Die hartnäckigen Attacken gegen die Avanti!-Redaktion waren nicht frei von dem Beigeschmack eines persönlichen Rachefeldzuges gegen Weggefährten von einst. Mussolini hatte sich, durch sein Elternhaus entsprechend vorgeprägt, schon in jungen Jahren kurz nach der Jahrhundertwende der sozialistischen Partei angeschlossen. In dieser erwarb er insbesondere dank seiner journalistischen Begabung schnell eine gewisse Prominenz. In den sich in dieser Zeit nicht auf Italien beschränkenden Flügelkämpfen innerhalb der Arbeiterbewegung bezog er Position auf seiten derjenigen, die kompromißlos auf eine revolutionäre Veränderung der Verhältnisse setzten. Dieser Strömung gelang es unter seiner maßgeblichen Mitwirkung im Jahr 1912, die reformistischen Kräfte, jene also, die im Rahmen und nach den Spielregeln der bürgerlichen Demokratie sozialistische Zielsetzungen verfolgen wollten, aus der Partei zu drängen. Auf die richtige Karte gesetzt zu haben, zahlte sich für Mussolini auch persönlich aus: Er avancierte zum Herausgeber des Avanti! und prägte fortan als solcher das öffentliche Erscheinungsbild der Partei.
Trotz oder gerade wegen seiner revolutionären Entschiedenheit läßt sich der Mussolini jener Jahre nicht zu den orthodoxen Marxisten zählen, die in Italien per se eine Rarität waren. Die Vorstellung einer quasi naturgesetzlichen Entwicklung zur Aufhebung der Klassengesellschaft, die im Marxismus angelegt ist und zu einem optimistisch verbrämten Attentismus einlud, stand nicht bloß seinem Naturell, sondern auch den im politischen Kampf gewonnenen Erfahrungen entgegen. Spontane Erhebungen, die in dem wirtschaftlich unterentwickelten und durch scharfe soziale Gegensätze gekennzeichneten italienischen Königreich immer wieder aufflackerten, wurden entweder niedergeschlagen oder liefen ins Leere. Die Massen, so die Analyse der revolutionären Sozialisten, waren unfähig zur Selbstorganisation, und ihnen mangelte es an einem Bewußtsein, das sie ihre jeweils persönliche, als ungerecht empfundene Situation in einen Gesamtzusammenhang stellen ließ. Sie bedurften daher einer Führung, die sie theoretisch und praktisch an die Hand nahm. Dieser elitäre Ansatz ist, etwa wenn man ihn im Sinne Lenins auffaßt, nicht notwendigerweise nicht-marxistisch, er speist sich aber aus anderen Traditionslinien der Linken wie insbesondere Louis Auguste Blanqui, eine Art Rekordhalter hinsichtlich aufstandsbedingter Gefängnisaufenthalte, und Michail Bakunin. Beide waren Mussolini durchaus bekannt, wenngleich man die Theorie als Auslöser oder Motivation für sein politisches Handeln nicht überschätzen sollte.
Größerer Einfluß auf sein Denken und politisches Stilempfinden ist in erster Linie Georges Sorel zuzuerkennen. Die sich vor allem auf diese schillernde, zwischen links und rechts oszillierende Figur berufende Sekte des revolutionären Syndikalismus zeigte nur wenig Verständnis für die Buchhaltergeduld orthodoxer Marxisten, die Krisen des Kapitalismus penibel auszudeuten, um einen Hinweis darauf zu erhalten, wann sein unerschütterlich erwarteter Zusammenbruch denn nun endlich erfolgen würde. Die Sorelianer verkündeten stattdessen die unerfreuliche Botschaft, daß er den Keim seiner Vernichtung bedauerlicherweise gar nicht in sich trüge und daher nachzuhelfen sei, wenn man ihm dennoch den Garaus machen wolle. Der Klassenkampf wurde von ihnen nicht als Selbstläufer angesehen, er spitzte sich auch nicht automatisch immer weiter zu, so daß schließlich der Antagonismus zwischen Kapital und Proletariat aufgehoben würde und eine klassenlose Gesellschaft an seine Stelle träte. Die Verelendung der Massen sei kein Garant für ihre Revolutionierung, es müßten Mythen bemüht werden, um ihre Gewaltbereitschaft zu wecken und sie zum Aufstand aufzustacheln. Der Sozialismus würde auf diese Weise seines Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit beraubt. Den Klassenkampf zu führen, hieße nicht länger, die historische Vernunft zu exekutieren. Es handelte sich bei ihm nur noch um einen bloßen Willensakt, und er richtete sich auf Ziele, die nicht notwendig, sondern beliebig und austauschbar sind.
Unter dem Vorwand, neue Elemente in den Marxismus hineinzutragen, um dessen politische Wirkmächtigkeit zu fördern, betrieb der revolutionäre Syndikalismus tatsächlich die Abnabelung von diesem. Seine Kriegserklärung erging nicht mehr gegen die Klasse der Kapitalisten (die allerdings auch nur für Vulgär-Marxisten der »Feind« ist), sondern gegen die »Dekadenz«. Es war eher ein historischer Zufall, das Ergebnis eines nicht unumkehrbaren Verfalls, daß diese der Bourgeoisie angelastet werden mußte, und der Klassenkampf bot somit auch dem Bürgertum die Chance, zum Jungbrunnen zu werden. Es war somit belanglos, Privateigentum, persönliches Profitstreben und die Marktwirtschaft abzulehnen. Der Antagonismus, den es bis zum Äußersten zuzuspitzen galt, war nicht materiell, sondern psychologisch begründet.
Zu den drei Verhaltensmustern gegenüber dem Phänomen des Krieges, die im internationalen Sozialismus anzutreffen waren, fügten die Sorelianer ein viertes hinzu. Gemäßigte, wie etwa veritable Sozialdemokraten, nahmen ihn bei allem humanitären Bedauern hin, sofern er zur Verteidigung des Landes und seiner politischen Ordnung, als deren Teil man sich bereits empfand, unvermeidbar sein sollte. Buchgläubige Sozialisten entlarvten ihn als eine Veranstaltung der herrschenden Klasse, die in Konflikt mit den herrschenden Klassen anderer Länder geraten ist, und lehnten ihn kompromißlos ab. Sozialisten mit taktischer Raffinesse, wie etwa die russischen Bolschewisten, teilten diese Analyse, versprachen sich jedoch vom Krieg eine Schwächung des Systems, aus der sie einen Nutzen ziehen könnten. Die Sorelianer hingegen betrachteten den Krieg in ihrer Fokussierung auf das psychologische Moment im Gesellschaftsleben und gespeist vom vitalistischen Vorurteil als Chance, Kräfte freizusetzen, die bislang dämmerten und nur gelegentlich eruptiv zutage traten. Diese Differenzen entfesselten im internationalen Sozialismus Zentrifugalkräfte, als sich die Frage Frieden oder Krieg mehr als nur in den Dimensionen von Kolonialabenteuern stellte. Im Sommer 1914 verstummten die bis zuletzt auf Kongressen beschworenen Phrasen einer nationenübergreifenden Verbrüderung der Arbeiterklasse gegen militaristische Abenteuer der Bedrücker im Nu. Die Mehrheit der Sozialisten schloß den Burgfrieden mit den Herrschenden und erteilte der Entsendung der Volksmassen an die Front ihren Segen. Nur eine Minderheit mochte bei ihrer altvertrauten Auffassung bleiben, daß der Feind doch eigentlich im eigenen Lande stünde, zu ihr zählte die sozialistische, 1912 auf revolutionären Kurs gebrachte Partei Italiens. Sie versagte sich der im Lande immer mächtiger werdenden und alle politischen Parteiungen überwölbenden Tendenz, die Neutralität aufzugeben und an der Seite der Entente gegen die Mittelmächte in den Krieg zu ziehen. Die Geschlossenheit, die sie dabei aufwies, ist im europäischen Vergleich nahezu unheimlich, wurde jedoch durchbrochen durch einen Führer, der ihr von der Fahne ging.
Am 18. Oktober 1914 veröffentlicht Mussolini, der drei Jahre zuvor noch gegen den Libyen-Feldzug agitiert und dafür im Gefängnis gesessen hatte, im Avanti! einen Artikel, der in behutsamer Weise und mit eher pragmatischen Argumenten einer Beteiligung Italiens am Krieg das Wort redet. Der Partei ist bereits dies zuviel, sie entfernt ihn aus ihren Reihen und der Redaktion ihres Organs. Ihn gänzlich auszuschalten, gelingt ihr jedoch nicht. Bereits vier Wochen später meldet er sich publizistisch zurück. Die Zeitung Il Popolo d’Italia, zu deren Finanzierungsquellen – bürgerliche Interventionisten oder auch das interessierte Ausland – es an Mutmaßungen nicht mangelt, führt heterogene, mitunter bislang einander befehdende Kräfte auf der gemeinsamen Grundlage des Bellizismus zusammen, radikale und gemäßigte Sozialisten, revolutionäre und nationale Syndikalisten, republikanische Radikale und linke Nationalisten. Sie ist der Ausgangspunkt des faschistischen Chamäleons (und bis zum bitteren Ende sein publizistischer Wegbegleiter), der schon früh einen Vorgeschmack auf den Charakter der Bewegung als einer Schritt für Schritt nach rechts ausgreifenden Legierung disparater Traditionsstränge gibt, die nie zu einem Ganzen verschmolzen werden konnten.
Am 23. Mai 1915 war das Ziel der interventionistischen Agitation erreicht, das Königreich Italien trat in den Krieg ein. An dessen Ende zählte es zwar zu den Siegermächten, doch die desaströse Lage, in die das Land geraten war, ließ den Erfolg verblassen. Der vor dem Krieg kurzfristig ausgeglichene Staatshaushalt vermochte nur noch 30 Prozent der Ausgaben durch Einnahmen zu decken. Die Regierung ließ in ihrer Notlage die Notenpresse Fahrt aufnehmen, worauf die Teuerungsrate in die Höhe schnellte, was wiederum staatlich diktierte Höchstpreise in einigen Bereichen der Grundversorgung nach sich zog. Die Umstellung der Produktion und des Transportwesens auf den Friedensbetrieb führte ebenso wie die Zerrüttung der wirtschaftlichen Außenbeziehungen, die für das von Rohstoffimporten abhängige Land besonders prekär war, zu Verwerfungen, die kurzfristig nicht zu beheben waren. Lokale Revolten, Fabrikbesetzungen und Streiks mit hoher Gewaltbereitschaft verschafften dem Unmut breiter Bevölkerungsschichten, die sich von dem gewonnenen Krieg auch eine soziale Besserstellung erhofft hatten, Raum. Motiviert durch das Beispiel des Erfolges der russischen Bolschewisten witterten die Sozialisten Morgenluft. Ihnen gegenüber stand eine paralysierte Staatsführung. Die Ausweitung des Wahlrechts, bis 1912 stand es lediglich sieben Prozent der Bevölkerung zu, hatte die quasi geschlossene Gesellschaft des gehobenen Bürgertums in Parlament und Regierung gesprengt. Liberale, Linke und die neue katholische Volkspartei standen einander argwöhnisch gegenüber und zeigten sich unfähig, stabile Mehrheiten zu bilden. Sechs Regierungswechsel zwischen Kriegsende und dem »Marsch auf Rom« waren die Konsequenz.
Auch auf außenpolitischem Gebiet erfüllten sich die an den Krieg gerichteten Erwartungen nicht. Zwar wurden die im Norden angrenzenden Gebiete, die man aus der Hinterlassenschaft der österreich-ungarischen Monarchie beansprucht hatte, annektiert, doch gelang es nicht, auf dem westlichen Balkan oder im östlichen Mittelmeerraum Fuß zu fassen oder gar neue Kolonien zu erwerben. Dieses Scheitern, man sprach alsbald von einem »verstümmelten Sieg«, entfremdete die Nationalisten von der liberalen Staatsführung und untergrub die Loyalität des Militärs. Mit dessen klandestiner Unterstützung bemächtigte sich der exzentrische Lebemann und Fin-de-Siècle-Schriftsteller Gabriele D’Annunzio mit einem Freikorps der Hafenstadt Fiume, ein Zankapfel zwischen Italien und Jugoslawien, und errichtete ein fünfzehnmonatiges Regiment, aus dessen Inszenierung der Faschismus so manches seiner politischen Stilmittel adaptieren sollte. Diese Episode war es, die Mussolini dazu verhalf, seine Bewegung zu formieren und auf die politische Bühne zurückzukehren. Er durchbrach damit die Isolierung, in die ihn der Krieg geführt hatte. Eine Rückkehr zu den Sozialisten als eine von ihm wohl ernsthaft ausgelotete Option scheiterte an deren konsequenter Haltung, daß nun die Verantwortlichen für das Desaster des Krieges zur Verantwortung zu ziehen wären.
Die im März 1919 in Mailand gegründeten Fasci italiani di combattimento meldeten sich zwar mit markigen Worten und einem radikalen, aus unterschiedlichsten Quellen gespeisten Programm zu Wort, blieben aber zunächst als Sammelsurium versprengter Sektierer ohne Relevanz. Entsprechend kläglich scheiterte der Versuch, sich bei einem ersten Wahlantritt eine Massenbasis zu verschaffen. In der Fiume-Kampagne jedoch gelang es Mussolini, sich in der Unterstützung D’Annunzios an die Spitze zu stellen und damit den Schulterschluß mit den Nationalisten zu vollziehen. Die Abkehr vom Sozialismus konnte damit als unwiderruflich erscheinen, zumal sie mit einer Selbstkritik seiner früheren Position einherging. Da D’Annunzio sich nach dem kläglichen Scheitern des Fiume-Abenteuers aus dem politischen Leben zurückzog, fiel Mussolini dessen Erbe in den Schoß. Im Namen der Nation und damit sich vermeintlich über alle Klassenauseinandersetzungen erhebend, trieb er nun die Dynamik, in die seine rasch wachsende Bewegung geraten war, weiter an und setzte sie gegen die »rote Gefahr« in Marsch. Sein Glück war es, daß die Aufstandswelle zum Zeitpunkt des Losschlagens der Faschisten ihren Zenit bereits überschritten hatte. Verunsichert durch die Zweifel, ob die Revolten zur Revolution verdichtet werden könnten, und in der Erkenntnis, daß die Kontrolle über leicht zu enttäuschende Massen nur fragil wäre, gerieten die Sozialisten in die Defensive. Der selbst für italienische Maßstäbe beispiellosen Gewaltkampagne der Faschisten hatten sie nichts Vergleichbares entgegenzusetzen, zumal diese den taktischen Vorteil besaßen, von der Obrigkeit geduldet oder gar begünstigt zu werden. Die liberale Regierung und die bürgerlichen Schichten, auf die sie sich stützten, mochten zwar vielleicht Unbehagen ob der Zügellosigkeit der Gewalt empfinden, sie erkannten und nutzten jedoch die Chance, durch eine aus eigenen Kräften nicht zu bewerkstelligende Entscheidung in dem diffusen Bürgerkriegsszenario die Befriedung des Landes zu erreichen und damit auch die als bedroht empfundenen Eigentumsverhältnisse abzusichern. Insofern ist die marxistische Interpretation des Faschismus als einer ultima ratio des Kapitalismus zumindest an den italienischen Verhältnissen belegbar, wenngleich sie bloß funktionelle Zusammenhänge betrachtet und die subjektiven Beweggründe der handelnden Personen ignoriert.
Den Faschisten selbst, per se jeder Verdammung der Gewalt abhold, bereitete die theoretische Legitimierung ihres Vorgehens keine Probleme: In einer Lage, in der es keinen Schiedsrichter gibt, und der Staat war als solcher ausgefallen, können Auseinandersetzungen zwischen unversöhnlichen Feinden nur mit Waffengewalt entschieden werden, und es ist der Erfolg, der der obsiegenden Seite recht gibt. Allerdings blieb in diesem konkreten Fall des Italiens der beginnenden 1920er Jahre eine Frage offen: War die Aufgabe der Faschisten mit der Niederwerfung der Linken erledigt und das Gewaltmonopol in die Hände des Staates, so wie er sich darbot, zurück zu übertragen? Oder sollte der Faschismus nun auch zur Eroberung des Staates schreiten? Mussolini tendierte zunächst dazu, daß der Faschismus sich in Selbstbescheidung mit einer Nebenrolle in einem ansonsten weiter durch die traditionellen liberalen Eliten geprägten Staat zufriedengeben möge. Dieser moderate Kurs war gegen die anderen Granden der Bewegung jedoch nicht durchzusetzen. Nach kurzer Demission und reumütiger Wiederversöhnung mit den faschistischen Frondeuren strebte er nach der Regierungsverantwortung, ohne sich allerdings festzulegen, was er mit der einmal errungenen Macht anzustellen gedachte. Dieses Ziel war mit dem alles andere als eine militärische Operation darstellenden »Marsch auf Rom« als operettenhaftem Abschluß eines Ringens um die Macht erreicht.
Die Machtergreifung des Jahres 1922 erfolgte im Zeichen einer Rückkehr zu verfassungsgemäßen Zuständen. Mussolini stand einem Kabinett mit Vertretern mehrerer Parteien vor, in ihm nahmen insbesondere die Rechtsliberalen und die katholische Volkspartei Schlüsselpositionen ein. Die Opposition blieb nahezu unbehelligt, und die auf ein Jahr beschränkten Sondervollmachten, die die Regierung vom Parlament zugesprochen erhielt, beschränkten sich auf die Bereiche Haushalt und Steuern. Dieser Konformismus Mussolinis irritierte in erster Linie die Radikalen unter den eigenen Anhängern, die begannen, eine »zweite Revolution « zu fordern. Aus ihren Reihen kam der Auslöser einer Krise, die die Regierung ins Wanken brachte und in die Entscheidung für die Diktatur mündete. Die Ermordung des zuvor durch Mussolini im Popolo d’Italia verbal bedrohten sozialistischen Abgeordneten Giacomo Matteotti durch Schwarzhemden im Juni 1924 ließ Befürchtungen aufkeimen, die Faschisten könnten doch dem Schreckensbild entsprechen wollen, das ihre Feinde von ihnen gezeichnet hatten. Die Opposition ging auf Konfrontationskurs, und auch bei den Verbündeten machte sich Skepsis breit, ob man auf das richtige Pferd gesetzt hatte. Mussolini fand sich unversehens zwischen zwei Stühlen wieder. Wollte er an der bisherigen Regierungsführung festhalten, waren weitere Konzessionen an die anderen Akteure im pluralistischen Spiel der Kräfte unerläßlich. Dies würde jedoch die Gefahr einer Spaltung der faschistischen Bewegung und einer neuerlichen Entfesselung ihrer revolutionären Dynamik nach sich ziehen. Es folgte mehr als ein halbes Jahr des Lavierens und dann die Flucht nach vorn. Mussolinis Regierungserklärung vom 3. Januar 1925 setzte die zügige Errichtung der faschistischen Alleinherrschaft in Gang, die knapp zwei Jahre später vollendet war. Dabei konnte er auf das bereits in der Zeit des Kampfes um die Macht bemühte Argumentionsmuster zurückgreifen: Wo andere Lösungen zur Herbeiführung einer Entscheidung versagen, muß die Gewalt die Dinge richten.
Der »totalitäre Staat«, ein von den Faschisten nicht als denunziatorisch verstandener Begriff, trat an die Stelle des liberalen. Der Liberalismus im Wirtschaftsleben blieb hingegen unangetastet und wurde als legitim betrachtet, da er die Prosperität steigern und damit die ökonomischen Voraussetzungen für die politische Machtentfaltung des Staates schaffen sollte. Nicht allein die aufgeschlossene Haltung gegenüber den Eigentumsverhältnissen und der diese reproduzierenden Wirtschaftsordnung war es aber, die manche Liberale und Konservative im Ausland mit einem gewissen Wohlwollen nach Italien blicken ließ. Die Frage, ob – wie es die Faschisten behaupteten – Individualismus, liberale Demokratie und Sozialismus nicht Ideologien des 19. Jahrhunderts und unterdessen überholt seien, war in der Zwischenkriegszeit alles andere als ungewöhnlich und angesichts der krisenhaften Lage zahlreicher Demokratien offen. Erst zwanzig Jahre nach Mussolinis 1925 erteiltem Marschbefehl in den totalen Staat konnte sie als abschließend beantwortet gelten.