Masse und ökologische Frage

pfd der Druckfassung aus Sezession 24/Juni 2008

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Wer auch nur ober­fläch­lich in Zei­tun­gen schaut oder die Nach­rich­ten im Fern­se­her ver­folgt, muß zu der Über­zeu­gung gelan­gen, daß es neben dem innen­po­li­ti­schen Trei­ben aus­tausch­ba­rer Par­tei­en wenigs­ten aus glo­ba­ler Per­spek­ti­ve ech­te Auf­ga­ben gibt: den Kampf gegen den Kli­ma­wan­del, die Orga­ni­sa­ti­on des Über­le­bens der Mensch­heit und die Durch­set­zung der welt­weit gerech­ten Ressourcenverteilung.

Zusam­men­fas­sen las­sen sich die­se Auf­ga­ben unter dem Stich­wort „öko­lo­gi­sche Fra­ge”, und man kann die­se Fra­ge als eine der weni­gen offe­nen Flan­ken der ansons­ten auf­grund ihrer Fle­xi­bi­li­tät so erfolg­rei­chen „offe­nen Gesell­schaft” begrei­fen: Dort, wo die Knapp­heit der Res­sour­ce Zutei­lung erzwingt, endet die offe­ne Gesell­schaft und ver­wan­delt sich zu glei­chen Tei­len in eine plan­wirt­schaft­li­che (Öko)-Diktatur und in eine Zwei-Klas­sen-Gesell­schaft, in der ein klei­ner Teil auf­grund sei­ner finan­zi­el­len und poli­ti­schen Macht wei­ter­hin Zugang zum Ver­brauchs­gut hat, wäh­rend der gro­ße Rest die Fol­gen der Ver­knap­pung mit vol­ler Wucht zu spü­ren bekommt.
In glo­ba­ler Hin­sicht gibt es die­se Zwei­tei­lung längst, die pau­scha­le Rede vom rei­chen Nor­den und armen Süden ist ja nicht falsch, auch wenn sie den Euro­pä­ern (auch den nach Ame­ri­ka aus­ge­wan­der­ten) immer gleich auch ein schlech­tes Gewis­sen für eine jahr­hun­der­te­lan­ge, erfolg­rei­che räum­li­che und geis­ti­ge Welt­erobe­rungs­po­li­tik ein­re­det. Jedoch muß jeder, der alle Sin­ne bei­sam­men hat, sofort zuge­ben, daß kein ein­zi­ges Pro­blem gelöst wäre, wenn der rei­che Nor­den sich dem armen Süden durch frei­wil­li­ge Ent­sa­gung angli­che. Stei­gen­de Öl- und Milch‑, Metall- und Papier­prei­se zei­gen, was pas­siert, wenn zwei Mil­li­ar­den Inder und Chi­ne­sen die ers­ten klei­nen Schrit­te hin zu einem welt­markt­ori­en­tier­ten Mas­sen­kon­sum machen.
Vor­grei­fend sei gesagt: Ange­sichts der schie­ren Mas­se Mensch muß die öko­lo­gi­sche Fra­ge immer schon nega­tiv beant­wor­tet wer­den. Ein Bei­spiel: Die spür­ba­re Bevöl­ke­rungs­zu­nah­me im Deut­schen Reich des 10. und 11. Jahr­hun­derts führ­te dazu, daß die Mit­tel­ge­bir­ge bei­na­he ent­wal­det wur­den, weil jeder noch so ungüns­ti­ge Boden in einen Acker ver­wan­delt wer­den muß­te. Pest und Ost­ko­lo­ni­sa­ti­on min­der­ten den Druck, schlech­te Stand­or­te konn­ten wie­der auf­ge­ge­ben und dem Wald zurück­ge­ge­ben werden.
Weni­ger Mensch auf mehr Raum: Wer Platz um sich her­um hat, muß nicht unbe­dingt haus­hal­ten, muß nicht öko­lo­gisch sein. Anders­her­um gilt: Wo sich vie­le Men­schen drän­gen, stei­gen der Orga­ni­sa­ti­ons­grad, der Inno­va­ti­ons­druck und die Pflicht zur Beschrän­kung. Man kann mit sol­chen For­mie­run­gen auch in öko­lo­gi­scher Hin­sicht weit kom­men und das Vor­han­de­ne ein­fach bes­ser nut­zen, ohne es gleich zu ver­nut­zen. Aber irgend­wann muß dann doch von außen Res­sour­ce zuge­führt wer­den, damit der stei­gen­de Anspruch der sich ver­meh­ren­den Mas­se befrie­digt wer­den kann.
Mas­sen­kon­sum und frei­er Waren­aus­tausch: Das sind die zwei Gegen­spie­ler jeder Nach­hal­tig­keit und jeder Öko­lo­gie. Die Stadt ist unter die­sem Gesichts­punkt seit jeher vom Lan­de geschie­den, und die rich­ti­gen Wor­te dazu fin­den sich bei Fried­rich Georg Jün­ger, der einer der kon­ser­va­ti­ven Erz­vä­ter der Grü­nen Bewe­gung ist. In sei­ner Per­fek­ti­on der Tech­nik (1939) schreibt er: „Mas­se gibt es und hat es zu allen Zei­ten nur in den gro­ßen Städ­ten gege­ben, denn in ihnen allein lie­gen die Bedin­gun­gen vor, wel­che zur Mas­sen­bil­dung füh­ren, so weit­hin immer das Mas­sen­den­ken auf das Land hin­aus­grei­fen mag. Zu den Kenn­zei­chen der Mas­sen­bil­dung gehört, (…) daß die Fähig­keit auf­hört, Ver­lus­te aus der eige­nen Lebens­sub­stanz zu erset­zen und daß ein Kon­sum statt­fin­det, der um so zeh­ren­der wird, je mehr die Mas­sen­bil­dung fortschreitet.”

Das Mas­sen­den­ken der Stadt hat natür­lich mitt­ler­wei­le weit ins Land hin­aus­ge­grif­fen, und wenn ein Bau­ern­hof vor 80 Jah­ren noch ein Lebens­mit­tel-Geber war, dann ist er heu­te längst ein Res­sour­cen-Fres­ser, der zu Recht Agrar­be­trieb heißt. Auch fin­det sich auf dem Land kaum eine Fami­lie mehr, die nicht schon im Flug­zeug den Äqua­tor über­quert hät­te, um sich im Pazi­fik umzu­tun. Im Kopf und im Ver­hal­ten ist der Land­mensch also längst ein Massenmensch.
Fried­rich Georg Jün­ger schreibt der Mas­sen­bil­dung zu Recht einen Drang ins völ­lig Unab­hän­gi­ge, von jeder Bin­dung befrei­te, Mobi­le, von der Bedingt­heit Eman­zi­pier­te zu. Anders aus­ge­drückt: Was kon­su­miert wer­den kann, wird auch mas­sen­haft kon­su­miert wer­den, wenn es für die Mas­se auf­be­rei­tet, also: nor­miert, ver­ein­facht, ver­bil­ligt wer­den kann. Und nach einer kur­zen Pha­se der all­ge­mei­nen Dank­bar­keit wird die Mas­se ihren Anspruch an das Ange­bot ange­paßt und die Ver­sor­gung selbst mit exo­ti­schen Ange­bo­ten für etwas völ­lig Nor­ma­les hal­ten. Mit Grau­sen steht der öko­lo­gisch den­ken­de Mensch vor den Bil­lig­flie­gern, der Weg­werf­klei­dung, den Regal­schluch­ten eines Kauf­hau­ses, und er soll­te zur Stei­ge­rung des Schmer­zes ein sol­ches Kauf­haus dann auf­su­chen, wenn am Sams­tag­abend das Licht aus­geht und die nicht ver­kauf­te Ware in gro­ßen Abfall­kon­tai­nern ver­schwin­det, weil etwa die Bana­ne, die Kiwi, der fri­sche See­lachs nicht schon am Frei­tag aus­ge­hen durf­ten, son­dern für den anspruchs­vol­len Kun­den bis zuletzt vor­rä­tig gehal­ten wer­den mußten.
Das Schlimms­te dar­an: Dem mit einer Turn­ho­se beklei­de­ten Käu­fer eines Krab­ben­cock­tails wür­de die­ser Krab­ben­cock­tail nicht feh­len, wenn er nicht dar­an gewöhnt wäre, täg­li­chen Anspruch auf eine sol­che Spei­se zu erhe­ben. Auch wür­de ihm der Wochen­end­aus­flug zum Shop­ping nach Bar­ce­lo­na nicht feh­len, den er mit Hin- und Rück­flug für ein paar Euro fünf­zig buchen kann, wenn in ihm der Bedarf danach nicht geweckt wäre. Und ob er sich nun auf den Sey­chel­len oder an der Adria sei­nen Son­nen­brand holt, ist für ihn – der das Lan­des­in­ne­re nicht berei­sen und das frem­de Land nicht ken­nen­ler­nen möch­te – völ­lig belang­los, nicht jedoch für die berühm­te Öko­bi­lanz, die auf dem Flug in den Indi­schen Oze­an ins Boden­lo­se stürzt. Der Boom nach sol­chen Aus­flü­gen ist übri­gens unge­bro­chen, obwohl das Gere­de vom Kli­ma­wan­del in aller Mun­de ist.
Wenn die Jahr­zehn­te seit der Öko­lo­gie-Bewe­gung Mit­te der sieb­zi­ger Jah­re irgend­et­was bewie­sen haben, dann dies: Selbst intel­li­gen­te, mit Welt­ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein geseg­ne­te Öko­gläu­bi­ge sind auf Dau­er nicht wil­lens und in der Lage, sai­so­nal und regio­nal ein­zu­kau­fen. Die Ent­spre­chung des Dis­coun­ters ist näm­lich mitt­ler­wei­le der Bio­la­den: Die Öko­bi­lanz einer fair gehan­del­ten und aus öko­lo­gi­schem Anbau zusam­men­ge­rühr­ten Man­go-Karot­ten-Pas­te ist nicht bes­ser als die eines Nutel­la-Gla­ses und im Ver­gleich zu einer Leber­wurst aus Haus­chlach­tung vom Metz­ger neben­an sogar gro­tesk schlecht. Am Anfang jeder öko­lo­gi­schen Lebens­wei­se steht näm­lich der Ver­zicht, der Kon­sum- und Mobi­li­täts­ver­zicht: Vom Sau­er­kraut­faß aber ist die Bio­la­den-Indus­trie eben­so weit ent­fernt wie Rewe oder Lidl, und letzt­lich ist die­ser Kon­sum mit gutem Gewis­sen, den der lin­ke Leh­rer pflegt, sogar noch ein biß­chen schlim­mer als der Turn­ho­sen-Kon­su­ment mit sei­nem Krab­ben­cock­tail. Dem ist es näm­lich am Ende egal, was er in sich hin­ein­stopft, wäh­rend der Bio­la­den-Kon­su­ment beim Kauf doch die Eine Welt rettet.
Ver­zicht und Beschei­den­heit sind die öko­lo­gi­schen Kar­di­nal­tu­gen­den, und dar­aus abge­lei­tet: Regio­na­li­tät und Sai­son, Hand­ar­beit, geschlos­se­ne Wert­schöp­fungs­ket­ten. Öko­lo­gisch zu den­ken und zu leben heißt: im rela­ti­ons­lo­sen Ange­mes­se­nen ver­an­kert zu sein (www.walthari.com: Beschei­den­heit im Tugend­ver­bund). Aber wenn selbst der klei­ne mün­di­ge Teil der Bevöl­ke­rung sich zu einer Ein­pas­sung des eige­nen Lebens in die Gege­ben­hei­ten unse­rer Vege­ta­ti­ons­zo­ne nicht schi­cken kann, wie soll es dann die Mas­se? Es waren und sind sol­che grund­sätz­li­chen Über­le­gun­gen, die radi­ka­le Öko­lo­gen nach der die Mas­se zum Ver­zicht zwin­gen­den Staats­form oder prä­zi­ser: Wirt­schafts­form fra­gen lassen.

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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