Durch die Troika Schmitt-Heidegger-Benn sind wir ja einiges gewohnt, was die Problematik der Verstrickung von Intellektuellen mit dem Nationalsozialismus und ihre Folgen betrifft. Auch Ezra Pound, mit seiner Mussolini-Verehrung, gehört zu diesen problematischen Personen, ebenso Knut Hamsun, der gar seine Nobelpreis-Medaille dem Führer vermachte – sei es nun aus Verehrung oder aus Verwirrung. Doch sind die Genannten politisch eher der Rechten zuzuordnen, passen also in das gängige, vorgefertigte Schema von Intellektualität und Ressentiment. Anders verhält es sich bei Céline: radikaler Pazifist, lange gehegte Sympathien für den Kommunismus, selbsternannter Anarchist. Erst 1936, nach einem Besuch im damaligen Leningrad, wendet er sich enttäuscht und verbittert von den kommunistischen Idealen und deren sowjetischer Realität ab. Also einer, der sich irgendwo auf dem Dritten Weg, zwischen Liberalismus und Kommunismus, verzettelte? Doch gegen diese, vielleicht unglückliche, Verzettelung sprechen die Indizien, die wie erdrückende Beweise daherkommen. Es sind vor allem seine drei Pamphlete aus den Jahren 1937 bis 1941 (Bagatelles pour un massacre, L’École des cadavres, Les Beaux Draps), durchzogen von einem absurd krassen Judenhaß, deren Nachdruck bis heute von den Erben untersagt ist (worunter komischerweise auch sein antikommunistischer Text Mea Culpa fällt).
Als Zeuge tritt unter anderem Ernst Jünger auf, der in seinen Strahlungen von einer Begegnung mit Céline berichtet, 1941 im Deutschen Institut in Paris. Selbsterwählter Aristokrat trifft auf trotzigen Widerling, einen manisch vor sich hin quatschenden Fanatiker mit vernachlässigtem Äußeren, der sich von den Menschen und vom Tod verfolgt fühlt und seine Verwunderung darüber äußert, daß die deutsche Besatzungsmacht die Juden nicht auf der Stelle alle umbringt.
Wie anders fing das doch an. Célines erster großer Text, die Dissertation von 1924, ist noch von einem geradezu romantischen Humanismus geprägt (Leben und Werk des Philipp Ignaz Semmelweis, Wien: Karolinger 1980. 80 S., br, 13.20 €). Es ist keine medizinische Doktorarbeit im herkömmlichen Sinne, sondern eine poetische Hommage an den „Retter der Mütter”, den tragischen Bekämpfer des Kindbettfiebers, den Hygienepionier. Der angehende Mediziner Destouches (so Célines bürgerlicher Name) will dem fast vergessenen Kollegen Semmelweis Gerechtigkeit widerfahren lassen und nimmt es dabei mit den Fakten nicht immer allzu genau. Die Hygiene wird sein medizinisches Thema bleiben.
Der nächste große Text erscheint dann 1932 unter dem Pseudonym Céline und ist der Roman, der wie ein gewaltiges Gewitter auf die französische Literatur niedergeht und der ihn schlagartig berühmt machen wird: Voyage au bout de la nuit (Reise ans Ende der Nacht) – ein Monstrum von einem Roman, voller Haß, Verachtung und Verzweiflung, die literarische Hochsprache mit dem argot, dem derben Soziolekt der Pariser Vororte, mischend. Auch wenn die folgenden Bücher – besonders Mort à crédit (Tod auf Kredit) und die Trilogie über Célines Flucht durch das untergehende Deutschland 1944/45 – stilistisch und kompositorisch wesentlich souveräner und ausgereifter sind: die Reise ist das Werk, mit dem er sich in die Weltliteratur eingeschrieben hat und das noch immer so viele Verehrer findet. Übrigens auf rechter wie auf linker Seite, von Anfang an: Léon Daudet war Célines erster Fürsprecher, durch eine enthusiastische Besprechung der Reise in der Action Française – kurz darauf bejubelte ihn Paul Nizan in der kommunistischen L’Humanité.
Gut siebzig Jahre mußte das deutschsprachige Publikum auf eine angemessene Übersetzung der Reise warten, 2003 wird sie von Hinrich Schmidt-Henkel vorgelegt (Reinbek: Rowohlt 670 S., geb, 29.90 €). Und ebenfalls erst jetzt gibt es so etwas wie eine deutsche Biographie über diesen großen Autor. Es wäre vielleicht die Chance gewesen, den Extremen und Widersprüchlichkeiten und vor allem dem Antisemitismus Célines auf den Grund zu gehen. Diese Chance wurde, so scheint es, vertan (Louis-Ferdinand Céline. Reinbek: Rowohlt Taschenbuchverlag 2008. 157 S., br, 8.50 €). Der Autor, Ulf Geyersbach, räumt zwar mit ein paar Klappentextmythen auf – weder kam Céline aus ärmlichen Verhältnissen, noch war er ein klassischer Armenarzt, sondern hatte lange Zeit ruhige und gut dotierte Posten inne. Doch ansonsten mokiert sich Geyersbach vor allem darüber, daß Céline ein „rücksichtsloser Schöpfer des eigenen Lebensromans” war, autobiographische Mythen spann. Das ist nun nichts Außergewöhnliches, und deswegen ein bißchen wenig für eine Biographie.
Was den Antisemitismus Célines, von dem in seinen Romanen übrigens nichts zu spüren ist, betrifft, vertritt Geyersbach die These, daß dieser bereits vor den Pamphleten voll ausgeprägt war. Immerhin schrieb er schon um 1926 das Theaterstück L’Eglise (Die Kirche, Gifkendorf: Merlin 2002. 184 S., kart, 12 €), eine Parodie auf den Völkerbund, für den er als Mediziner arbeitete, und das schon leichte antisemitische Töne aufweist. Céline selbst behauptete immer, daß die ersten beiden Pamphlete aus den Jahren 1937/38 vor allem der Verhinderung eines Krieges zwischen Frankreich und Deutschland dienen sollten – nichts fürchtete der hochdekorierte Veteran des Ersten Weltkrieges mehr als eine erneute kriegerische Auseinandersetzung, und die Juden machte er als Kriegstreiber aus.
Viele nahmen ihn einfach nicht ganz für voll. „Er ist ein primärer Spucker und Kotzer. Er hat ein interessantes elementares Bedürfnis, auf jeder Seite, die er verfaßt, mindestens einmal je Scheiße, Pisse, Hure, Kotzen zu sagen. Worüber ist nebensächlich. […] Jetzt also gegen die Juden. Es ist seine Ausdrucksart, seine Methode. Im nächsten Band wird es die Küstenschiffahrt oder die Behandlung der Gärtnerlehrlinge sein.” So Benn 1938 nach der Lektüre der Judenverschwörung in Frankreich, eine arg verstümmelte Übersetzung von Bagatelles pour un massacre. André Gide ging in seiner berühmten Besprechung dieses Textes noch weiter. Er sah in diesem schriftstellerischen Wüten Célines eine gigantische Satire auf das zeitgenössische antisemitische Schrifttum. Und falls es kein Witz wäre, müßte Céline, nach Gides Meinung, vollkommen verrückt sein. – Wie auch immer, die deutschsprachigen Leser werden dies wohl in absehbarer Zukunft nicht überprüfen können und sich vom Hörensagen nähren müssen. Schade in mehrfacher Hinsicht, die Pamphlete enthalten auch die umfassendste Poetik, die Céline geschrieben hat.
Nehmen wir es also hin, daß ein großartiger Autor ein wirklich mieser Typ sein kann. „Céline war eine seltsame Mischung ausgezeichneter, herausragender Eigenschaften, ein Adliger des Geistes, […] und zugleich ein dahergelaufener dummer Lump, der nur an sich selbst dachte und die Rolle des Märtyrers feilbot, sobald seine Haut bedroht war”, so Thorwald Mikkelsen, Célines Anwalt im dänischen Exil. Angeblich weigerte sich der Pfarrer bei Célines Beerdigung in Meudon an dessen Sarg ein Gebet zu sprechen. Nun, das mag man nachvollziehen, oder unfair finden. Eine vernünftige deutschsprachige Biographie sollte man ihm aber nicht verweigern – über Hitler gibt es ja auch eine ganze Menge.