Frei.Wild – Zwischen Popkultur und Zerstreuung

pdf der Druckfassung aus Sezession 35 / April 2010

Platz 15 in den deutschen Albumcharts: Mit ihrer aktuellen Platte Hart am Wind haben die Südtiroler Rocker Frei.Wild (www.frei-wild.net) den Durchbruch geschafft. Derzeit touren sie durch Deutschland und singen über Freiheit, ihre Heimat und ganz normale Dinge. »Südtirol, wir tragen deine Fahne, denn du bist das schönste Land der Welt«, heißt es in einem Lied. Trotz dieses eindeutigen Bekenntnisses bezeichnen sich Philipp Burger und die anderen Bandmitglieder als unpolitisch, sagen aber trotzdem, was sie denken: »Die höchsten Leute im Staat beleidigen Völker ganzer Nationen und ihr Trottel wählt sie wieder. Kreuze werden aus Schulen entfernt, aus Respekt vor den andersgläubigen Kindern. Das ist das Land der Vollidioten«.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Wer nun hofft, daß die Deutschro­cker aus Süd­ti­rol fri­schen Wind in die Bun­des­re­pu­blik brin­gen, wird ent­täuscht wer­den, denn trotz ihrer patrio­ti­schen Tex­te las­sen sich die vier Jungs aus Bri­xen durch ihr poli­tisch kor­rek­tes Manage­ment knech­ten, das etwa auf eine Anfra­ge nach Infor­ma­tio­nen für die­sen Bei­trag mit dem Anwalt droh­te. Die Angst vor allem, was »rechts« sein könn­te, liegt im Wer­de­gang von Frei.Wild begrün­det. »Sän­ger Phil­ipp Bur­ger war ein Schlä­ger, der mein­te, ›rechts‹ zu sein«, teilt ein lang­jäh­ri­ger Sym­pa­thi­sant mit. Ange­fan­gen habe er in der unbe­kann­ten Rechts­rock­grup­pe Kai­ser­jä­ger, und bis vor ein­ein­halb Jah­ren war der Musi­ker noch in der Süd­ti­ro­ler Par­tei Die Frei­heit­li­chen aktiv. Für die­se rechts­kon­ser­va­ti­ve Grup­pie­rung saß er sogar im Bezirks­rat im Eisacktal.
Ende Sep­tem­ber 2008 woll­te Frei.Wild für den Land­tags­wahl­kampf der Frei­heit­li­chen ein Kon­zert geben. Die bun­des­deut­schen Fans, das eige­ne Manage­ment und die Medi­en waren empört, Bur­ger knick­te ein und been­de­te sein poli­ti­sches Enga­ge­ment. Nun ver­sucht die Band, mit gemä­ßig­ter Musik gutes Geld zu ver­die­nen. Den­noch ist ihr Bei­trag zur Zeit­geist­wen­de in Süd­ti­rol nicht zu unter­schät­zen. »Die Jugend ist mitt­ler­wei­le all dem, was mit Süd­ti­rol und Tirol zu tun hat, grund­sätz­lich sehr aufgeschlossen.Was vor nicht ein­mal fünf Jah­ren eher eine Rand­er­schei­nung war, ist heu­te Aus­druck vie­ler Jugend­li­cher, die ganz offen auch zur Unab­hän­gig­keit Süd­ti­rols ste­hen«, berich­tet Micha­el Dema­ne­ga, Lan­des­spre­cher der Frei­heit­li­chen Jugend. Die Lücke, die Frei.Wild durch ihre Kom­mer­zia­li­sie­rung geris­sen haben, ver­sucht der­weil ein neu­es Pro­jekt zu fül­len. Eini­ge Funk­tio­nä­re des Süd­ti­ro­ler Schüt­zen­bun­des nen­nen sich Ver­mächt­nis (www.vermaechtnis.at). Sie erin­nern mit pop­kul­tu­rel­len Klän­gen an Andre­as Hofer, den Befrei­ungs­kämp­fer Sepp Kersch­bau­mer und fin­den, daß Süd­ti­rol noch immer in Ket­ten liegt.
Nun gehört es zum Kern der Kenn­zeich­nung von Pop­mu­sik, daß sie mas­sen­kom­pa­ti­bel zu sein hat, mit­hin die brei­te Mit­tel­schicht anspricht. Auf­stre­ben­de Pro­jek­te ste­hen so irgend­wann vor der Ent­schei­dung, sich ent­we­der zu popu­la­ri­sie­ren, um wei­ter­wach­sen zu kön­nen – oder aber wei­ter­hin den klei­ne­ren, fei­ne­ren Kreis zu bedie­nen. Das ist – aus meta­po­li­ti­scher und künst­le­ri­scher Sicht – eine Sackgasse.
Den Aus­weg kann man fin­den, wenn man Pop­kul­tur so wert­frei wie mög­lich ana­ly­siert. Sie bedient All­täg­li­ches, arbei­tet ästhe­tisch im Gegen­satz zur eli­tä­ren Kunst aber mit offe­nen For­men, die unend­lich wie­der­hol­bar, belie­big erwei­ter­bar und umbild­bar sind. Dabei kommt es zu einem ver­ab­re­de­ten Spiel zwi­schen Unter­hal­tungs­pro­du­zen­ten und Kon­su­men­ten, denen über die Wie­der­erkenn­bar­keit bestän­di­ger Moti­ve eine leich­te Rezep­ti­on ermög­licht wird.
Kul­tur­pes­si­mis­ten lei­ten aus die­ser Leich­tig­keit den Vor­wurf der Zer­streu­ung ab. Das ist aber nur die hal­be Wahr­heit. Viel­mehr bewegt sich der Rezi­pi­ent zwi­schen umfas­sen­der Kon­zen­tra­ti­on und völ­li­ger Teil­nahms­lo­sig­keit. Anhand eines Musik­vi­de­os dürf­te klar­wer­den, was damit gemeint ist. Die auf VIVA oder MTV lau­fen­den Zwei- bis Vier­mi­nü­ter sind hoch­kom­plex. Beim ers­ten Anse­hen ist es nicht mög­lich, alle Stil­ele­men­te und die damit ver­folg­ten Inten­tio­nen gleich­zei­tig zu erfas­sen. Der Zuschau­er hat also die Wahl: Kon­zen­triert er sich vor­ran­gig auf den Text, die Musik, den Star oder doch auf die Bil­der, die in den meis­ten Fäl­len flott geschnit­ten sind? Gro­ße Kon­zen­tra­ti­ons­schwan­kun­gen ein­ge­rech­net, gibt es bei die­sen Vide­os also selbst beim fünf­ten Anschau­en immer noch etwas Neu­es zu entdecken.

Der Durch­schnitts­re­zi­pi­ent erfaßt die­se Fül­le an Stil­ele­men­ten nicht voll­stän­dig, aber er wird zur Teil­ha­be moti­viert. Die Ver­ein­ba­rung zwi­schen Pro­du­zen­ten und Kon­su­men­ten geht dahin, daß jeder sich einen belie­bi­gen Aspekt der Dar­bie­tung her­aus­greift und an ihm erfreut. Eben­so darf der Betrach­ter zwi­schen­durch abschal­ten und kann spä­ter an einem belie­bi­gen Punkt wie­der ein­stei­gen. Der Kul­tur­wis­sen­schaft­ler Hans-Otto Hügel beschreibt das so: »Die Kunst der Unter­hal­tung besteht viel­mehr dar­in, ein bestän­di­ges Schwan­ken, ja ein fort­wäh­ren­des Sowohl-als-auch von Ernst und Null-Bedeu­tung zu insze­nie­ren« (Lob des Main­streams. Zu Begriff und Geschich­te von Unter­hal­tung und popu­lä­rer Kul­tur, Köln 2007).
Die Pop­kul­tur inte­griert also die Mit­te der Gesell­schaft, indem sie Gesprächs­the­men schafft und gemein­sa­me Erfah­run­gen bereit­stellt, an die jeder leicht anknüp­fen kann. Zugleich befrie­digt sie die Träu­me, Sehn­süch­te und Begier­den der Men­schen an der Schnitt­stel­le zwi­schen Kör­per und Gefühl. Wel­che Bedürf­nis­se dabei wie befrie­digt wer­den, ist der aus­schlag­ge­ben­de Punkt und ver­an­laß­te selbst den Mit­be­grün­der der Cul­tu­ral Stu­dies, Richard Hog­gart, zu einer Unter­schei­dung zwi­schen schlech­ter Mas­sen­kul­tur und guter Popkultur.
Die­se Debat­te war in den 1960ern aber kei­nes­wegs neu (sie­he Tho­mas Hecken: Theo­rien der Popu­lär­kul­tur. Drei­ßig Posi­tio­nen von Schil­ler bis zu den Cul­tu­ral Stu­dies, Bie­le­feld 2007). Letzt­end­lich hat sie schon Fried­rich Schil­ler aus­ge­tra­gen. 1791 schrieb er eine Rezen­si­on über Bür­gers Gedich­te. Dar­in griff er den Dich­ter Gott­fried August Bür­ger scharf an, weil die­ser für Leu­te schrei­be, die »nur für das Sinn­li­che emp­fäng­lich sind, und, den Kin­dern gleich, nur das Bun­te bewun­dern.« Bür­ger iso­lie­re ein­zel­ne Rei­ze und ver­wechs­le damit Lie­be mit Genuß und Glück­se­lig­keit mit Wohlleben.
Wenn man so will, dann kri­ti­sier­te Schil­ler, daß Bür­ger Kul­tur­pro­duk­te für die Mas­sen pro­du­zier­te und ihre nie­de­ren Trie­be befrie­dig­te. Dem stell­te Schil­ler einen posi­ti­ven Begriff von Popu­la­ri­tät gegen­über. Ein popu­lä­rer Schrift­stel­ler sol­le ein »auf­ge­klär­ter, ver­fei­ner­ter Wort­füh­rer der Volks­ge­füh­le« sein, der all­ge­mein ver­ständ­lich spricht. Durch eine poe­ti­sche Anschau­lich­keit und einen natür­li­chen Sinn glaub­te Schil­ler die Affek­te des Vol­kes in ihrem »rohen, gestalt­lo­sen, oft tie­ri­schen Aus­bruch« doch »auf den Lip­pen des Vol­kes ver­edeln« zu kön­nen. Auf den Punkt gebracht, heißt dies: Es gibt eine ober­fläch­li­che, unori­gi­nel­le und effekt­ha­sche­ri­sche Mas­sen­kul­tur, die indus­tri­ell das Bedürf­nis nach Sex and Crime stillt. Dane­ben steht die popu­lä­re Kul­tur, die eben­falls die emo­tio­na­len und kör­per­li­chen Bedürf­nis­se der Men­schen befrie­digt, dabei aber die Kon­zen­tra­ti­ons­mo­men­te der Rezi­pi­en­ten für die Ver­mitt­lung guter Moti­ve und Idea­le nutzt.
Patrio­ti­sche Pop­kul­tur hat durch­aus Chan­cen, bei brei­ten Schich­ten in ihrem Sin­ne etwas zu ver­an­kern. Dies kann sowohl in Film­gen­res, in der Musik als auch der Lite­ra­tur gelin­gen, wenn die poli­ti­schen Inhal­te auf die All­tags­er­fah­run­gen der poten­ti­el­len Leser, Hörer, Zuschau­er abge­stimmt sind. Mit Kunst hat das nichts zu tun, aber mit dem Kampf um kul­tu­rel­le Hegemonie.
Ob sie es zuge­ben oder nicht und ob sie es bewußt machen oder nicht: Frei.Wild ver­mischt All­täg­lich­kei­ten und hei­mat­be­wuß­te Poli­tik. Damit mar­kiert die Band einen deut­lich rech­te­ren Zeit­geist als den gegen­wär­tig herr­schen­den. Die Kom­men­ta­re im Inter­net zu ihren Vide­os spre­chen da eine deut­li­che Spra­che. Ein Nut­zer meint: »Muß es eigent­lich immer sein, daß sich unter jedem Video in you­tube, wel­ches Deutsch­rock zeigt, alle über die poli­ti­sche Rich­tung strei­ten?« Ein ande­rer: »Deutsch­land ist im Wan­del!« Und ein drit­ter sagt: »Die sind poli­tisch genau mit­tig gesinnt. Sind halt auf­recht deutsch, aber haben nichts gegen ande­re Kul­tu­ren.« Die patrio­ti­schen Akzen­te wer­den von brei­ten Schich­ten wahr­ge­nom­men. Das ist immer­hin etwas. Eli­tä­rer Kunst gelingt das gegen­wär­tig nicht.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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