Kracht lesen – Ästhetischer Fundamentalismus

pdf der Druckfassung aus Sezession 35 / April 2010

von Johannes Schüller

Zehn Jahre nach dem Mauerfall 1989 trafen sich fünf »parfümierte Popschnösel« (so Henryk M. Broder) im Berliner Hotel Adlon. Während ihrer Gespräche über Musik, Prada-Schuhe und die RAF wurde zu Füßen der Fünfsterne-Unterkunft ein antifaschistisches Grillfest angekündigt. Die »parfümierten Popschnösel« Joachim Bessing, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg, Benjamin von Stuckrad-Barre und Christian Kracht quittierten das mit einem Spaziergang »Unter den Linden«. Stuckrad-Barre resümierte schließlich im Adlon: »Es war eigentlich die unmotivierteste Demonstration, die ich je schaute.«

Der deut­sche Blät­ter­wald echauf­fier­te sich nicht zuletzt auf­grund sol­cher Non­cha­lance. »Arro­ganz und Über­druß« war­fen Bro­der und Mohr im Spie­gel dem Quin­tett vor: »ange­streng­ten Insi­der-Jar­gon, und übrig bleibt die pure Ober­flä­che der Waren­welt«. Und Fer­idun Zai­mo­g­lu schimpf­te in der Zeit auf »ent­fes­sel­te Mit­tel­stands­mu­cker gest­ri­ger Chips­par­tys«. Die Schrift­stel­ler sei­en in ers­ter Linie ihrer eige­nen pop­kul­tu­rel­len Kon­sum­be­schwö­rung erle­gen. Und spe­zi­ell bei Chris­ti­an Kracht blie­be alles »reak­tio­nä­res Kunst­hand­werk, Welt­wulst-Lamen­to, Westentaschenroyalismus«.
Zwei vor­wurfs­voll gemein­te und oft schwam­mig defi­nier­te Begrif­fe hän­gen die­sem Kracht bis heu­te an: »Dan­dy« und »Pop­li­te­rat «. Aber das ist – mitt­ler­wei­le – ein biß­chen zu wenig und zu bil­lig. Auch »rechts« trifft es nicht, obwohl die­se Zuschrei­bung zunächst für die rech­te Avant­gar­de der Grund war, Kracht sehr genau zu lesen. Zu Recht: Man stößt in sei­nen Tex­ten häu­fig auf eine zwei­te her­me­neu­ti­sche Ebe­ne, auf »unge­ahn­te Abgrün­de, auf eine kom­ple­xe Welt hin­ter der Ober­flä­che der Tex­te« (Johan­nes Birg­feld, Clau­de D. Con­ter: Chris­ti­an Kracht. Zu Leben und Werk, Köln 2009). Denn der Ana­lo­gie­schluß zwi­schen Pop­kul­tur, Dan­dy­is­mus und Ober­fläch­lich­keit stimmt zumin­dest dann nicht, wenn man ihn auf Kracht anwen­det. Dies liegt auch in der Schwam­mig­keit des Begriffs »Pop­li­te­ra­tur« begrün­det. »Chris­ti­an Kracht ist ein Phä­no­men, dem sich die neue­re deut­sche Lite­ra­tur­wis­sen­schaft nicht stellt, weil sie ihm nicht gewach­sen ist«, resü­miert Mara Deli­us dem­entspre­chend in der Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung vom 1. Novem­ber 2009.
Kracht wur­de am 29. Dezem­ber 1966 im schwei­ze­ri­schen Saa­nen gebo­ren. Sein Vater Chris­ti­an Kracht war der Gene­ral­be­voll­mäch­tig­te des Axel Sprin­ger Ver­lags. Kracht erhielt neben der schwei­ze­ri­schen Staats­bür­ger­schaft auch den Paß des land­lo­sen Staa­tes »Neue Slo­we­ni­sche Kunst«. Deren berühm­tes­te Bür­ger sind – neben Kracht – die Mit­glie­der der Indus­tri­al- Band Laibach.
Bereits 1995 erschien Krachts ers­ter Roman Faser­land. In einer apa­thi­schen Ich-Erzähl­per­spek­ti­ve beschreibt ein anony­mer End­zwan­zi­ger eine Rei­se durch Deutsch­land zwi­schen Cham­pa­gner­par­tys und dem ICE-Bord­treff. Er lei­det an einer schwer greif­ba­ren Lee­re inmit­ten des fröh­li­chen Kon­sums und regis­triert die Macht­lo­sig­keit gegen­über eige­nem und frem­dem Ver­fall, wäh­rend sein Weg wei­ter­hin von gebü­gel­ten Guc­ci-Hem­den und Bar­bour-Jacken gesäumt ist. Haß steigt auf, als ein Pas­sant über sei­nem tür­kis­far­be­nen Por­sche erbricht. Mit einem geplan­ten Besuch am Grab Tho­mas Manns deu­tet sich eine posi­ti­ve Wen­dung an. Doch die Suche nach dem Grab schei­tert. Im Zei­chen eines koten­den Hun­des bricht Kracht den Pil­ger­weg iro­nisch. Die Ruder­fahrt des Prot­ago­nis­ten über den Zürich­see endet in der Lee­re des Was­sers, das Schick­sal des Anony­men bleibt offen. Neben dem »schöns­ten, ele­gan­tes­ten Deutsch, das der­zeit zu lesen ist« (Gus­tav Seibt), deu­tet sich hier ein in Krachts Roma­nen kon­ti­nu­ier­lich wei­ter­ge­schrie­be­ner Topos an: das Ver­schwin­den in der Stille.

Das deut­sche Feuil­le­ton fei­er­te Faser­land vor allem als »Iko­ne der deut­schen Pop-Lite­ra­tur « (Birg­feld und Con­ter). Elke Buhr etwa sah in Faser­land eine »Unter­wer­fung aller Lebens­fra­gen unter das Pri­mat des Stils« (Frank­fur­ter Rund­schau 10.10.2001), und Kracht selbst befeu­er­te die­se Wahr­neh­mung erst jüngst, als er in einem Inter­view mit dem Tages-Anzei­ger (20.9.2009) äußer­te: »Die Unter­hal­tung kommt bei mir immer an ers­ter Stel­le!« Das soll­te man auch dann ernst neh­men, wenn man zu der von Con­ter und Birg­feld beschrie­be­nen zwei­ten Lek­tü­re­ebe­ne bei Kracht vor­stößt. Hier erschließt sich der Blick auf den von Oli­ver Jahr­aus und Gus­tav Seibt beschrie­be­nen »ästhe­ti­schen Fun­da­men­ta­lis­mus « als »radi­ka­li­sier­te Form« erzäh­le­ri­scher Auto­no­mie (Oli­ver Jahr­aus: Ästhe­ti­scher Fun­da­men­ta­lis­mus, in: Birgfeld/Conter: Chris­ti­an Kracht): Er ist – an Ernst Jün­ger geschult – gekenn­zeich­net durch einen lei­den­schafts­lo­sen, kal­ten, amo­ra­li­schen, exakt regis­trie­ren­den Blick auf die (selbst­ent­wor­fe­ne) Sze­ne. Wenn in Faser­land noch der unter­grün­dig sug­ge­rier­te Ekel vor einer Welt der Mode­mar­ken und des Cham­puss­aufens domi­niert, arbei­tet Kracht im 2001 erschie­ne­nen Roman 1979 stär­ker den Moment der Auf­lö­sung her­aus. Der Weg eines schwu­len Deka­dents beginnt auf einer Par­ty in Tehe­ran und endet nach einer Rei­se zu Tibets hei­li­gem Berg in einem chi­ne­si­schen Arbeits­la­ger. »Ich hat­te mich von allem Unwich­ti­gen frei gemacht, ich woll­te nichts mehr, ich war frei.« Es gehört zur Wucht Kracht­schen Erzäh­lens, daß er den Wunsch danach, ein guter Gefan­ge­ner zu sein, als Frei­heit beschreibt, und die sozia­lis­ti­sche Selbst­kri­tik inner­halb des Lagers als The­ra­pie. In der fran­zö­si­schen Über­set­zung über­setz­te man die pes­si­mis­tisch anmu­ten­de Erzäh­lung zur Isla­mi­schen Revo­lu­ti­on im Iran bezeich­nen­der­wei­se mit Fin de par­ty. Dahin­ter dürf­te sich nicht allein eine seman­ti­sche Anleh­nung an Samu­el Becketts Ein­akt-Dra­ma Fin de par­tie verbergen.
1979 hat gereicht, um Kracht eine eben­so ernst­haf­te wie moder­ne Leser­schaft zu sichern. Jedoch gehört es viel­leicht zum Kon­zept Krachts, die­je­ni­gen mit einer selt­sa­men Kom­bi­na­ti­on aus Ästhe­ti­zis­mus und Spie­le­rei zu ver­grau­len, die ihm Erkennt­nis­schrit­te zutrau­ten: Kracht gab gemein­sam mit Eck­hart Nickel zwi­schen 2004 und 2006 die Lite­ra­tur­zeit­schrift Der Freund her­aus. Geschrie­ben wur­de in Deutsch, Eng­lisch und Fran­zö­sisch, end­los lang­wei­li­ge Inter­views zogen sich über fünf­und­zwan­zig Sei­ten. Er hat damit Leser ver­lo­ren – und nicht die schlechtesten.
Aber ihm ist Wie­der­gut­ma­chung gelun­gen, und zwar mit sei­nem vor­erst letz­ten Roman: Ich wer­de hier sein im Son­nen­schein und im Schat­ten stellt die Schweiz als Sowjet­re­pu­blik vor. Lenin war nicht nach Ruß­land gereist, son­dern bei Zürich ver­blie­ben, und nun führt die kom­mu­nis­ti­sche Schweiz seit sechs­und­neun­zig Jah­ren Krieg gegen die faschis­ti­schen Staa­ten im Nor­den. Sie hat neben­bei gro­ße Tei­le Afri­kas erobert, um in Savan­ne und Wüs­te Städ­te zu errich­ten und den Fort­schritt zu brin­gen. Vor allem aber rekru­tiert die Schweiz Trup­pen für den Kampf in Euro­pa. Krachts Roman ist aus der Per­spek­ti­ve eines schwar­zen »Par­tei­kom­mis­s­ärs « (lin­gua hel­ve­ti­ca!) geschrie­ben, der im Heer der »Schwei­ze­ri­schen Sowjet­re­pu­blik« dient. Sein Auf­trag führt ihn auch in das unter­ir­di­sche Tun­nel­sys­tem Réduit, den Kern des Sowjet­staa­tes unter den Schwei­zer Alpen. »In dem Réduit, so schien es mir, hat­te sich in den Jahr­zehn­ten ihres Fort­be­stehens Anar­chie ein­ge­stellt, da sie nicht zu erobern war«, schluß­fol­gert er und ver­läßt sei­ne neue Hei­mat in Rich­tung eines kla­ren, über­schau­ba­ren, pul­sie­ren­den Afri­ka. So kann Ich wer­de hier sein im Son­nen­schein und im Schat­ten als dys­to­pi­scher Roman über den Unter­gang des wei­ßen Man­nes gele­sen werden.
Spä­tes­tens mit die­sem Roman nun zeig­te sich, wie unzu­rei­chend die Begrif­fe »Dan­dy« und »Pop­li­te­ra­tur« sind, um das Werk Chris­ti­an Krachts zu erfas­sen. Viel­mehr bedarf es einer gründ­li­che­ren Lek­tü­re, um den »ästhe­ti­schen Fun­da­men­ta­lis­mus« des ver­meint­li­chen Dan­dys wir­ken zu las­sen. Auf einen Nen­ner gebracht: Kracht nähert sich der Bestim­mung radi­ka­ler Abkehr an, die Rai­nald Goetz vor­nahm: »Das Gespräch gilt es zu mei­den. Denn das Gespräch macht dumm. All jene zum Welt­erken­nen und Welt­den­ken not­wen­di­gen Tugen­den: Eis, Uner­bitt­lich­keit, Stren­ge, Zorn, Gra­zie.« (Rai­nald Goetz: Hirn, Frank­furt am Main 1986.)

Lite­ra­tur (Aus­wahl):

Faser­land
. Roman, Köln 1995. Zuletzt erschie­ne­ne Neu­auf­la­ge Mün­chen 2002.

1979. Roman, Köln 2001. Zuletzt erschie­ne­ne Neu­auf­la­ge Mün­chen 2003.

Der Freund
. Her­aus­ge­ge­ben von Chris­ti­an Kracht und Eck­hart Nickel, Ber­lin 2004–2006.

Ich wer­de hier sein im Son­nen­schein und im Schat­ten
. Roman, Köln 2009.

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