Bemerkenswerterweise war es die Islamische Republik Afghanistan, die sich als erster Staat bereit fand, das albanisch-muslimisch dominierte Kosovo offiziell anzuerkennen. Zu den weltpolitisch gewichtigeren Vorreitern einer solchen Anerkennungspolitik gehört – neben den USA, die den Kosovo-Albanern (und nicht nur diesen) als der eigentliche Garant ihrer „Staatsgründung” gelten – die Französische Republik. Diese hatte bereits unter Staatspräsident Chirac mit ihrer „pro-serbischen” Jugoslawien-Politik gebrochen, in deren Zentrum unter Chiracs Amtsvorgänger Mitterrand der Versuch gestanden hatte, einer Zerstückelung Jugoslawiens entgegenzuwirken. So kam Frankreich mit seiner Anerkennungserklärung, die es als erster Staat innerhalb der EU abgab, selbst Deutschland noch zuvor.
Demgegenüber stehen so unterschiedliche politische Gemeinwesen wie Rußland, Kasachstan, China, Indien, Sri Lanka oder Indonesien einer völkerrechtlichen Anerkennung des Kosovo ablehnend gegenüber. Innerhalb der EU sind es in erster Linie Spanien, Griechenland, Zypern, die Slowakei und Rumänien, die erklärtermaßen die Warnungen Serbiens vor einem Umsichgreifen der Nichtbeachtung völkerrechtlicher Normen in „ethnisch” aufgeladenen territorialpolitischen Konflikten teilen.
Wie wenig jedoch in Serbien die Abspaltung des Kosovo als eine rein „juristische” Frage begriffen wird, die (neben den dafür zuständigen Behörden) ausschließlich die unmittelbar Betroffenen – so die Hunderttausende vertriebener Kosovo-Serben – tangiere, führten die serbischen Demonstrationen in den Tagen nach der „kosovarischen” Unabhängigkeitserklärung eindrucksvoll vor Augen. Nicht nur innerhalb der Grenzen der Republik Serbien, sondern auch in der bosnisch-serbischen Republik Srpska und in Montenegro fanden Protestveranstaltungen statt. Die Proteste erreichten am 21./22. Februar ihren Höhepunkt in einer Großdemonstration in Belgrad, an der allein 200.000 bis 500.000 Menschen teilnahmen.
„Niemals hat sich deutlicher gezeigt, warum Serbien bestialisch von Nato-Bomben zerstört wurde”, so hatte der serbische Ministerpräsident Kostunica bereits unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung der Kosovo-Albaner diesen Akt der Gründung eines „falschen Staates” kommentiert. Daß die Proteste gegen die Teilung Serbiens von einem nicht unbeträchtlichen Teil der serbischen Jugend getragen wurden, führt vor Augen, daß die Kosovo-Politik des politischen „Europa” auch in einer Generation, die den Bombenkrieg gegen Jugoslawien 1999 noch nicht politisch bewußt mitverfolgte, als ein fortgesetzter Angriff auf Serbien in seiner Gesamtheit angesehen wird.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kam nicht umhin, die Kundgebung in Belgrad für die territoriale Einheit Serbiens mit dem 5. Oktober 2000 zu vergleichen, als die Regierung Milosevic gestürzt wurde. „Doch auch wenn sich die Bilder gleichen mögen, an diesem Abend ist es anders. Damals hatten die Serben ihre Geschichte in der Hand, jetzt hat ihre Geschichte sie in der Hand.” (FAZ, 23.2.2008) Wieder einmal wird hier von deutscher Seite den Serben, die kein Verständnis für die „Notwendigkeit” einer „Legalisierung” der albanischen Landnahme im serbischen Herzland Kosovo-Metohija (Kosmet) aufzubringen vermögen, bescheinigt, als politische Romantiker dem „Mythos” verhaftet zu sein, der mit der serbischen Niederlage gegen das Osmanische Reich auf dem Amselfeld (= Kosovo Polje) 1389 verbunden ist. Polemiken dieser Art beruhen auf der systematischen Ausblendung der Tatsache, daß der serbisch-albanische Antagonismus in Kosmet – weit davon entfernt, das Produkt eines auf „1389” fixierten archaischen serbischen Chauvinismus zu sein – ein Kontinuum der modernen serbischen respektive jugoslawischen Nationalstaatsbildung darstellt.
Im Kosmet wurde erst infolge des I. Balkankrieges (1912/13), als das Territorium in das Staatsgebiet des seit 1878 unabhängigen serbischen Königreiches inkorporiert wurde, die osmanische Fremdherrschaft überwunden. Erst in den letzten Jahrzehnten der osmanischen Präsenz im westlichen Balkan hatte sich in dem Territorium eine demographische Umwälzung zuungunsten der Serben vollzogen. Nach der Konstituierung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen (ab 1929: Jugoslawien) wurde – in den Jahren 1922–29 und 1933–38 – die Revision der Marginalisierung der Serben im Kosmet staatlicherseits durch Rückkehr eines Teils der vertriebenen Serben gefördert. Nach der Besetzung Jugoslawiens durch die Achse kam es im August 1941 zu der bis zum Februar 2008 einzigen albanischen „Staatsgründung” im Kosmet in Gestalt der Einverleibung des Territoriums in ein unter Italiens Ägide stehendes „Großalbanien”.
Ungeachtet der ethnischen Vertreibung und des Massenmordes, denen die Serben des Kosmet insbesondere nach dem Rückzug der Italiener (1943) seitens achsenfreundlicher Albaner ausgesetzt waren, zwang Tito Serbien eine Politik der albanischen Masseneinwanderung in das Kosmet auf. Im Verlaufe der ersten Nachkriegsjahrzehnte sahen sich die Serben (und andere Nicht-Albaner) in den Status einer allenfalls geduldeten Minderheit gebracht. Insbesondere unter den Bedingungen der treffend als „neoosmanisch” charakterisierten ethno-föderalistischen jugoslawischen Verfassung von 1974 wurden die im Kosmet beheimateten Nicht-Albaner den Willkürakten der (albanisch dominierten) lokalen Behörden schutzlos ausgesetzt. In gewisser Hinsicht könnte die völkerrechtliche Anerkennung eines „unabhängigen” Kosovo – eines weiteren islamischen Staates inmitten Europas – durch einen Teil der „internationalen Staatengemeinschaft” als ein „erfolgreicher” Abschluß der mit dem „Neoosmanismus” Titos in Angriff genommenen Politik einer Aufteilung des jugoslawischen Kernstaates Serbien in ethnische „Reviere” interpretiert werden.
Nachdem der türkische Ministerpräsident Erdogan vor wenigen Tagen durch eine Polemik gegen die (vermeintlich) drohende „Assimilation” türkischer Einwanderer an die deutsche Mehr-heitsgesellschaft hervortrat, übt Deutschland nun den Schulterschluß mit der Türkei bei der „Legalisierung” jenes albanisch-muslimischen Nationalismus, unter dessen Gewaltherrschaft seit 1999 Hunderttausende von Nicht-Albanern keineswegs „assimiliert”, sondern ermordet oder vertrieben wurden. Die wenigen zehntausend im Kosovo verbliebenen Serben müssen, soweit sie nicht in dem infrastrukturell mit dem unbesetzten Serbien verbundenen Norden des Territoriums leben, in ghettoartigen Enklaven ausharren. Die extremistischen albanischen Milizen der UCK sind niemals entwaffnet worden (wie es die nach wie vor gültige Resolution 1244 des Weltsicherheitsrates vom 10. Juni 1999 festlegt!), sondern in den „zivilen” Strukturen des Kosovo aufgegangen. Dieses wird nunmehr als „unabhängiger Staat” durch eine „politische Elite” repräsentiert, die der ehemalige kanadische Botschafter in Belgrad, James Bisset, wie folgt charakterisiert: „Sie haben unter der NATO-Besatzung fast die gesamte nichtalbanische Bevölkerung vertrieben und über 150 christliche Kirchen und Klöster zerstört.”