… den nach Form suchenden Nachkommen ein Vorbild hinzustellen. Daran konnten sie sich orientieren und abarbeiten. Die selbstverständliche Bedigung war, daß dem Jugendlichen nur nachahmenswerte Lebensgeschichten zur Lektüre gegeben wurden. Die dunklen Seiten der Biographien sollten, wenn überhaupt, erst dem bereits geformten Charakter begegnen.
Wenn ich das auch heute noch für vermittelbar halte, denke ich dabei weniger an die Bücher von Thomas Carlyle als beispielsweise die Autobiographie von Benjamin Franklin. Er zeichnete sein Leben auf, durchaus nicht uneitel, weil er seinen Erfolg für nachahmenswert hielt, so daß er bei seinen Nachkommen ein Interesse für die Mittel vermuten durfte, die seinen Erfolg (vom Sohn eines Kerzenmachers zum Staatsmann) ermöglichten. Sein Grundrezept ist der „gesunde Menschenverstand”, der sich ganz einfach von der Erfahrung leiten läßt. Obwohl nicht im strengen Sinne gläubig, faßte Franklin das in folgendem Gebet zusammen:
O allmächtige Güte, mildtätiger Vater, barmherziger Führer! Vermehre in mir jene Weisheit, die meinen wahren Vorteil erkennt! Stärke meine Entschlüsse, das zu vollbringen, was jene Weisheit vorschreibt! Nimm meine freundlichen Dienste gegen deine übrigen Kinder als die einzige in meinen Kräften stehende Erwiderung für deine unaufhörlichen Gnaden gegen mich an!
Wer hier die „protestantische Arbeitsethik” durchscheinen sieht, liegt sicher richtig. Dennoch ist der „wahre Vorteil” der Maßstab. Wenn es bei Franklin heißt: „Iß nicht bis zum Stumpfsinn, trink nicht bis zur Berauschung.” geschieht dies um des Vorteils willen. Die Erfahrung sagt, daß sich nüchtern, zumindest wenn man selbst nüchtern ist, bessere Geschäfte machen lassen. Um sich in diesen Eigenschaften zu stärken und einer ständigen Prüfung zu unterziehen, hat sich Franklin ein Büchlein angelegt, in das er eintrug, ob er sich seinen Grundsätzen entsprechend verhalten hat. Jeden Abend hieß es: „Prüfe den verlebten Tag.”
Kant formulierte die Maximen des „gesunden Menschenverstandes” wie folgt:
1) Selbst zu denken
2) Sich an der Stelle eines andern zu denken, und
3) jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken
Der „gesunde Menschenverstand” ist nicht die einzige und letzte Erkenntnismöglichkeit des Menschen. Wer ihm zutraut, über die letzten Dinge zu urteilen, begeht einen schweren Fehler und überfordert diesen Menschenverstand, macht ihn gleichsam krank. Er ist, und das haben auch seine ehrlichen Kritiker immer anerkannt, eine gute Basis, auf die sich aufbauen läßt.