Gibt es Juden? (II)

Als Ergänzung zu Karlheinz Weißmann und Andreas Vonderach noch drei kleine Zugaben zu der blödsinnigen, reflexartigen Aufregung um Sarrazins Erwähnung eines "jüdischen Gens".

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

In den letz­ten Wochen geis­ter­te die Som­mer­loch­mel­dung durchs Netz, daß neue DNA-Tests, vor­ge­nom­men an ein paar ent­fern­ten, noch leben­den Ver­wand­ten Hit­lers, bewei­sen wür­den, daß der Föh­rer jüdi­sche Vor­fah­ren gehabt hät­te (was ja an sich eine Uralt-Legen­de ist):

Ein Chro­mo­som genannt Haplo­grup­pe E1b1b1, das in den Pro­ben auf­tauch­te, ist in West­eu­ro­pa sel­ten, und fin­det sich meis­tens bei den Ber­bern von Marok­ko, Alge­ri­en und Tune­si­en sowie bei asch­ke­na­si­schen und sephar­di­schen Juden.

Zusätz­lich sei­en die Pro­ben mit sol­chen von Hit­lers DNA ver­gli­chen wor­den, die “in einer ver­sie­gel­ten Pan­zer­tru­he auf­be­wahrt” wer­den. Wow. Huch. Naja. Wie der­glei­chen tat­säch­lich wis­sen­schaft­lich exakt funk­tio­nie­ren soll, und wo man nach 65 Jah­ren sol­che Hit­ler-Pro­ben her­be­kommt, ent­zieht sich aller­dings mei­ner Vor­stel­lungs­kraft. Mei­ne bei­den kon­ser­va­ti­ven Lieb­lings-Ami-Sei­ten Alter­na­ti­ve Right und Taki­mag haben die Sto­ry ange­mes­sen iro­nisch kom­men­tiert, und auf die zwei­schnei­di­ge Fal­le hin­ge­wie­sen, die sich den Anti­ras­sis­ten nun stel­len muß: Hit­lers Ras­sen­leh­re mag nun zwar ad absur­dum geführt sein, aber immer­hin ist “Ras­se” offen­bar doch mehr als ein “Kon­strukt”, näm­lich etwas, das man knall­hart gene­tisch nach­wei­sen kann. Ob das so ist oder nicht, weiß ich nicht, aber die Mel­dung sei hier zitiert, um zu zei­gen, daß man sich andern­orts in einem ande­ren Kon­text sehr wohl Gedan­ken um das “Bio­ju­den­tum” machen kann, ohne daß alle Welt gleich epi­lep­ti­sche Anfäl­le bekommt.

Wer nun genau wis­sen will, ob auch er durch Asch­ke­na­sen-Gene geadelt ist, die sich irgend­wann in grau­er Vor­zeit mal rein­ge­mixt haben soll­ten, kann auf der Netz­sei­te iGE­NEA einen DNA-Test ab 99.- Euro bestel­len. Dort kann man unter ande­rem lesen:

Sind Sie Jude? Haben Sie jüdi­sche Wur­zeln? Gehö­ren Sie zu den Asch­ke­na­sen? Sind Sie ein Levi oder ein Cohen? (…)

Es gibt bestimm­te gene­ti­sche Merk­ma­le, die auf eine jüdi­sche Her­kunft hin­wei­sen. Mit einem DNA-Test von iGE­NEA kann Ihr DNA-Pro­fil auf die­se Merk­ma­le hin unter­sucht werden.

Trä­ger der­sel­ben oder ähn­li­cher gene­ti­scher Merk­ma­le wer­den in Haplo­grup­pen zusam­men­ge­fasst. Die Zuge­hö­rig­keit zu bestimm­ten Haplo­grup­pen kann auf eine jüdi­sche Her­kunft hin­wei­sen. Außer­dem wird ein bestimm­tes DNA-Pro­fil “Cohen Modal-Haplo­typ” genannt, weil es ver­mehrt in der jüdi­schen Unter­grup­pe der Coh­anim vor­kommt. Die­ser Haplo­typ weist deut­lich auf eine jüdi­sche Her­kunft inner­halb der väter­li­chen Linie hin.

Auch wenn Sie kei­ne typisch jüdi­sche Haplo­grup­pe haben, kön­nen Sie trotz­dem jüdi­sche Wur­zeln haben. Durch den Ver­gleich Ihres DNA-Pro­fils mit allen ande­ren Pro­fi­len in unse­rer Daten­bank (über 240’000), fin­den Sie Per­so­nen, die mit Ihnen gene­tisch über­ein­stim­men (“gene­ti­sche Vet­tern”). Wenn vie­le Ihrer gene­ti­schen Vet­tern Juden sind, dann haben Sie mit hoher Wahr­schein­lich­keit auch jüdi­sche Wurzeln.

Nach halachi­schem Recht ist jüdisch, wer von einer jüdi­schen Mut­ter gebo­ren wur­de oder zum Juden­tum kon­ver­tiert ist. Die enge Ver­bin­dung von Kul­tur, Tra­di­ti­on, Reli­gi­on und Volks­zu­ge­hö­rig­keit zeich­net das Juden­tum im Beson­de­ren aus. Es ent­wi­ckel­te sich über die Jahr­hun­der­te eine gewis­se gene­ti­sche Homo­ge­ni­tät, die durch einen DNA-Test sicht­bar wird.

Davon, daß die “Juden-Gen”-Entdeckung in Isra­el seit gerau­mer Zeit fashionable ist, berich­tet das Blog Die freie Welt. Dort wird unter ande­rem der Jubel eines ortho­do­xen Rab­bis zitiert, der die Bestän­dig­keit des jüdi­schen Gen­pools zu einem gött­li­chen Wun­der erklärt :

The­re is now new and exci­ting DNA evi­dence for com­mon Jewish ori­gin – not just among Coh­anim, the Priestly Class, but among Jews scat­te­red all over the globe. (…)

All of the­se com­mu­ni­ties main­tai­ned their Jewish cus­toms and reli­gious obser­van­ce despi­te pro­lon­ged peri­ods of per­se­cu­ti­on. Jews remain­ed gene­ral­ly cul­tu­ral­ly iso­la­ted from their host com­mu­ni­ties. The­se gene­tic stu­dies are a tes­tim­o­ny to Jewish fami­ly faithfulness.

Only the Jewish peo­p­le in the histo­ry of man­kind has retai­ned its gene­tic iden­ti­ty for over 100 gene­ra­ti­ons, while being spread throug­hout the world –- tru­ly uni­que and inspiring.

Per­haps, even more uni­que and inspi­ring, is that this most unli­kely sce­na­rio was a pro­phe­cy and a promise.

Es kön­nen also alle, die nun in Erman­ge­lung von sach­li­chen Ein­wän­den ver­bis­sen nach einem Grund suchen, dem Sara­ze­nen wegen der Gen-Num­mer vor den Kar­ren zu fah­ren, auf dem Boden blei­ben: sei­ne Bemer­kung ist im zeit­ge­nös­si­schen wis­sen­schaft­li­chen und jüdisch-iden­ti­tä­ren Dis­kurs alles ande­re als unge­wöhn­lich oder neuartig.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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