„Ich finde, vieles, was er darin beschreibt, erleben wir ja. Ist doch gar keine Frage. Dafür muß er auch nicht aus der SPD und schon gar nicht aus der Bundesbank fliegen.“ Vieles davon erleben wir ja. Ist doch gar keine Frage. Sag bloß. Warum denn auf einmal? Das ist besonders aus dem Munde eines Gabriel ein erstaunliches Zugeständnis, gefolgt von einem deutlichen Rückzieher in Sachen Maulkorbtaktik. Damit wirkt der Nachfolgesatz aber nicht besonders überzeugend:
Der Grund für den angestrebten Ausschluß Sarrazins sei vielmehr die „Kernthese“ in dessen Buch, wonach die Integrationsprobleme damit zu tun hätten, „daß Menschen genetisch disponiert sind und bestimmte Verhaltensweisen sich nicht etwa kulturell vererben, sondern genetisch, biologisch“.
Worauf liegt nun die Betonung der Empörung? Der Behauptung, daß “Menschen genetisch disponiert” seien, oder daß die “Integrationsprobleme damit zu tun hätten”? Ersteres kann ja offenbar wissenschaftlich untermauert (nebenbei kann es keine “kulturelle Vererbung” geben, sondern nur eine kulturelle Erziehung) oder zumindest innerhalb des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses “umstritten” argumentiert werden, und damit hätte Gabriel erneut Erklärungsnot, einen Ausschluß oder sonstige Sanktionen zu rechtfertigen.
Aber selbst wenn Sarrazin unrecht hätte und genetische Prädispositionen nachweisbar keine soziale Rolle spielen würden, dann wirkt Gabriels Begründung der Ausschlußbestrebungen ja doch etwas mau: Warum soll denn die eine These nun böser und sanktionswürdiger als die andere sein? Warum soll man denn jemanden für einen Irrtum gleich aus dem Sandkasten schmeißen? Ist Gabriel denn überhaupt ein Wissenschaftler und Genetiker, der so genau über Gene und Intelligenz Bescheid wüßte, daß er mit einer solchen Selbstsicherheit auftreten kann? Das zieht alles einfach nicht mehr. Auch die Absicht, den Sarazenen unter dem Vorwand der Genetik-Kontroverse aus dem Diskurs auszuschließen und gar von seinem Posten zu feuern, wirft ein ziemlich schlechtes Licht auf die Betreiber.
Das spürt wohl auch Gabriel, denn zur Rechtfertigung schiebt er die alte abgedroschene “Du, du”-Stanze und Allzweckzauberformel nach: “Wer im Geschichtsunterricht etwas aufgepaßt habe, wisse, wo eine solche Argumentation enden könne”, referiert der Tagesspiegel. Dem folgt wieder ein Schritt zurück: „Ich unterstelle ihm gar nicht, daß er da enden will.“ (Und das will offenbar niemand von Bedeutung so richtig, nicht einmal Stephan Kramer.)
Bleibt nur noch die alte Rede vom “Menschenbild”. Die SPD müsse laut Gabriel, “darauf achten, daß es nicht beliebig sei, ‘welches Menschenbild man vertritt’.” Das klingt nun auch schon ziemlich abgeklappert. Neulich durfte sich Gabriel von ein paar Zehntkläßlern über “Integrationsdefizite” aufklären lassen, und sich dabei auch Kritik an einem Real/Hauptschule-Kombi-Experiment anhören:
Die Tücken zeigen sich auch, als er mit rund 40 Schülern einer Mainzer Realschule diskutiert, die vor kurzem mit einer Hauptschule zusammengelegt wurde. Für “kompletten Schwachsinn” hält eine Zehntklässlerin das eigene Kombi-Schulmodell: “Der Hauptschüler ist am Ende überfordert, der Realschüler unterfordert.” Naja, kontert Gabriel leicht irritiert, so leicht sei die Sache ja nicht. Gerade die Kinder von Einwanderern, die die Hauptschule oft ohne Abschluß verließen, hätten im Kombi-Modell doch bessere Chancen.
Naja, sagt die Zehntklässlerin, sie behaupte jetzt mal “ganz dreist”, daß die hohe Zahl der Abbrecher unter Einwandererkindern damit zu tun habe, daß sie sich nicht richtig integrierten.
“Sachte, sachte”, sagt Gabriel.
Aber Ruhe bringt das nicht. Als eine andere Schülerin sich beklagt, die Hauptschüler würden das Leistungsniveau drücken, wirft Gabriel ihr ein „entsetzliches“ Menschenbild vor.
Da ist es wieder, das “Menschenbild”, das dafür herhalten muß, daß bestimmte Dinge nicht ausgesprochen werden dürfen, weil sie laut Merkelsprech “Menschen in diesem Land verletzen” könnten. Karlheinz Weißmann spricht in der aktuellen Jungen Freiheit in Anlehnung an Odo Maquard von einem “Anthropologieverbot” , das
die Linke seit den siebziger Jahren erfolgreich verankern konnte. Offene Diskussion oder Rationalität haben dafür nie eine Rolle gespielt, nur ein bestimmtes ’sozio-psycho-kulturpolitisches Gemeinverständnis’ (Dieter E. Zimmer), dem sich der Rest der Gesellschaft Stück für Stück unterwarf.
Vielleicht hat der Besuch in der Mainzer Realschule ja etwas gefruchtet: In Gabriels Stellungnahme schwingt deutlich mit, daß der Glaube an die eigenen Grundlagen auch nicht mehr so fest ist, wie er einmal war. Jetzt steht er vor Sarrazin nicht anders als vor den Zehntkläßlern, stammelt “Sachte, sachte” und irgendwas von einem ganz furchtbar entsetzlichen “Menschenbild”. Aber in der Sache hat er genausowenig zu sagen, wie gegenüber den Schülern, die gegen die Experimente der Sozialingenieure revoltieren.
Übrigens ist nun auch laut demselben Bericht des Tagesspiegels Merkel herself mit Zugeständnissen nachgerückt:
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) plädierte dafür, Probleme im Zusammenleben mit Migranten offen anzusprechen. Sie sprach sich in der „Bild am Sonntag“ dafür aus, die statistisch erhöhte Gewaltbereitschaft strenggläubiger (sic! M. L.) muslimischer Jugendlicher nicht zu tabuisieren: „Das ist ein großes Problem und wir können offen darüber sprechen, ohne daß der Verdacht der Fremdenfeindlichkeit aufkommt.“
Niemand hat so eine untrügliche opportunistische Witterung wie Angie, die vor einem Jahr noch anläßlich der Kampagne “361 Grad Toleranz” ganz andere Töne gespuckt hat, mit dem Ergebnis, daß Youtube inzwischen randvoll mit sarkastischen Parodien und Kontervideos ist: Siehe hier.
Bild: sigmar-gabriel.de