­zia­lis­ten” sei ange­sichts des jüdi­schen Ein­flus­ses durch­aus berech­tigt gewe­sen. Aller­dings kam das Schlimms­te für die Juden noch. Bis Ende 1933 waren Juden durch Geset­ze und Boy­kott ent­rech­tet wor­den. Daß Rowohlt ange­sichts die­ser Maß­nah­men von „unge­heu­ren Här­ten” spricht, zeigt doch, daß er bereits das als unge­heu­er­lich emp­fin­det – und den­noch recht­fer­tigt. Rowohlts Sohn Har­ry (geb. 1945), der bekann­te Über­set­zer, hat dazu die Ver­mu­tung geäu­ßert, daß die­se Aus­sa­gen von einem Lin­ken (Theo­dor Eschen­burg: „Im Grun­de genom­men war Rowohlt immer ein Links­ra­di­ka­ler gewe­sen. Aber das nicht etwa, weil er sel­ber links­ra­di­kal war, son­dern weil er fand, daß das die inter­es­san­te­ren Leu­te sei­en.” Rowohlt war Mit­glied der „Freun­de der Sowjet­uni­on”.) an einen Lin­ken „viel­leicht für Mit­le­ser” gedacht waren. Damit demons­triert er eine Mög­lich­keit, die ver­ste­hen möch­te, weil das Zitat so gar nicht mit dem zusam­men­paßt, was man von Rowohlt sonst über sein Ver­hält­nis zu Juden weiß.

Immer­hin hat er sie bis zuletzt gedeckt und dabei sogar sei­nen Ver­lag ris­kiert und schließ­lich auch ver­lo­ren. Ein schö­nes Bei­spiel dafür ist Paul May­er, seit 1919 Lek­tor bei Rowohlt, der 1938 emi­grie­ren konn­te und nach Rowohlts Tod die­sem mit sei­ner Bio­gra­phie ein Denk­mal (das dem Spie­gel gar nicht gefällt) gesetzt hat. Wenn Rowohlt der gewe­sen wäre, für den ihn der Spie­gel hält, hät­te er das wohl nicht gemacht. Neben­bei bemerkt: Wenn der Arti­kel des Spie­gel kei­ne denun­zia­to­ri­sche Ten­denz haben soll­te, wäre posi­tiv ver­merkt wor­den, daß May­er Jude war. Das wird aber verschwiegen.
Ver­schwei­gen, Unter­stel­lun­gen und ein fal­scher Zun­gen­schlag bestim­men die­sen Ver­such, Rowohlt etwas anzu­hän­gen. Das Infa­me besteht in die­sem Fall dar­in, daß es sich bei Rowohlt um einen in jeder Hin­sicht vor­bild­li­chen Men­schen han­del­te, der sich nach allen Zeug­nis­sen mensch­lich tadel­los gehal­ten hat. Um das zu erken­nen, muß man die Situa­ti­on offen­bar selbst erlebt haben oder aber wenigs­tens ver­ste­hen wol­len, und das bedeu­tet, dem ande­ren zunächst ein­mal (wenn nicht patho­lo­gi­sches oder kri­mi­nel­les Ver­hal­ten vor­liegt) nichts zu unter­stel­len, was einem selbst fremd wäre. „Auf der Grund­la­ge des Erle­bens und des Ver­ste­hens sei­ner selbst, und in bestän­di­ger Wech­sel­wir­kung bei­der mit­ein­an­der, bil­det sich das Ver­ste­hen frem­der Lebens­äu­ße­run­gen und Per­so­nen.” (Dil­they) Ver­ste­hen ist ein Pro­zeß, der nicht ohne eige­nen Ein­satz zu haben ist. Zunächst muß man dabei beach­ten, „daß man das Ver­hal­ten der unter Dik­ta­to­ren Leben­den und Aus­hal­ten­den nicht an Maß­stä­ben mes­sen soll­te, die in libe­ra­len Demo­kra­tien üblich sind” (Gott­fried Dietze).
Rowohlt war Ver­le­ger aus Lei­den­schaft. Er ver­leg­te „Bücher, um das Leben stär­ker zu füh­len” (Fried­rich Sieburg). Er reprä­sen­tier­te in der Wei­ma­rer Repu­blik ein welt­an­schau­lich nicht fest­ge­leg­tes Pro­gramm, das Qua­li­tät in den Mit­tel­punkt stell­te. Das brach­te ihm nach 1933 den Vor­wurf des „Kul­tur­bol­sche­wis­mus” ein. Sein Bemü­hen auch nach 1933 sei­ner Ver­ant­wor­tung als „Mitt­ler des geis­ti­gen Gutes” (Jean Gebser) nach­zu­kom­men, kann unter dem gegen­wär­ti­gen Dif­fe­ren­zie­rungs­ver­bot nicht gewür­digt wer­den. Den „letz­ten Feld­zug gegen den Adel des Men­schen” (Jas­pers) hat der miß­güns­ti­ge Klein­geist, in die­sem Fall die Spie­gel-Jour­na­lis­ten, gewon­nen. Wenn Rowohlt ange­sichts die­ser Sach­la­ge auf­ge­ge­ben hät­te, wären sei­ne Ange­stell­ten arbeits­los gewe­sen, was beson­ders für die bei­den jüdi­schen Lek­to­ren schlim­me Kon­se­quen­zen gehabt hät­te. (Auch im NS muß­te man Essen und Mie­te bezah­len, Geld ver­die­nen.) Rowohlt war kein Sama­ri­ter, der half, um zu hel­fen. Er konn­te nur hel­fen, wenn er erfolg­reich Bücher ver­le­gen wür­de. Dem hat er alles unter­ge­ord­net. Bis zu einem Punkt, an dem es nicht mehr wei­ter­ging. Wenn man so will, hat er die klei­nen Lügen gewählt, um den gro­ßen Ver­rat nicht bege­hen zu müs­sen. Und nach Sach­la­ge hat er ihn nicht began­gen. Wer kann das heu­te von sich behaupten?

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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