Zweierlei Rentnerphilosophie: eine Ankündigung

von Adolph Przybyszewski

Es gibt da einen klugen Rentner der Bewegung, die 1968 zur Machtergreifung des Konsumismus geführt hat.

Ich ken­ne ihn nicht per­sön­lich, doch ver­fol­ge ich bereits län­ger sei­nen Weg. Seit eini­ger Zeit tourt er mit einem fast tau­send­sei­ti­gen Vete­ra­nen­ro­man über sich und sei­ne alten Kame­ra­dIn­nen respec­ti­ve Genos­sIn­nen durch die Hin­ter- und Vor­der­stu­ben des Lan­des, weil er von den Idea­len und der “alten demo­kra­ti­schen Unru­he” sei­ner Jugend nicht las­sen mag.

Das will manch smar­tem Jüng­ling und Jung­ge­blie­be­nen lächer­lich erschei­nen. Die­ser Rent­ner aber ist der kon­su­mis­ti­schen Ver­su­chung jener damals ganz anders gemein­ten Revol­te im Kern intel­lek­tu­ell nie erle­gen, anders als Gold­fa­sa­ne wie Jockel Fischer und vie­le ehe­ma­li­ge Akti­vis­ten unter­schied­lichs­ten For­mats: Sie sind längst ange­kom­men in der neu­en Ber­li­ner “Repu­blik”, die von außen, etwa von Polen her, doch so alt und lebens­mü­de wirkt.

“Wohin gehst Du?”, lau­tet die stets aktu­el­le Fra­ge, und Nova­lis’ roman­ti­sche Ant­wort hieß sin­te­ma­len: “Immer nach Hau­se”. Der Heim­weg der Roman­ti­ker hat die­se para­do­xer­wei­se in die pro­duk­ti­ve Offen­heit geführt; heu­te scheint der Weg im Eigen­heim zu enden, mit family&friends, ein biß­chen kom­mu­na­lem Enga­ge­ment und gepflegt kri­ti­schem Medienkonsum.

Damit wir uns dort auch so rich­tig wohl­füh­len kön­nen, bedarf es für vie­le offen­bar auch noch eines fröh­li­chen “think posi­ti­ve”: Eigent­lich ist doch alles gar nicht so schlecht, wir haben ja dazu­ge­lernt und sind schon ganz schön weit gekom­men. Was nicht von unse­ren Leit­me­di­en ver­han­delt wird, exis­tiert nicht, was den Modus kri­ti­schen Ein­ver­ständ­nis­ses durch­bricht, fliegt zu Recht raus aus dem behag­li­chen Dis­kurs. Das ist, in Anleh­nung an Brecht gespro­chen, Rentnerphilosophie.

Nichts gegen urkon­ser­va­ti­ve Inhal­te wie Lust an Heim und Fami­lie, Gar­ten und Natur­schutz, Ver­ein und Bekann­ten, Frei­er Wäh­ler­ver­ei­ni­gung und Süd­deut­scher Zei­tung. Was aber von Jür­gen Link zu ler­nen ist, so heißt jener klu­ge lin­ke und noch immer ganz schön radi­ka­le Rent­ner, ist bei aller ideo­lo­gi­schen Dif­fe­renz eine ande­re Art von “Phi­lo­so­phie”: Zum einen erken­nen wir in ihm einen Intel­lek­tu­el­len, der sich durch Ver­bür­ger­li­chung nicht ent­po­li­ti­sie­ren ließ und die Fähig­keit zum Dop­pel­le­ben behielt – Erfolg durch Ein­hal­tung der Regeln und Anpas­sung im Äuße­ren führ­te bei ihm nicht zum Kon­for­mis­mus im Geis­ti­gen. Zum ande­ren hat Link einen avan­cier­ten Bei­trag zur Ana­ly­se des Zustands geleis­tet, der den wuchern­den Kon­for­mis­mus in den bun­des­deut­schen Köp­fen und die “repres­si­ve Tole­ranz” (Gerd Berg­fleth) in der BRD bedingt.

Daß Link, vor allem aber das in sei­nem Gefol­ge auf­tre­ten­de Duis­bur­ger Insti­tut für Sprach- und Sozi­al­for­schung (DISS) selbst eini­ges zur Ver­gif­tung des intel­lek­tu­el­len Kli­mas bei­getra­gen hat, ändert nichts am Wert sei­nes 1997 erst­mals ver­öf­fent­lich­ten und dann immer wei­ter­ge­führ­ten “Ver­suchs über den Nor­ma­lis­mus”. Die­ser befaßt sich näm­lich mit der mas­sen­kul­tu­rel­len “Nor­ma­li­sie­rung”, die mit der Ent­wick­lung des heu­ti­gen Medi­en­sys­tems unmit­tel­bar zusam­men­hängt. Der von Link so genann­te “fle­xi­ble Nor­ma­lis­mus” ins­be­son­de­re in der BRD, aber nicht nur dort, bil­det unse­re Aus­gangs­la­ge, die wir erken­nen und geis­tig durch­drin­gen müs­sen, sonst gilt sein schö­ner Satz: “Du merkst nicht, daß du nichts merkst.”

Von Link ler­nen heißt nun zwar nicht Sie­gen ler­nen, aber man gewinnt doch eini­ges beim prü­fen­den Blick über die Mau­er. Im Sin­ne einer geis­ti­gen “Sezes­si­on” will ich daher an die­sem Ort in locke­rer Fol­ge eini­ge Über­le­gun­gen zum ‘fle­xi­blen Nor­ma­lis­mus’ vor­stel­len; eine Aus­ein­an­der­set­zung auch mit sol­chen jün­ge­ren Ansät­zen stün­de einer intel­lek­tu­el­len Rech­ten gut an, will sie wirk­lich “neu” sein und nicht nur mit Alt­be­währ­tem immer wie­der neu antre­ten. Denn es gilt, mit Nietz­sche unzeit­ge­mäß betrach­tet, mehr denn je: “Alles moder­ne Phi­lo­so­phi­ren ist poli­tisch und poli­zei­lich, durch Regie­run­gen, Kir­chen, Aka­de­mien, Sit­ten und Feig­hei­ten der Men­schen auf den gelehr­ten Anschein beschränkt; es bleibt beim Seuf­zen ‘Wenn doch’ oder bei der Erkennt­nis ‘Es war einmal’.”

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