Sarrazin und über das Mitsegeln in Sarrazins Windschatten. Ich dachte eigentlich, daß der Redakteur nach unserem Telefonat verstanden hätte, worauf es mir/uns ankommt. Und “verwittert” ist unser Rittergut schon gar nicht.
Der Artikel (hier kann man ihn lesen) soll also nun der Anlaß sein, zu notieren, warum es aus meiner Sicht für uns ein “vor”, ein “während” und ein “nach” Sarrazins Buch-Sommer gibt.
Mit Blick auf eine nicht immer zuverlässige, in Höhenregionen aber doch aussagekräftige amazon-Statistik läßt sich über das “während” folgendes sagen: Unsere gut vorbereiteten Studien und Bücher werden in einem logarithmierten Angebotskreislauf wie von alleine mitgezogen, zu Recht wie ich meine: Nichts paßt besser zu Sarrazins Buch als die vom Institut für Staatspolitik gründlich recherchierte und nun innerhalb weniger Tage aktualisierte Studie Der Fall Sarrazin, die mittlerweile auf Platz 20 der Bestsellerliste angekommen ist. Darin findet sich neben einer Einordnung des Buchs auch eine Medienanalyse zum 1. Fall Sarrazin und – besonders wichtig – eine Fakten-Analyse: Welche Thesen stellt Sarrazin auf, welche Fakten sprechen für diese Thesen, gibt es Mängel in der Recherche?
Wir drucken von dieser Studie derzeit 5000 Exemplare nach, sie werden nicht reichen. Mit in den Kreislauf gerutscht sind auch die Bücher Deutsche Opfer, fremde Täter sowie Zurüstung zum Bürgerkrieg aus meinem Verlag. Wir verdienen also gut mit. Jeder Verleger wird stets versuchen, auf solchen Wellen mitzureiten. Von mir aus muß sie noch lange nicht ausbranden.
Uns ist dabei klar, daß wir diesen Erfolg nicht uns, sondern dem klaren Wort und dem Provokationspotential des Dissidenten Sarrazin zu verdanken haben. Aber, präziser – und damit bin ich beim “vor Sarrazin”: Man muß auf solche Momente schon vorbereitet sein. Das im weiten Sinne konservative, rechte Milieu träumt ja seit Jahren von der Stunde, in der einer die Tür aufstieße und eine Debatte begänne, als deren Sieger die Konservativen aufgrund ihrer Argumentationsstärke schon im voraus feststünden.
Es ist nun so, daß die Nische ein warmes Plätzchen ist, ein Windschatten. Es ist leicht, stets zu beklagen, daß man nicht zu Wort komme. Ich sage das in vielen Bereichen auch und meine etwa auch beim Blick auf die Beckmann-Runde von gestern abend, daß man Sarrazin fairerweise einen Verbündeten hätte an die Seite setzen sollen. Noch schlimmer ist es ja, wenn die Gegner nur noch unter sich über den Abwesenden und seine Thesen diskutieren.
Wie wäre es aber, wenn neben Sarrazin ein Sofa-Plätzchen freigemacht würde? Wer wäre bereit, wer wäre vorbereitet, wer wäre ausgefuchst, wer wäre schlagfertig genug? Man muß dann so ein Buch schon gründlich gelesen haben, man muß im Saft stehen, muß vergleichen können, muß Zitate von früher im Kopf haben, muß die Fußangeln erkennen, die ausgelegt werden. Das alles, diese ganze Vorbereitung auf den Punkt muß “vor” Sarrazin gelaufen sein, nicht nur für die Sofaecke, sondern auch für den Kreislauf der großen Buchversande.
Das darf hier einmal gesagt werden: Das Institut für Staatspolitik arbeitet in dieser Hinsicht vorbildlich – reaktionsschnell, unkompliziert, oder kennt jemand eine andere Institution, die gestern bereits eine Studie zum Nachdruck in Auftrag gab, dafür die Lektüre des Buchs bewältigte und erste Reaktionen einarbeitete? Kommentarspalten vollzuschreiben und ständig auf dem neuesten Stand darüber zu sein, wer gerade was über Sarrazin gesagt hat, ist erst dann eine Leistung, wenn daraus produktiv etwas wird – wenn es im Zweifelsfall vorgebracht, vertreten, unterfüttert und veröffentlicht werden kann.
Wie groß der Unterschied zwischen der Ansammlung von Halbwissen und der kenntnisreichen Debattenbeteiligung oder Veröffentlichung eines Buchs oder einer Studie ist, wissen viele nicht. Und wie groß der Unterschied zwischen anonymem Kommentar und persönlicher Konfrontation durch einen Medienprofi ist, wissen die meisten nicht. Aber man muß das lernen.
Denn damit bin ich beim “nach Sarrazin”: Wir können nun nicht mehr behaupten, daß das Zuwanderungsthema oder das Thema Ausländerkriminalität oder das Überfremdungs- und damit das Identitätsthema keine wären. Diese Themen sind jetzt auf der Tagesordnung, sie werden gedreht, sie werden püriert, aber sie sind da – und wenn der Geist aus der Flasche ist, dann will er nicht wieder hinein.
Es ist also vorbei mit dem Argument: Wir würden, wenn wir nur dürften. Wir dürfen schon (siehe Buch-Kreislauf), wir dürfen vielleicht sogar noch mehr, demnächst. Jetzt müssen die Karten auf den Tisch. Aus ist’s mit der Nische.
Sondaschüler
Ich glaube, daß wir die ganze Sarrazin-Sache überbewerten. Klar, im Windschatten des Medienspektakels kann Antaios seine Verkaufszahlen kräftig erhöhen - und das ist auch gut so. Insgesamt ist das natürlich ein Schritt nach vorne.
Was soll aber nun der ansonsten brave BRD-Bürger, der nun aufgeputscht durch Sarrazin-Lektüre nach radikalen Veränderungen strebt, tun? CDU wählen? Einfluß auf das etablierte Parteienspektrum wird der Fall-Sarrazin kaum haben. Die CDU wird eine sozialdemokratisierte Partei bleiben.
Bleibt nur zu hoffen, daß sich das allgemeine Meinungsklima langfristig nach rechts verlagern läßt. Doch was kann die Sarrazin-Debatte noch ausrichten, wenn nach dem ersten Hype das Interesse der Bundesbürger verflogen ist? Dem deutschen Michel scheint der Bau eines Bahnhofes in Stuttgart wichtiger als die Tatsache des Vorbürgerkrieges zu sein. Ein derartig fortgeschrittenes Maß an Verblödung macht es sehr schwer, an einen Erfolg glauben zu können.