In den letzten Tagen gab´s kaum ein Entkommen vor Cornelia Funke, selbst für jemanden, der sich für Jugendbücher wenig interessiert. FAZ , erste Feuilletonseite, ganz groß: Funke. Radio an: Funkes Roman wird besprochen. Später im Auto, anderes Programm: Interview mit Cornelia Funke.
Noch hat der Autorin keiner vorgeworfen, sie sei eine „gnadenlose Selbstvermarkterin“ und wolle nur „Kohle scheffeln“, wie man’s nun Thilo Sarrazin vorzuhalten pflegt, dessen Werk ein bißchen umfänglicher ist – und das mit einer bescheideneren, vierzigfach kleineren Auflage startete.
Ich gestehe, keine fleißige Funke-Leserin zu sein. Einige von der Autorin nach meinem Empfinden unschön illustrierte (s. Bild oben), inhaltlich mittelmäßige Kinderbücher gibt´s hier im Haushalt. Die älteren Kinder mochten die Tintenwelt-Trilogie und den Herr der Diebe einigermaßen gern. Dennoch sind das Bücher, die in ihrer Gunst weit abgeschlagen hinter Preußlers Krabat, Endes Momo und Unendlicher Geschichte und Lindgrens Brüder Löwenherz rangierten.
Erklär mir einer diesen Rummel um Frau Funke, die schon vor Jahren vom Time Magazin unter die „hundert einflußreichsten Persönlichkeiten weltweit“ gerechnet wurde! Und nun soll´s bereits im Oktober in Dresden eine Bühnenfassung von Reckless geben. Wer bringt Sarrazin auf die Theaterbretter?
Funke selbst, seit Jahren Wahlkalifornierin (noch gut in Erinnerung ist mir, wie sie über ihre Freudentränen bei der Wahl Obamas schrieb: “Die Welt hat sich verändert”), sagt von sich, ihr „gefühltes Alter“ sei „zehn Jahre“ (sie ist 51), obwohl ihre Freunde sagten, sie sei innerlich eher „wie 11“, hey! Wiederum ihre Freunde (sagt sie) sehen sie in der „deutschen Tradition des dunklen Poesie“ eines E.T.A. Hoffmann oder eines Novalis. Daß so viele Kinder, quasi: Gleichaltrige ihre Bücher lesen (rund 15 Millionen verkaufte Exemplare) stellt für das große, reiche Kind „den größten vorstellbaren Kick“ dar. Whow.
Daß ihr neues Buch Reckless. Steinerenes Fleisch doch äußerst brutal und düster sei, läßt Funke nicht gelten. (Bezüglich ihrer Tintenwelt-Verfilmung, freigegeben ab 12 Jahren, empfahl sie damals, ruhig jüngere Kinder mit in Kino zu nehmen und ihnen eben gelegentlich die Augen zuzuhalten.)
Die Gebrüder Grimm (ihre Protangonisten in Reckless heißen Jacob und Will, diverse Märchenstoffe der Grimms werden hier ver- und aufgearbeitet) seien viel brutaler gewesen. Und „erschreckend konservativ“. Krass sei das „rückständige Frauenbild der Grimms“, die Rede ist von „erschreckend starken antifeministischen Zügen“. Man sei „oft erstaunt darüber, wie reaktionär Märchen sind“. Hatte Funke bereits in ihrer „Tintenwelt“ das absolut Böse als „Faschismus“ erklärt, so gesteht sie nun, das im neuen Buch die bösen „Goyl“ mit einem Antihelden namens „Prussan“ als Anführer natürlich Assoziationen zu den „Preußen“ wecken könnten. Daran habe sie beim Schreiben auch gedacht, wolle aber Jugendliteratur ohne erhobenen Zeigefinger liefern. Okay.
Heute kam meine Tochter, achte Klasse, aus der Schule: Die Deutschlehrerin überlege, ob man sich als Lektüre für das Halbjahr nicht doch Cornelia Funkes Reckless. Steinernes Fleisch vornehme. Geplant war eigentlich das Tagebuch der Anne Frank. Hm.
Interessant wär´s deshalb,weil es – nach Robinson Crusoe, Harry Potter, einem sozialkritischen, aus dem Holländischen übersetzen Buch und Hans Peter Richters Damals war es Friedrich– seit der 5. Klasse immerhin das zweite unübersetzte, auf deutsch geschriebene Buch wäre. Im Deutschunterricht.