Wer nun hofft, daß die Deutschrocker aus Südtirol frischen Wind in die Bundesrepublik bringen, wird enttäuscht werden, denn trotz ihrer patriotischen Texte lassen sich die vier Jungs aus Brixen durch ihr politisch korrektes Management knechten, das etwa auf eine Anfrage nach Informationen für diesen Beitrag mit dem Anwalt drohte. Die Angst vor allem, was »rechts« sein könnte, liegt im Werdegang von Frei.Wild begründet. »Sänger Philipp Burger war ein Schläger, der meinte, ›rechts‹ zu sein«, teilt ein langjähriger Sympathisant mit. Angefangen habe er in der unbekannten Rechtsrockgruppe Kaiserjäger, und bis vor eineinhalb Jahren war der Musiker noch in der Südtiroler Partei Die Freiheitlichen aktiv. Für diese rechtskonservative Gruppierung saß er sogar im Bezirksrat im Eisacktal.
Ende September 2008 wollte Frei.Wild für den Landtagswahlkampf der Freiheitlichen ein Konzert geben. Die bundesdeutschen Fans, das eigene Management und die Medien waren empört, Burger knickte ein und beendete sein politisches Engagement. Nun versucht die Band, mit gemäßigter Musik gutes Geld zu verdienen. Dennoch ist ihr Beitrag zur Zeitgeistwende in Südtirol nicht zu unterschätzen. »Die Jugend ist mittlerweile all dem, was mit Südtirol und Tirol zu tun hat, grundsätzlich sehr aufgeschlossen.Was vor nicht einmal fünf Jahren eher eine Randerscheinung war, ist heute Ausdruck vieler Jugendlicher, die ganz offen auch zur Unabhängigkeit Südtirols stehen«, berichtet Michael Demanega, Landessprecher der Freiheitlichen Jugend. Die Lücke, die Frei.Wild durch ihre Kommerzialisierung gerissen haben, versucht derweil ein neues Projekt zu füllen. Einige Funktionäre des Südtiroler Schützenbundes nennen sich Vermächtnis (www.vermaechtnis.at). Sie erinnern mit popkulturellen Klängen an Andreas Hofer, den Befreiungskämpfer Sepp Kerschbaumer und finden, daß Südtirol noch immer in Ketten liegt.
Nun gehört es zum Kern der Kennzeichnung von Popmusik, daß sie massenkompatibel zu sein hat, mithin die breite Mittelschicht anspricht. Aufstrebende Projekte stehen so irgendwann vor der Entscheidung, sich entweder zu popularisieren, um weiterwachsen zu können – oder aber weiterhin den kleineren, feineren Kreis zu bedienen. Das ist – aus metapolitischer und künstlerischer Sicht – eine Sackgasse.
Den Ausweg kann man finden, wenn man Popkultur so wertfrei wie möglich analysiert. Sie bedient Alltägliches, arbeitet ästhetisch im Gegensatz zur elitären Kunst aber mit offenen Formen, die unendlich wiederholbar, beliebig erweiterbar und umbildbar sind. Dabei kommt es zu einem verabredeten Spiel zwischen Unterhaltungsproduzenten und Konsumenten, denen über die Wiedererkennbarkeit beständiger Motive eine leichte Rezeption ermöglicht wird.
Kulturpessimisten leiten aus dieser Leichtigkeit den Vorwurf der Zerstreuung ab. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Vielmehr bewegt sich der Rezipient zwischen umfassender Konzentration und völliger Teilnahmslosigkeit. Anhand eines Musikvideos dürfte klarwerden, was damit gemeint ist. Die auf VIVA oder MTV laufenden Zwei- bis Vierminüter sind hochkomplex. Beim ersten Ansehen ist es nicht möglich, alle Stilelemente und die damit verfolgten Intentionen gleichzeitig zu erfassen. Der Zuschauer hat also die Wahl: Konzentriert er sich vorrangig auf den Text, die Musik, den Star oder doch auf die Bilder, die in den meisten Fällen flott geschnitten sind? Große Konzentrationsschwankungen eingerechnet, gibt es bei diesen Videos also selbst beim fünften Anschauen immer noch etwas Neues zu entdecken.
Der Durchschnittsrezipient erfaßt diese Fülle an Stilelementen nicht vollständig, aber er wird zur Teilhabe motiviert. Die Vereinbarung zwischen Produzenten und Konsumenten geht dahin, daß jeder sich einen beliebigen Aspekt der Darbietung herausgreift und an ihm erfreut. Ebenso darf der Betrachter zwischendurch abschalten und kann später an einem beliebigen Punkt wieder einsteigen. Der Kulturwissenschaftler Hans-Otto Hügel beschreibt das so: »Die Kunst der Unterhaltung besteht vielmehr darin, ein beständiges Schwanken, ja ein fortwährendes Sowohl-als-auch von Ernst und Null-Bedeutung zu inszenieren« (Lob des Mainstreams. Zu Begriff und Geschichte von Unterhaltung und populärer Kultur, Köln 2007).
Die Popkultur integriert also die Mitte der Gesellschaft, indem sie Gesprächsthemen schafft und gemeinsame Erfahrungen bereitstellt, an die jeder leicht anknüpfen kann. Zugleich befriedigt sie die Träume, Sehnsüchte und Begierden der Menschen an der Schnittstelle zwischen Körper und Gefühl. Welche Bedürfnisse dabei wie befriedigt werden, ist der ausschlaggebende Punkt und veranlaßte selbst den Mitbegründer der Cultural Studies, Richard Hoggart, zu einer Unterscheidung zwischen schlechter Massenkultur und guter Popkultur.
Diese Debatte war in den 1960ern aber keineswegs neu (siehe Thomas Hecken: Theorien der Populärkultur. Dreißig Positionen von Schiller bis zu den Cultural Studies, Bielefeld 2007). Letztendlich hat sie schon Friedrich Schiller ausgetragen. 1791 schrieb er eine Rezension über Bürgers Gedichte. Darin griff er den Dichter Gottfried August Bürger scharf an, weil dieser für Leute schreibe, die »nur für das Sinnliche empfänglich sind, und, den Kindern gleich, nur das Bunte bewundern.« Bürger isoliere einzelne Reize und verwechsle damit Liebe mit Genuß und Glückseligkeit mit Wohlleben.
Wenn man so will, dann kritisierte Schiller, daß Bürger Kulturprodukte für die Massen produzierte und ihre niederen Triebe befriedigte. Dem stellte Schiller einen positiven Begriff von Popularität gegenüber. Ein populärer Schriftsteller solle ein »aufgeklärter, verfeinerter Wortführer der Volksgefühle« sein, der allgemein verständlich spricht. Durch eine poetische Anschaulichkeit und einen natürlichen Sinn glaubte Schiller die Affekte des Volkes in ihrem »rohen, gestaltlosen, oft tierischen Ausbruch« doch »auf den Lippen des Volkes veredeln« zu können. Auf den Punkt gebracht, heißt dies: Es gibt eine oberflächliche, unoriginelle und effekthascherische Massenkultur, die industriell das Bedürfnis nach Sex and Crime stillt. Daneben steht die populäre Kultur, die ebenfalls die emotionalen und körperlichen Bedürfnisse der Menschen befriedigt, dabei aber die Konzentrationsmomente der Rezipienten für die Vermittlung guter Motive und Ideale nutzt.
Patriotische Popkultur hat durchaus Chancen, bei breiten Schichten in ihrem Sinne etwas zu verankern. Dies kann sowohl in Filmgenres, in der Musik als auch der Literatur gelingen, wenn die politischen Inhalte auf die Alltagserfahrungen der potentiellen Leser, Hörer, Zuschauer abgestimmt sind. Mit Kunst hat das nichts zu tun, aber mit dem Kampf um kulturelle Hegemonie.
Ob sie es zugeben oder nicht und ob sie es bewußt machen oder nicht: Frei.Wild vermischt Alltäglichkeiten und heimatbewußte Politik. Damit markiert die Band einen deutlich rechteren Zeitgeist als den gegenwärtig herrschenden. Die Kommentare im Internet zu ihren Videos sprechen da eine deutliche Sprache. Ein Nutzer meint: »Muß es eigentlich immer sein, daß sich unter jedem Video in youtube, welches Deutschrock zeigt, alle über die politische Richtung streiten?« Ein anderer: »Deutschland ist im Wandel!« Und ein dritter sagt: »Die sind politisch genau mittig gesinnt. Sind halt aufrecht deutsch, aber haben nichts gegen andere Kulturen.« Die patriotischen Akzente werden von breiten Schichten wahrgenommen. Das ist immerhin etwas. Elitärer Kunst gelingt das gegenwärtig nicht.