Wer auch nur oberflächlich in Zeitungen schaut oder die Nachrichten im Fernseher verfolgt, muß zu der Überzeugung gelangen, daß es neben dem innenpolitischen Treiben austauschbarer Parteien wenigsten aus globaler Perspektive echte Aufgaben gibt: den Kampf gegen den Klimawandel, die Organisation des Überlebens der Menschheit und die Durchsetzung der weltweit gerechten Ressourcenverteilung.
Zusammenfassen lassen sich diese Aufgaben unter dem Stichwort „ökologische Frage”, und man kann diese Frage als eine der wenigen offenen Flanken der ansonsten aufgrund ihrer Flexibilität so erfolgreichen „offenen Gesellschaft” begreifen: Dort, wo die Knappheit der Ressource Zuteilung erzwingt, endet die offene Gesellschaft und verwandelt sich zu gleichen Teilen in eine planwirtschaftliche (Öko)-Diktatur und in eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, in der ein kleiner Teil aufgrund seiner finanziellen und politischen Macht weiterhin Zugang zum Verbrauchsgut hat, während der große Rest die Folgen der Verknappung mit voller Wucht zu spüren bekommt.
In globaler Hinsicht gibt es diese Zweiteilung längst, die pauschale Rede vom reichen Norden und armen Süden ist ja nicht falsch, auch wenn sie den Europäern (auch den nach Amerika ausgewanderten) immer gleich auch ein schlechtes Gewissen für eine jahrhundertelange, erfolgreiche räumliche und geistige Welteroberungspolitik einredet. Jedoch muß jeder, der alle Sinne beisammen hat, sofort zugeben, daß kein einziges Problem gelöst wäre, wenn der reiche Norden sich dem armen Süden durch freiwillige Entsagung angliche. Steigende Öl- und Milch‑, Metall- und Papierpreise zeigen, was passiert, wenn zwei Milliarden Inder und Chinesen die ersten kleinen Schritte hin zu einem weltmarktorientierten Massenkonsum machen.
Vorgreifend sei gesagt: Angesichts der schieren Masse Mensch muß die ökologische Frage immer schon negativ beantwortet werden. Ein Beispiel: Die spürbare Bevölkerungszunahme im Deutschen Reich des 10. und 11. Jahrhunderts führte dazu, daß die Mittelgebirge beinahe entwaldet wurden, weil jeder noch so ungünstige Boden in einen Acker verwandelt werden mußte. Pest und Ostkolonisation minderten den Druck, schlechte Standorte konnten wieder aufgegeben und dem Wald zurückgegeben werden.
Weniger Mensch auf mehr Raum: Wer Platz um sich herum hat, muß nicht unbedingt haushalten, muß nicht ökologisch sein. Andersherum gilt: Wo sich viele Menschen drängen, steigen der Organisationsgrad, der Innovationsdruck und die Pflicht zur Beschränkung. Man kann mit solchen Formierungen auch in ökologischer Hinsicht weit kommen und das Vorhandene einfach besser nutzen, ohne es gleich zu vernutzen. Aber irgendwann muß dann doch von außen Ressource zugeführt werden, damit der steigende Anspruch der sich vermehrenden Masse befriedigt werden kann.
Massenkonsum und freier Warenaustausch: Das sind die zwei Gegenspieler jeder Nachhaltigkeit und jeder Ökologie. Die Stadt ist unter diesem Gesichtspunkt seit jeher vom Lande geschieden, und die richtigen Worte dazu finden sich bei Friedrich Georg Jünger, der einer der konservativen Erzväter der Grünen Bewegung ist. In seiner Perfektion der Technik (1939) schreibt er: „Masse gibt es und hat es zu allen Zeiten nur in den großen Städten gegeben, denn in ihnen allein liegen die Bedingungen vor, welche zur Massenbildung führen, so weithin immer das Massendenken auf das Land hinausgreifen mag. Zu den Kennzeichen der Massenbildung gehört, (…) daß die Fähigkeit aufhört, Verluste aus der eigenen Lebenssubstanz zu ersetzen und daß ein Konsum stattfindet, der um so zehrender wird, je mehr die Massenbildung fortschreitet.”
Das Massendenken der Stadt hat natürlich mittlerweile weit ins Land hinausgegriffen, und wenn ein Bauernhof vor 80 Jahren noch ein Lebensmittel-Geber war, dann ist er heute längst ein Ressourcen-Fresser, der zu Recht Agrarbetrieb heißt. Auch findet sich auf dem Land kaum eine Familie mehr, die nicht schon im Flugzeug den Äquator überquert hätte, um sich im Pazifik umzutun. Im Kopf und im Verhalten ist der Landmensch also längst ein Massenmensch.
Friedrich Georg Jünger schreibt der Massenbildung zu Recht einen Drang ins völlig Unabhängige, von jeder Bindung befreite, Mobile, von der Bedingtheit Emanzipierte zu. Anders ausgedrückt: Was konsumiert werden kann, wird auch massenhaft konsumiert werden, wenn es für die Masse aufbereitet, also: normiert, vereinfacht, verbilligt werden kann. Und nach einer kurzen Phase der allgemeinen Dankbarkeit wird die Masse ihren Anspruch an das Angebot angepaßt und die Versorgung selbst mit exotischen Angeboten für etwas völlig Normales halten. Mit Grausen steht der ökologisch denkende Mensch vor den Billigfliegern, der Wegwerfkleidung, den Regalschluchten eines Kaufhauses, und er sollte zur Steigerung des Schmerzes ein solches Kaufhaus dann aufsuchen, wenn am Samstagabend das Licht ausgeht und die nicht verkaufte Ware in großen Abfallkontainern verschwindet, weil etwa die Banane, die Kiwi, der frische Seelachs nicht schon am Freitag ausgehen durften, sondern für den anspruchsvollen Kunden bis zuletzt vorrätig gehalten werden mußten.
Das Schlimmste daran: Dem mit einer Turnhose bekleideten Käufer eines Krabbencocktails würde dieser Krabbencocktail nicht fehlen, wenn er nicht daran gewöhnt wäre, täglichen Anspruch auf eine solche Speise zu erheben. Auch würde ihm der Wochenendausflug zum Shopping nach Barcelona nicht fehlen, den er mit Hin- und Rückflug für ein paar Euro fünfzig buchen kann, wenn in ihm der Bedarf danach nicht geweckt wäre. Und ob er sich nun auf den Seychellen oder an der Adria seinen Sonnenbrand holt, ist für ihn – der das Landesinnere nicht bereisen und das fremde Land nicht kennenlernen möchte – völlig belanglos, nicht jedoch für die berühmte Ökobilanz, die auf dem Flug in den Indischen Ozean ins Bodenlose stürzt. Der Boom nach solchen Ausflügen ist übrigens ungebrochen, obwohl das Gerede vom Klimawandel in aller Munde ist.
Wenn die Jahrzehnte seit der Ökologie-Bewegung Mitte der siebziger Jahre irgendetwas bewiesen haben, dann dies: Selbst intelligente, mit Weltverantwortungsbewußtsein gesegnete Ökogläubige sind auf Dauer nicht willens und in der Lage, saisonal und regional einzukaufen. Die Entsprechung des Discounters ist nämlich mittlerweile der Bioladen: Die Ökobilanz einer fair gehandelten und aus ökologischem Anbau zusammengerührten Mango-Karotten-Paste ist nicht besser als die eines Nutella-Glases und im Vergleich zu einer Leberwurst aus Hauschlachtung vom Metzger nebenan sogar grotesk schlecht. Am Anfang jeder ökologischen Lebensweise steht nämlich der Verzicht, der Konsum- und Mobilitätsverzicht: Vom Sauerkrautfaß aber ist die Bioladen-Industrie ebenso weit entfernt wie Rewe oder Lidl, und letztlich ist dieser Konsum mit gutem Gewissen, den der linke Lehrer pflegt, sogar noch ein bißchen schlimmer als der Turnhosen-Konsument mit seinem Krabbencocktail. Dem ist es nämlich am Ende egal, was er in sich hineinstopft, während der Bioladen-Konsument beim Kauf doch die Eine Welt rettet.
Verzicht und Bescheidenheit sind die ökologischen Kardinaltugenden, und daraus abgeleitet: Regionalität und Saison, Handarbeit, geschlossene Wertschöpfungsketten. Ökologisch zu denken und zu leben heißt: im relationslosen Angemessenen verankert zu sein (www.walthari.com: Bescheidenheit im Tugendverbund). Aber wenn selbst der kleine mündige Teil der Bevölkerung sich zu einer Einpassung des eigenen Lebens in die Gegebenheiten unserer Vegetationszone nicht schicken kann, wie soll es dann die Masse? Es waren und sind solche grundsätzlichen Überlegungen, die radikale Ökologen nach der die Masse zum Verzicht zwingenden Staatsform oder präziser: Wirtschaftsform fragen lassen.