Tätige Reue

von Claus Wolfschlag

Unlängst hatte ich mal wieder ein wenig in den putzigen „Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE“ (Heft 6/2010) geblättert, einem DINA5-Heft im asketischen Stil der 80er Jahre.

Auf Sei­te 1 ver­kün­de­te Sarah Wagen­knecht durch­aus tref­fend: „Kla­res lin­kes Pro­fil – Grund­la­ge unse­res Erfol­ges“. Pro­fil zei­gen ist sicher kein Feh­ler, gera­de ange­sichts einer poli­ti­schen Füh­rungs­eli­te, die nur zu ger­ne um den hei­ßen Brei her­um­re­det. Nun sind aber auch die Kom­mu­nis­ten immer wie­der Welt­meis­ter im pro­fil­lo­sen Lavie­ren, vor allem wenn es um aller­lei his­to­ri­sche Ver­bre­chen und unmensch­li­che Schwei­ne­rei­en der eige­nen „Genos­sen“ geht. Dann neigt man ger­ne zum Ver­schwei­gen, Klein­re­den oder zum Beschö­ni­gen im spe­zi­fi­schen Neusprech.

In dem besag­ten Heft­chen zeigt sich dies etwa an einem Bei­trag des mar­xis­ti­schen Wis­sen­schaft­lers Anton Latzo über die Oder-Neiße-„Friedensgrenze“. Die Ver­trei­bung und Ermor­dung von Mil­lio­nen Deut­schen nach dem Zwei­ten Welt­krieg, für die nun ein­mal die kom­mu­nis­ti­schen „Genos­sen“ in Polen, Tsche­chi­en und der Sowjet­uni­on die Ver­ant­wor­tung tra­gen, wird dar­in stets mit harm­los klin­gen­den Voka­beln beschö­nigt: „Umsied­ler“ wer­den die Opfer genannt, „Aus­sied­lung“ die Ver­trei­bung in Vieh­wag­gons. Bun­des­deut­sche Kri­tik an den dama­li­gen Vor­gän­gen wird eine „ver­het­zen­de Wir­kung“ unter­stellt, aus der „Revi­si­ons­for­de­run­gen“ erwüch­sen. Die Aner­ken­nung der poli­ti­schen Fol­gen die­ses Mensch­heits-Ver­bre­chens wird hin­ge­gen in Büro­kra­ten­deutsch als „offe­ne Auf­klä­rung“ über „den poli­tisch-his­to­ri­schen Sach­ver­halt“ bezeichnet.

Und die­ser Aner­ken­nung der Gege­ben­hei­ten wid­met sich Latzo natür­lich auch heu­te noch mit Engagement:

„Aka­de­mi­sche Dis­kus­sio­nen oder poli­ti­sche Mani­pu­la­tio­nen nach dem Mot­to ‘Jede Ver­trei­bung ist Unrecht´ hel­fen da nicht wei­ter. (es fragt sich wobei; Anm. d. Verf.) Die Posi­tio­nen, deren Zie­le und Inhal­te am Mythos des ‘deut­schen Ostens´ fest­hal­ten und eine Revi­si­on his­to­ri­scher Ent­schei­dun­gen auf der Grund­la­ge von unhalt­ba­ren geschichts­po­li­ti­schen Umdeu­tun­gen vor­neh­men, wer­den zu einem Pro­blem für die deut­sche Gesell­schaft. Die Poli­tik des BdV ist eine Zumu­tung, egal ob Eri­ka Stein­bach im Stif­tungs­rat sitzt oder nicht. Sie ist eine Zumu­tung, aber das Pro­blem geht weit dar­über hinaus!“

Bei so viel Bemü­hen um die Erhal­tung über­lie­fer­ter Geschichts­bil­der und Denk­mus­ter liegt es natür­lich nicht fern, daß sich ein Anton Latzo an ande­rer Stel­le mit glei­cher Ver­ve etwa zur indi­rek­ten Ver­schleie­rung der Schre­cken des rumä­ni­schen Secu­ri­ta­te-Regimes auf­schwingt. Er macht dies – typisch für das lin­ke Vor­ge­hen auch hier­zu­lan­de – indem er einem von links kri­ti­sier­ten Sys­tem (sei es „Faschis­mus“ oder in die­sem Fal­le dem Kapi­ta­lis­mus) exakt das vor­wirft, was eigent­lich pri­mär Inhalt der sozia­lis­ti­schen Regime war, aber in die­sem Zusam­men­hang ver­schwie­gen wer­den soll:

„Das poli­ti­sche Sys­tem wird vom Rin­gen der ’neu­en Eli­ten’ um größt­mög­li­chen Ein­fluß auf die öko­no­mi­schen und poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen und Vor­gän­ge geprägt. Das Recht hat die Rol­le über­nom­men, die Hand­lun­gen der Regie­ren­den und ihrer Auf­trag­ge­ber zu legitimieren“,

wet­tert Latzo gegen den Neo­li­be­ra­lis­mus in Rumä­ni­en, doch sei­ne Sät­ze pas­sen haar­ge­nau zu jenem vor­an­ge­gan­ge­nen kom­mu­nis­ti­schen Regime, dem er kei­ne Zei­le widmet.

All das dürf­te eini­gen Kom­mu­nis­ten in ihrem inne­ren Ver­blen­dungs­zu­sam­men­hang aber mög­li­chen­falls wirk­lich gar nicht bewußt sein. Reue und Süh­ne – Fehl­an­zei­ge. Und die­se alte Erkennt­nis des man­geln­den selbst­kri­ti­schen Bewußt­seins auf der Lin­ken führt zum wit­zigs­ten Fund­stück im Juni-Heft der „Kom­mu­nis­ti­schen Platt­form“. So hat der „Bun­des­ko­or­di­nie­rungs­rat“ am 8.5.2010 einen Beschluß „Zum Umgang mit Aus­stei­gern aus der Nazi­sze­ne“ for­mu­liert:

„Nie­mand in der KPF spricht Men­schen, die ein­mal Anhän­ger der Nazis waren, die Bereit­schaft und Fähig­keit ab, sich von Nazi­ideo­lo­gie und ‑struk­tu­ren zu lösen, und zu bereu­en, jemals so geirrt zu haben. (…) Es ent­zieht sich auch nicht gänz­lich unse­rem Vor­stel­lungs­ver­mö­gen, daß es Men­schen geben kann, die, über soli­de Bil­dung ver­fü­gend, im fort­ge­schrit­te­nen Erwach­se­nen­al­ter Nazis wur­den bzw. waren, in maß­geb­li­chen Lei­tungs­funk­tio­nen tätig, rechts­las­tig publi­zie­rend, und die sich irgend­wann von den Nazis lös­ten oder lösen.“

Wer meint, das klin­ge noch wie ein Ein­ver­lei­bungs­an­ge­bot, der sieht sich rasch getäuscht:

„Wir spre­chen nie­man­dem a prio­ri sei­ne sub­jek­ti­ve Ehr­lich­keit ab. Aller­dings fin­den wir: Die KPF ist nicht das Feld für täti­ge Reue von Aus­stei­gern. Es gibt genü­gend ande­re Möglichkeiten.“

Man win­det sich und son­dert ein selt­sa­mes Sprach­ge­schwur­bel ab:

„Die Lage, in der sich die KPF befin­det, ist zu sub­til, als daß wir Ver­mu­tun­gen über sub­jek­ti­ve Ehr­lich­keit zur maß­geb­li­chen Vor­aus­set­zung dafür machen könn­ten, ob wir einen frü­he­ren Nazi – noch dazu, wenn er in rei­fem Alter und in expo­nier­ter Posi­ti­on war – als Mit­glied der KPF akzep­tie­ren oder nicht.“

Was ist denn da plötz­lich pas­siert?, fragt man sich. Wor­in liegt der kon­kre­te Anlaß für der­ar­ti­ge Ver­ren­kun­gen der Kom­mu­nis­ten? Die klei­ne Zeit­schrift erläu­tert dies nach der Stel­lung­nah­me mit einer kur­zen Erklä­rung von Ellen Brom­ba­cher und ande­ren Ver­tre­tern des „Bun­des­spre­cher­ra­tes“ der KPF:

„Heu­te, am 20. April 2010, erfuh­ren wir, daß der sich der KPF zuge­hö­rig füh­len­de Rechts­an­walt Gre­gor Janik aus Zit­tau in der Ver­gan­gen­heit der NPD ange­hört hat­te und dort in Lei­tungs­funk­tio­nen tätigt war. Die Genos­sin­nen und Genos­sen in Sach­sen bzw. Zit­tau wer­den prü­fen, wie so etwas mög­lich sein konn­te und die betref­fen­den poli­ti­schen Schluß­fol­ge­run­gen dar­aus zie­hen. (…) Gre­gor Janik ist ab sofort von der Lis­te der der KPF ange­hö­ri­gen Genos­sin­nen und Genos­sen gestrichen.“

Der gan­ze Vor­gang hat einen skur­ri­len Cha­rak­ter. Was in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts noch denk­bar war, der Über­tritt natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­rer Rene­ga­ten in die noch fri­sche kom­mu­nis­ti­sche Bewe­gung – man den­ke an Richard Sche­rin­ger oder Har­ro Schul­ze-Boy­sen -, erscheint spä­tes­tens seit der 68er-Zeit als undenk­bar. Seit­her ist „Rechts“ stig­ma­ti­siert. Suchen­de, Schwim­men­de gelan­gen nicht so ein­fach dort­hin und auch nicht so ein­fach wie­der von dort weg. Da „Rechts“ also eine bewuß­te Ent­schei­dung ist, über die man sich im Vor­feld Gedan­ken gemacht hat, für die man Opfer in Kauf zu neh­men bereit war, ist der Weg nach „Links“, den man ja gleich und viel beque­mer hät­te gehen kön­nen, für die meis­ten die­ser Leu­te aus­ge­schlos­sen. Das betrifft übri­gens die gemä­ßigt-kon­ser­va­ti­ve „Rech­te“ wie die „radi­ka­le Rech­te“ glei­cher­ma­ßen. Aus­nah­men bestä­ti­gen die Regel, doch die­se „Aus­stei­ger“ aus zwie­lich­ti­gen radi­ka­len Milieus sind oft von psy­chi­schen Pro­ble­men oder gar heim­li­chen lin­ken Loya­li­tä­ten gesteuert.

In per­sön­li­chen Berich­ten wur­den mir mehr­fach Per­sön­lich­keits­pro­fi­le sol­cher „Aus­stei­ger“ aus der här­te­ren „rech­ten Sze­ne“ dar­ge­legt, die zu Kon­ver­ti­ten nach “links” wur­den. Oft han­delt es sich dabei um Men­schen mit offen­ba­ren see­li­schen Stö­run­gen, Leu­te also, die aus inne­ren Defi­zi­ten in das radi­ka­le Milieu gera­ten, sich dort immer stär­ker radi­ka­li­sie­ren (so daß selbst ihre „Kame­ra­den“ bald Angst bekom­men und zur Mäßi­gung mah­nen), bis die Sache kippt und der Extre­mist zum Kon­ver­ti­ten wird.

Ein nüch­tern reflek­tie­ren­der, gebil­de­ter „Rech­ter“, auf den sich die obi­gen Beschluß-Zei­len bezie­hen, han­delt hin­ge­gen nicht so und er wan­dert auch nicht so ein­fach zur KPF ab, denn in die­sem Moment wäre er nicht mehr reflek­tie­rend und mit der Intel­li­genz als Vor­aus­set­zung der Bil­dung wäre es auch nicht mehr weit her. (Was nichts zum mög­li­chen Spe­zi­fi­kum des Herrn Janik, der mir unbe­kannt ist, sagen soll.)

Der klei­ne Fluß der (gebil­de­ten) Apo­lo­ge­ten voll­zieht sich seit den 60er Jah­ren jeden­falls nicht mehr von „rechts“ nach „links“, son­dern allen­falls von „links“ nach „rechts“, wie zumin­dest zahl­rei­che Ex-68er beleg­ten. Und die Sor­ge der KPF vor einem mög­li­chen „Ent­ris­mus“ durch NPD-Mit­glie­der erscheint nun reich­lich unbegründet.

Den­noch hat aus­ge­rech­net die „Kom­mu­nis­ti­sche Platt­form“ Angst um ihr all­ge­mei­nes Anse­hen und bit­tet des­halb „Aus­stei­ger aus der Nazi­sze­ne“, die „Lebens­er­fah­rung und poli­ti­schen Takt“ ver­fü­gen, „uns gar nicht erst in die Ver­le­gen­heit zu bringen“.

Also, nun mal ehr­lich. Wes­halb soll­ten Leu­te, die sich aus pro­ble­ma­ti­schen Struk­tu­ren lösen wol­len, aus­ge­rech­net bei der alt­ba­cke­nen KPF anheu­ern wol­len? Bei Leu­ten also, die sich bis heu­te nicht aus­rei­chend von den schwers­ten Mensch­heits­ver­bre­chen im Namen von Ham­mer und Sichel bzw. Zir­kel distan­ziert haben, die bis heu­te einer weit­ge­hend unkri­ti­schen roten Tra­di­ti­ons­pfle­ge frö­nen? Wes­halb soll­ten die Kom­mu­nis­ten eine geeig­ne­te Instanz für „reu­ige Sün­der“ dar­stel­len? Das wäre ja, vom Regen in die Trau­fe kom­men. Das wäre so, als wür­de die Ehe­bre­che­rin aus­ge­rech­net im Freu­den­haus anheu­ern, um ihre „Schuld“ zu begleichen.

So skur­ril schon die Vor­stel­lung der Kom­mu­nis­ten ist, was „Schuld“ ist und daß man aus­ge­rech­net bei ihnen „täti­ge Reue“ suchen könn­te, so unzeit­ge­mäß ist die­se Idee auch. Der Kom­mu­nis­mus hat längst moder­ne Hydra-Köp­fe gebil­det, bei denen man sich viel kom­for­ta­bler als „reu­iger Sün­der“ pro­fi­lie­ren kann, wenn es einem denn dar­auf ankommt.

Und ein Bei­spiel für „täti­ge Reue“ im aktu­el­len Sin­ne wäre die Mit­ar­beit bei der neu­en Stif­tung von Jür­gen Rütt­gers, etwa als Pau­sen­fül­ler für Schü­ler wäh­rend der lan­gen Bus­fahr­ten. „Auch ich war ein Sün­der“, könn­te der „Aus­stei­ger“ dort in ein Mikro­phon rufen. „Doch ich habe nun mei­nen Weg gefun­den. Und wir alle kön­nen heu­te den Weg der täti­gen Reue gehen.“ Dann hallt ein „Hal­le­lu­ja“ durch den Fahr­gast­raum und der Sau­lus von einst ern­tet bei Medi­en und Poli­tik eine Abso­lu­ti­on, die ihm eine Ellen Brom­ba­cher oder Sarah Wagen­knecht nicht im Traum hät­ten geben können.

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