Sarrazins „strategischer Rückzug“

kam doch etwas überraschend. Die Meldung platzte mitten in seine gestrige Lesung in Potsdam vor 750 überwiegend begeisterten Zuhörern.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Zuerst woll­te er nichts dazu sagen, dann äußer­te er sich zum Ablauf: Die Bun­des­bank habe die Vor­wür­fe der Aus­län­der­dis­kri­mi­nie­rung fal­len gelas­sen und ihren Ablö­sungs­an­trag zurück­ge­zo­gen, dar­auf­hin habe er beim Bun­des­prä­si­den­ten um Auf­lö­sung sei­nes Ver­tra­ges gebe­ten. Die Abfol­ge sei ihm wichtig.

Daß der Weg zu die­sem Kom­pro­miß kein schö­ner war, kann man sich den­ken. Als Grund nann­te er den Druck, dem er aus­ge­setzt war. Er habe sich über­legt, ob er es sich leis­ten kön­ne, sich mit der „gesam­ten poli­ti­schen Klas­se“ anzu­le­gen. Beim obers­ten Reprä­sen­tan­ten die­ser Klas­se war die Erleich­te­rung nicht zu über­hö­ren. Er ließ sei­nen Spre­cher mit­tei­len: „Der Bun­des­prä­si­dent wird dem Antrag von Herrn Dok­tor Sar­ra­zin ent­spre­chen und begrüßt die ein­ver­nehm­li­che Lösung mit der Deut­schen Bun­des­bank.“ Was nach den letz­ten bei­den Wochen, in denen Sar­ra­zin so ziem­lich alle Instru­men­te gezeigt wur­den, über die die poli­ti­sche Inqui­si­ti­on ver­fügt, natür­lich wie Hohn klingt.

Daß Sar­ra­zin mas­siv erpreßt wur­de, kön­nen wir nicht aus­schlie­ßen (die Mel­dun­gen, wonach er Bun­des­bank­res­sour­cen für sein Buch ver­wen­det habe, wei­sen in die­se Rich­tung). Näher liegt indes, daß der Druck anders erfolg­te. Die Gefahr, daß Sar­ra­zin den Bun­des­prä­si­den­ten in eine Nie­der­la­ge treibt und dau­er­haft nackt daste­hen läßt, war zu groß. Das dürf­te den Ver­ant­wort­lich spä­tes­tens auf­ge­fal­len sein, als Sar­ra­zin den Bun­des­prä­si­den­ten aus­drück­lich vor einem „Schau­pro­zeß“ warn­te. Hät­te Wulff ihn ent­las­sen und Sar­ra­zin wäre vor Gericht dage­gen erfolg­reich vor­ge­gan­gen, der maxi­ma­le Scha­den für das höchs­te Staats­amt (und sei­nen unbe­lieb­ten Inha­ber) wäre die Fol­ge gewesen.

Also wird man Sar­ra­zin per­ma­nent auf die Ner­ven gegan­gen sein und an sein Gewis­sen appel­liert haben: „Das kannst Du doch nicht wol­len. Thi­lo, denk doch mal nach. Es liegt in Dei­nen Hän­den, Scha­den von Deutsch­land abzu­wen­den. Und, und, und.“ Und, das ist das per­fi­de, gera­de weil Sar­ra­zin etwas am deut­schen Staat liegt, waren sie damit erfolg­reich. Sein Rück­zug ist eine sys­tem­sta­bi­li­sie­ren­de Maß­nah­me, für die ihm die „poli­ti­sche Klas­se“ in der jet­zi­gen Situa­ti­on nicht genug dan­ken kann. Jetzt kann wie­der über „alles“ gere­det wer­den, ohne Kon­se­quen­zen. Ob unser Land vor die Hun­de geht, spielt kei­ne Rol­le. Der Kai­ser ist zwar nackt, das hat sich her­um­ge­spro­chen, aber Sar­ra­zin hat ihm im letz­ten Moment den Bade­man­tel zurückgegeben.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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