Auf Seite 1 verkündete Sarah Wagenknecht durchaus treffend: „Klares linkes Profil – Grundlage unseres Erfolges“. Profil zeigen ist sicher kein Fehler, gerade angesichts einer politischen Führungselite, die nur zu gerne um den heißen Brei herumredet. Nun sind aber auch die Kommunisten immer wieder Weltmeister im profillosen Lavieren, vor allem wenn es um allerlei historische Verbrechen und unmenschliche Schweinereien der eigenen „Genossen“ geht. Dann neigt man gerne zum Verschweigen, Kleinreden oder zum Beschönigen im spezifischen Neusprech.
In dem besagten Heftchen zeigt sich dies etwa an einem Beitrag des marxistischen Wissenschaftlers Anton Latzo über die Oder-Neiße-„Friedensgrenze“. Die Vertreibung und Ermordung von Millionen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, für die nun einmal die kommunistischen „Genossen“ in Polen, Tschechien und der Sowjetunion die Verantwortung tragen, wird darin stets mit harmlos klingenden Vokabeln beschönigt: „Umsiedler“ werden die Opfer genannt, „Aussiedlung“ die Vertreibung in Viehwaggons. Bundesdeutsche Kritik an den damaligen Vorgängen wird eine „verhetzende Wirkung“ unterstellt, aus der „Revisionsforderungen“ erwüchsen. Die Anerkennung der politischen Folgen dieses Menschheits-Verbrechens wird hingegen in Bürokratendeutsch als „offene Aufklärung“ über „den politisch-historischen Sachverhalt“ bezeichnet.
Und dieser Anerkennung der Gegebenheiten widmet sich Latzo natürlich auch heute noch mit Engagement:
„Akademische Diskussionen oder politische Manipulationen nach dem Motto ‘Jede Vertreibung ist Unrecht´ helfen da nicht weiter. (es fragt sich wobei; Anm. d. Verf.) Die Positionen, deren Ziele und Inhalte am Mythos des ‘deutschen Ostens´ festhalten und eine Revision historischer Entscheidungen auf der Grundlage von unhaltbaren geschichtspolitischen Umdeutungen vornehmen, werden zu einem Problem für die deutsche Gesellschaft. Die Politik des BdV ist eine Zumutung, egal ob Erika Steinbach im Stiftungsrat sitzt oder nicht. Sie ist eine Zumutung, aber das Problem geht weit darüber hinaus!“
Bei so viel Bemühen um die Erhaltung überlieferter Geschichtsbilder und Denkmuster liegt es natürlich nicht fern, daß sich ein Anton Latzo an anderer Stelle mit gleicher Verve etwa zur indirekten Verschleierung der Schrecken des rumänischen Securitate-Regimes aufschwingt. Er macht dies – typisch für das linke Vorgehen auch hierzulande – indem er einem von links kritisierten System (sei es „Faschismus“ oder in diesem Falle dem Kapitalismus) exakt das vorwirft, was eigentlich primär Inhalt der sozialistischen Regime war, aber in diesem Zusammenhang verschwiegen werden soll:
„Das politische System wird vom Ringen der ’neuen Eliten’ um größtmöglichen Einfluß auf die ökonomischen und politischen Entscheidungen und Vorgänge geprägt. Das Recht hat die Rolle übernommen, die Handlungen der Regierenden und ihrer Auftraggeber zu legitimieren“,
wettert Latzo gegen den Neoliberalismus in Rumänien, doch seine Sätze passen haargenau zu jenem vorangegangenen kommunistischen Regime, dem er keine Zeile widmet.
All das dürfte einigen Kommunisten in ihrem inneren Verblendungszusammenhang aber möglichenfalls wirklich gar nicht bewußt sein. Reue und Sühne – Fehlanzeige. Und diese alte Erkenntnis des mangelnden selbstkritischen Bewußtseins auf der Linken führt zum witzigsten Fundstück im Juni-Heft der „Kommunistischen Plattform“. So hat der „Bundeskoordinierungsrat“ am 8.5.2010 einen Beschluß „Zum Umgang mit Aussteigern aus der Naziszene“ formuliert:
„Niemand in der KPF spricht Menschen, die einmal Anhänger der Nazis waren, die Bereitschaft und Fähigkeit ab, sich von Naziideologie und ‑strukturen zu lösen, und zu bereuen, jemals so geirrt zu haben. (…) Es entzieht sich auch nicht gänzlich unserem Vorstellungsvermögen, daß es Menschen geben kann, die, über solide Bildung verfügend, im fortgeschrittenen Erwachsenenalter Nazis wurden bzw. waren, in maßgeblichen Leitungsfunktionen tätig, rechtslastig publizierend, und die sich irgendwann von den Nazis lösten oder lösen.“
Wer meint, das klinge noch wie ein Einverleibungsangebot, der sieht sich rasch getäuscht:
„Wir sprechen niemandem a priori seine subjektive Ehrlichkeit ab. Allerdings finden wir: Die KPF ist nicht das Feld für tätige Reue von Aussteigern. Es gibt genügend andere Möglichkeiten.“
Man windet sich und sondert ein seltsames Sprachgeschwurbel ab:
„Die Lage, in der sich die KPF befindet, ist zu subtil, als daß wir Vermutungen über subjektive Ehrlichkeit zur maßgeblichen Voraussetzung dafür machen könnten, ob wir einen früheren Nazi – noch dazu, wenn er in reifem Alter und in exponierter Position war – als Mitglied der KPF akzeptieren oder nicht.“
Was ist denn da plötzlich passiert?, fragt man sich. Worin liegt der konkrete Anlaß für derartige Verrenkungen der Kommunisten? Die kleine Zeitschrift erläutert dies nach der Stellungnahme mit einer kurzen Erklärung von Ellen Brombacher und anderen Vertretern des „Bundessprecherrates“ der KPF:
„Heute, am 20. April 2010, erfuhren wir, daß der sich der KPF zugehörig fühlende Rechtsanwalt Gregor Janik aus Zittau in der Vergangenheit der NPD angehört hatte und dort in Leitungsfunktionen tätigt war. Die Genossinnen und Genossen in Sachsen bzw. Zittau werden prüfen, wie so etwas möglich sein konnte und die betreffenden politischen Schlußfolgerungen daraus ziehen. (…) Gregor Janik ist ab sofort von der Liste der der KPF angehörigen Genossinnen und Genossen gestrichen.“
Der ganze Vorgang hat einen skurrilen Charakter. Was in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch denkbar war, der Übertritt nationalrevolutionärer Renegaten in die noch frische kommunistische Bewegung – man denke an Richard Scheringer oder Harro Schulze-Boysen -, erscheint spätestens seit der 68er-Zeit als undenkbar. Seither ist „Rechts“ stigmatisiert. Suchende, Schwimmende gelangen nicht so einfach dorthin und auch nicht so einfach wieder von dort weg. Da „Rechts“ also eine bewußte Entscheidung ist, über die man sich im Vorfeld Gedanken gemacht hat, für die man Opfer in Kauf zu nehmen bereit war, ist der Weg nach „Links“, den man ja gleich und viel bequemer hätte gehen können, für die meisten dieser Leute ausgeschlossen. Das betrifft übrigens die gemäßigt-konservative „Rechte“ wie die „radikale Rechte“ gleichermaßen. Ausnahmen bestätigen die Regel, doch diese „Aussteiger“ aus zwielichtigen radikalen Milieus sind oft von psychischen Problemen oder gar heimlichen linken Loyalitäten gesteuert.
In persönlichen Berichten wurden mir mehrfach Persönlichkeitsprofile solcher „Aussteiger“ aus der härteren „rechten Szene“ dargelegt, die zu Konvertiten nach “links” wurden. Oft handelt es sich dabei um Menschen mit offenbaren seelischen Störungen, Leute also, die aus inneren Defiziten in das radikale Milieu geraten, sich dort immer stärker radikalisieren (so daß selbst ihre „Kameraden“ bald Angst bekommen und zur Mäßigung mahnen), bis die Sache kippt und der Extremist zum Konvertiten wird.
Ein nüchtern reflektierender, gebildeter „Rechter“, auf den sich die obigen Beschluß-Zeilen beziehen, handelt hingegen nicht so und er wandert auch nicht so einfach zur KPF ab, denn in diesem Moment wäre er nicht mehr reflektierend und mit der Intelligenz als Voraussetzung der Bildung wäre es auch nicht mehr weit her. (Was nichts zum möglichen Spezifikum des Herrn Janik, der mir unbekannt ist, sagen soll.)
Der kleine Fluß der (gebildeten) Apologeten vollzieht sich seit den 60er Jahren jedenfalls nicht mehr von „rechts“ nach „links“, sondern allenfalls von „links“ nach „rechts“, wie zumindest zahlreiche Ex-68er belegten. Und die Sorge der KPF vor einem möglichen „Entrismus“ durch NPD-Mitglieder erscheint nun reichlich unbegründet.
Dennoch hat ausgerechnet die „Kommunistische Plattform“ Angst um ihr allgemeines Ansehen und bittet deshalb „Aussteiger aus der Naziszene“, die „Lebenserfahrung und politischen Takt“ verfügen, „uns gar nicht erst in die Verlegenheit zu bringen“.
Also, nun mal ehrlich. Weshalb sollten Leute, die sich aus problematischen Strukturen lösen wollen, ausgerechnet bei der altbackenen KPF anheuern wollen? Bei Leuten also, die sich bis heute nicht ausreichend von den schwersten Menschheitsverbrechen im Namen von Hammer und Sichel bzw. Zirkel distanziert haben, die bis heute einer weitgehend unkritischen roten Traditionspflege frönen? Weshalb sollten die Kommunisten eine geeignete Instanz für „reuige Sünder“ darstellen? Das wäre ja, vom Regen in die Traufe kommen. Das wäre so, als würde die Ehebrecherin ausgerechnet im Freudenhaus anheuern, um ihre „Schuld“ zu begleichen.
So skurril schon die Vorstellung der Kommunisten ist, was „Schuld“ ist und daß man ausgerechnet bei ihnen „tätige Reue“ suchen könnte, so unzeitgemäß ist diese Idee auch. Der Kommunismus hat längst moderne Hydra-Köpfe gebildet, bei denen man sich viel komfortabler als „reuiger Sünder“ profilieren kann, wenn es einem denn darauf ankommt.
Und ein Beispiel für „tätige Reue“ im aktuellen Sinne wäre die Mitarbeit bei der neuen Stiftung von Jürgen Rüttgers, etwa als Pausenfüller für Schüler während der langen Busfahrten. „Auch ich war ein Sünder“, könnte der „Aussteiger“ dort in ein Mikrophon rufen. „Doch ich habe nun meinen Weg gefunden. Und wir alle können heute den Weg der tätigen Reue gehen.“ Dann hallt ein „Halleluja“ durch den Fahrgastraum und der Saulus von einst erntet bei Medien und Politik eine Absolution, die ihm eine Ellen Brombacher oder Sarah Wagenknecht nicht im Traum hätten geben können.