Rabenmütter und Superglucken

Ich komme nicht umhin, abermals einen schlichten Schwank aus dem heimischen Alltag auszuplaudern. Das folgt einer gewissen Logik:

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Wir befin­den uns in der sechs­ten Woche der Som­mer­fe­ri­en. Heißt: Von mor­gens bis abends sind Kin­der zu betreu­en, selbst der Kin­der­gar­ten hat Feri­en, erst recht die Ver­ei­ne und Musik­schu­len. Kei­ne Zeit, aus­führ­lich die Zei­tung zu lesen oder neben­bei Radio zu hören. Da wird das Pri­va­te politisch!

Wie läuft das eigent­lich in Fami­li­en, wo bei­de Eltern­tei­le ganz­tags berufs­tä­tig sind, was zumin­dest hier im Osten der Repu­blik die Regel ist? Da reicht der Jah­res­ur­laub kaum aus, um sämt­li­che Feri­en­zei­ten der Kin­der abzu­de­cken. Ich schät­ze, in ein paar Jah­ren wer­den Kin­der­be­treu­ungs­an­ge­bo­te rund um die Uhr dem­nächst zum übli­chen Ange­bot gehö­ren, und in nicht ganz fer­ner Zukunft wird es einen soge­nann­ten Rechts­an­spruch dar­auf geben.

In unse­rer Kreis­stadt Mer­se­burg ist man da auf bes­tem Weg, die Kitas sind hier von 5 bis 20 Uhr geöff­net, bei Betriebs­fe­ri­en dür­fen die Klei­nen (ab einem hal­ben Jahr) kurz­fris­tig und unkom­pli­ziert in einer ande­ren Stät­te abge­ge­ben wer­den. Ja, so und noch aus­ge­dehn­ter wird’s sicher bun­des­weit kom­men, mit den übli­chen, heu­te schon bekann­ten Pro­ble­men: Wo sind die Mas­sen derer, die gut und ger­ne betreu­en und pfle­gen? Bei der Alten­pfle­ge mag’s noch ange­hen, wenn nur rade­bre­chend kom­mu­ni­ziert wer­den kann, dort fällt auch der Aspekt der päd­ago­gi­schen Qua­li­fi­ziert­heit nicht so ins Gewicht. Man darf gespannt sein, ob die Initia­ti­ve wirk­lich Schwung in die soge­nann­te Betreu­ungs­land­schaft bringt.

Also, vom poli­ti­schen zum pri­va­ten Zoo: Als wir erst kurz hier in Sach­sen-Anhalt wohn­ten, kamen eines Tages die Kin­der zu mir. Der Nach­bar habe sie ein­ge­la­den, er wol­le ihnen sei­ne Schieb­schen zei­gen. Ob sie mal schau­en dürf­ten? Ich beglei­te­te sie vor­sichts­hal­ber. Was es noch mal zu bestau­nen gäbe? „Na, ich hab Schieb­schen! Da dür­fen die Klee­nen doch mal gucken!“ Sie haben – was? Der Mann, nun ganz leicht unge­dul­dig in beton­tem „Hoch­deutsch“: „SCHIEB-CHEN! Das gab´s in der Stadt wohl nicht?“

Schieb­chen heißt hier­zu­lan­de, was anders­wo Hüh­ner­kü­ken sind, und eine Attrak­ti­on ist das für­wahr. Zwei­fels­oh­ne gibt es kei­ne Jung­vö­gel, die nied­li­cher sind als Hühnerküken.

Über das Glück, eine Glu­cke zu besit­zen und die schon län­ger­wäh­ren­de Mode, Hüh­nern das Glu­cken abzu­züch­ten, hab ich sei­ner­zeit ein gan­zes Buch­ka­pi­tel ver­faßt. Zeit­ge­nös­si­sche Hüh­ner tun brav ihren Job, das heißt, sie legen Eier. Ver­ein­zelt auf­tre­ten­den Brüt­hen­nen treibt man ihren Ata­vis­mus für gewöhn­lich aus. Die Brut hat aus dem Maschi­nen­be­trieb zu schlüp­fen, und bas­ta – das hat noch kei­nem Küken gescha­det. Sagt man.

Wie ich bereits schil­der­te, hat­ten wir nach einem küken­lo­sen Jahr nun wie­der Glu­cken­glück- schein­bar. Die jun­ge Ita­lie­ne­rin, die beharr­lich auf ihrem guten Dut­zend Eiern hock­te, hat­te vor zehn Tagen end­lich aus­ge­brü­tet. Naja: gan­ze fünf Küken schlüpf­ten. Eins trat sie gleich tot. Die ande­ren vier waren ihr völ­lig egal. Auf­ge­kratzt wand­te die jun­ge Mut­ter sich sofort ihrer Genos­sen­schaft und dem betriebs­lei­ten­den Hahn zu. Brut­pfle­ge: nicht so ihr Ding. War­um? Gibt’s Wochen­bett­de­pres­sio­nen auch bei Feder­vieh? Ärger­te sie sich, daß sich der Erzeu­ger nicht küm­mert? Hat­te sie Ein­flüs­te­run­gen von sei­ten des glu­cken­feind­li­chen Betriebs zu erlei­den? Eine war­me Nacht über­leb­ten die Schieb­chen, dann schwä­chel­ten sie sicht­bar. Unser Fünf­jäh­ri­ger erschloß einer vor­bei­schau­en­den Nach­ba­rin gleich mensch­li­che Par­al­le­len: „ Bei den Tie­ren ist es halt manch­mal wie bei den Men­schen, wenn sie´s schlecht machen: Unser Mut­ter­huhn ist wie Frau L.: eine Men­ge Kin­der krie­gen: ja. Sich dann aber drum küm­mern: über­haupt nicht!“

Die Nach­ba­rin staun­te und nick­te. Ach je, die­se Tier/­Mensch-Ana­lo­gien! Auch wenn’s mir wider­strebt, das über­zu­stra­pa­zie­ren – man kann sich ihnen ja wirk­lich nicht ent­zie­hen. Genau­so wie mir die stief­müt­ter­li­che Ita­lie­ne­rin unsym­pa­thisch gewor­den ist (sie ist nun eine Kan­di­da­tin für den Sup­pen­topf), so sehr geht mir das Geba­ren der Tür­ken­en­ten­mut­ter auf den Nerv. Man kann alles über­trei­ben, auch die Brut­pfle­ge! Bei der Tür­ken­en­te ist es so: Kaum betritt man das Gehe­ge (und sie müß­te längst wis­sen: man tut es aus­schließ­lich in bes­ter Absicht, näm­lich um zu füt­tern), springt sie einem schier ins Gesicht. Ohne Stock in der Hand kommt man hier nicht weiter.

Auch sol­che Mut­ter­ty­pen haben ihr mensch­li­ches Spie­gel­bild. Neu­lich erst im Zug, Anwei­sung einer im Kin­der­ab­teil mit­rei­sen­den Mut­ter an ihre Kin­der: „Und wenn euch beim Aus­stei­gen einer schubst oder drän­geln will, dann kratzt, dann schreit ein­fach ganz laut! Ihr braucht euch nichts sagen und gefal­len zu las­sen!“ Für sach­sen-anhal­ti­sche Ver­hält­nis­se ist die­ses Getue aller­dings unty­pisch. Hier gilt die fami­li­en­frem­de Gesell­schaft eher als Gedeih-Biotop.

Die jun­ge Hüh­ner­brut fühl­te sich unter der Rot­licht­lam­pe jeden­falls nicht wohl. War ihnen sicher zu ste­ril. Die zwei schwächs­ten nahm ich mir zur Brust und trug sie nahe 37 Grad Kör­per­wär­me. Aber sie schafften’s den­noch bei­de nicht. Die ande­ren zwei sind nun unse­re all­seits gelieb­ten Über­le­ben­den. Die Pseu­do-Glu­cke schert sich wei­ter­hin einen feuch­ten Dreck um sie, wir füt­tern die Klei­nen in einem trag­ba­ren Kanin­chen­stall mit fri­schen Regen­wür­mern, Bren­nes­seln, Karot­ten und Hafer­flo­cken. Ist es tags zu kalt (sie brau­chen immer noch annä­hernd 30 Grad), set­zen wir das Ställ­chen in die Sau­na und schal­ten kurz an. Abends schla­fen sie neben dem Men­schen­bett in einer Pup­pen­wie­ge unter einem dicken Kis­sen und erset­zen mor­gens durch ihre Schieb­chen-Geräu­sche (klar, der Name ist laut­ma­le­risch!) den Wecker.

Vom ers­ten Tag an war mir ziem­lich klar, daß eins, das Bun­te, ein Männ­chen ist und das ande­re, das Schwar­ze, ein Weib­chen. Aber – wer weiß? Ihnen fehlt ja die Sozia­li­sa­ti­on durch vor­ge­leb­te Geschlech­ter­rol­len! Viel­leicht ist Fri­do­lin auch ein aus­ge­mach­ter tom­boy und wird der­einst als Frie­da das Gehe­ge unsi­cher machen! Auch für die zar­te Lil­li haben sich die Kin­der eine geschlech­ter­ge­rech­te Namens­al­ter­na­ti­ve aus­ge­dacht: Ent­puppt sich das Klei­ne doch als fein­glied­ri­ger Herr, soll er auf den Namen Lol­li hören. Das heißt auf Hoch­deutsch zwar Dau­er­lut­scher, aber dar­auf kamen die Kin­der noch nicht.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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