Dämliche Herrschaft

pdf der Druckfassung aus Sezession 36 / Juni 2010

So ist der Lauf revolutionärer politischer und gesellschaftlicher Bewegungen: Entweder sie versanden, nachdem sie ein (Teil)Ziel erreicht haben oder sie institutionalisieren sich. Im letzteren Fall neigen sie dazu, nach der (in der Regel berechtigten) Durchsetzung ihres Anliegens das Augenmaß zu verlieren und zur Ideologie zu werden. So wurde das nationale Anliegen einst zum Nationalismus, das Stellen der sozialen Frage zum Sozialismus, die Aufarbeitung der NS-Herrschaft zum Schuldkult.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Das Auf­grei­fen der »Frau­en­fra­ge«, den Weg der Frau­en­eman­zi­pa­ti­on hin zum Herr­schafts­mit­tel Gen­der Main­strea­ming darf man sich mit­tels eines Drei­schritts vor­stel­len. Wir hat­ten um 1900 – allein Frank­reich war ein Jahr­hun­dert frü­her dran – die bür­ger­li­che Frau­en­be­we­gung mit der pro­gres­si­ven Hele­ne Stö­cker und der ver­gleichs­wei­se kon­ser­va­ti­ven Hele­ne Lan­ge als Prot­ago­nis­tin­nen. Ihr Anlie­gen war der Mut­ter­schutz und die Mäd­chen­bil­dung, bei­des lag im Argen. Auch das Frau­en­wahl­recht erkämpf­te die­se Gene­ra­ti­on. Die Reak­ti­on, der soge­nann­te back­lash, erfolg­te nicht im weit­ge­hend eman­zi­pa­ti­ons­freu­di­gen Drit­ten Reich, son­dern unmit­tel­bar danach. Nicht Mit­kämp­fe­rin sein zu müs­sen, genug davon, die Trüm­mer weg­zu­räu­men: Gute zehn Jah­re pau­sier­te die Eman­zi­pa­ti­on. Noch vor der Zeit­gren­ze 1968 setz­te die zwei­te deut­sche Frau­en­be­we­gung ein: Sie nahm ihren Anfang in den fünf­zi­ger Jah­ren, als Geset­ze wie das Leh­re­rin­nen­zö­li­bat und das Beschäf­ti­gungs­ver­bot von Frau­en im öffent­li­chen Dienst gekippt wur­den. Einen Höhe­punkt erfuhr sie mit der Ein­füh­rung der »Pil­le« in den 1960er Jah­ren und strahl­te aus in spä­te­re gesetz­li­che Bestim­mun­gen, die die Berufs­tä­tig­keit der Frau ohne Zustim­mung des Man­nes, die weib­li­che Kon­to­füh­rung, das Recht, den Frau­en­na­men als Fami­li­en­na­men zu tra­gen, ermög­lich­ten und die Anre­de als »Fräu­lein« für Ledi­ge unter­sag­ten. Neben- (Stil­len in der Öffent­lich­keit) und haupt­säch­li­che Fra­gen (Abtrei­bungs­pa­ra­graph) des Mut­ter­schafts­aspekts waren zu die­ser Zeit viru­lent. Der soge­nann­te third-wave-femi­nism, die drit­te Stu­fe mit­hin, setz­te welt­weit Mit­te der neun­zi­ger Jah­re ein: Die 4. UN-Welt­frau­en­kon­fe­renz hat­te 1995 erst­mals das Stich­wort Gen­der in die Dis­kus­si­on geworfen.
In Deutsch­land kam der Trend leicht ver­spä­tet an und wur­de pro­mi­nent unter ande­rem als Bin­nen­kampf zwi­schen »Alt­fe­mi­nis­tin­nen« und »neu­en deut­schen Mäd­chen« aus­ge­tra­gen. Die Jün­ge­ren, mit bei­spiels­wei­se Char­lot­te Roche (Feucht­ge­bie­te)
als Front­frau, war­fen den Älte­ren vom Schla­ge Ali­ce Schwar­zers vor, Män­ner zu ver­dam­men und hete­ro­se­xu­el­le Akti­vi­tät (inklu­si­ve Por­no­gra­phie und Pro­sti­tu­ti­on) unter Gene­ral­ver­dacht zu stel­len. Die alte Rie­ge warf ihren Kin­dern im Geis­te Undank­bar­keit gegen­über femi­nis­ti­schen Errun­gen­schaf­ten vor. Da aller­dings hat­te die Gen­der-Ideo­lo­gie, auch von den Alt­fe­mi­nis­tin­nen nach Kräf­ten beför­dert, schon gegrif­fen. Wäh­rend die Femi­nis­tin­nen der ers­ten Gene­ra­ti­on beharr­lich und bis heu­te dem »Patri­ar­chat« die »Macht­fra­ge« stel­len, mach­ten die Jun­gen ernst mit dem Pos­tu­lat, daß die sexu­el­le Unter­tei­lung zwi­schen Mann und Frau hin­fäl­lig sei: Allen gebüh­re alles, ohne Gren­zen, ohne Scho­nung. Inter­es­sant ist, daß sich das pop­kul­tu­rell imple­men­tier­te Gen­der-Wesen von der aka­de­mi­schen Gen­der- Befas­sung deut­lich unter­schei­det. Gemein ist bei­den der ega­li­tä­re Selbst­be­haup­tungs­wil­le gegen­über der Män­ner­welt, unter­schied­lich ist die For­mu­lie­rung eines Opferstatus.

Der For­schungs­be­reich Gen­der, der sich, ver­ein­facht gesagt, mit kul­tu­rel­len Impli­ka­tio­nen des (als nicht bio­lo­gisch, son­dern sozi­al begrif­fe­nen) Geschlechts befaßt, fris­te­te bis vor weni­gen Jah­ren ein Nischen­da­sein. Er galt als Unter­ru­brik für weni­ge Sozio­lo­gen, Kul­tur­wis­sen­schaft­ler und, inter­dis­zi­pli­när, für radi­ka­le­re Neo­fe­mi­nis­tin­nen. Wer sich hin­ge­gen heu­te einen Über­blick über die Neu­erschei­nun­gen zu die­sem The­ma ver­schaf­fen will, braucht einen län­ge­ren Atem: Gen­der ist zu einem For­schungs­schwer­punkt gewor­den. Wer als jun­ger Dozent an der Uni­ver­si­tät die »Geschlech­ter­fra­ge« über eini­ge Semes­ter nicht in sei­ne Semi­na­re inte­griert hat, wird sich wenigs­tens infor­mell der Fra­ge stel­len müs­sen, inwie­weit er die Gen­der-Rah­men­plä­ne der Hoch­schu­le inhalt­lich umzu­set­zen geden­ke. Unmög­lich ist das in kei­nem Fall und kei­nem Fach. Gen­der soll sich in der Musik­wis­sen­schaft (Uni Olden­burg: »Hier kön­nen Wei­chen gestellt wer­den für einen gewalt­frei­en, eman­zi­pier­ten Umgang mit­ein­an­der, auch in musi­ka­li­scher Hin­sicht«) eben­so nie­der­schla­gen wie in Jura (Neu­erschei­nung 2010: »Hat Straf­recht ein Geschlecht?«), den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten (»Gleich­heits­ma­nage­ment als Erfolgs­fak­tor«) und im tech­ni­schen Bereich (»Gen­der Main­strea­ming in den Ingenieurswissenschaften«).
1999 hat die Bun­des­re­gie­rung Gen­der Main­strea­ming (GM) zur Quer­schnitts­auf­ga­be erklärt. Im uni­ver­si­tä­ren Bereich spie­gelt sich die­se Geschlech­ter­po­li­tik auf drei Ebe­nen: per­so­nell, finan­zi­ell (sog. Gen­der- Bud­ge­ting) und inhalt­lich. An deut­schen Uni­ver­si­tä­ten – sons­ti­ge Hoch­schu­len außer acht gelas­sen – gibt es der­zeit 113 Pro­fes­su­ren für Frau­en- und Geschlech­ter­for­schung. Die zahl­lo­sen Pro­fes­su­ren, in deren Aus­schrei­bungs­text die Beach­tung des Gen­der-Aspekts ledig­lich als »erwünscht« for­mu­liert ist, sind dabei nicht berück­sich­tigt. Eine Vor­rei­ter­rol­le hat Ber­lin über­nom­men. Hier dozie­ren 27 Gen­der­pro­fes­so­ren (die in die­sem Fall alle­samt Pro­fes­so­rin­nen sind), zwei wei­te­re Stel­len sind unbe­setzt. Ob auch in die­sem Fall das unter­re­prä­sen­tier­te Geschlecht bevor­zugt berück­sich­tigt wird, wie es die Gleich­stel­lungs­nor­men for­dern, ist unklar. Auch die Uni­ver­si­tä­ten in Nord­rhein-West­fa­len (35), Hes­sen (10) und Ham­burg (8) unter­hal­ten zahl­rei­che Pro­fes­su­ren für Frau­en – und Geschlech­ter­for­schung, mager sieht es dage­gen an den bay­ri­schen Uni­ver­si­tä­ten (3), sowie in Sach­sen-Anhalt und Thü­rin­gen aus, die je eine Pro­fes­sur unter­hal­ten (wobei Sach­sen-Anhalt über ein ein­schlä­gig renom­mier­tes »Gen­der-Insti­tut« mit aka­de­mi­schem Anschluß ver­fügt und in Thü­rin­gen ein ent­spre­chen­des »Gen­der-Kom­pe­tenz­zen­trum « in Auf­bau ist); das Saar­land sowie Sach­sen wei­sen noch kei­ne ent­spre­chen­de Posi­ti­on aus.
Die meis­ten Gen­der­pro­fes­su­ren hält der Fach­be­reich Sozio­lo­gie, dicht gefolgt von Erzie­hungs­wis­sen­schaf­ten, aber auch die Japa­no­lo­gie (Düs­sel­dorf), Infor­ma­tik (Bre­men) und Archi­tek­tur (Han­no­ver) hat eige­ne Gen­der­lehr­stüh­le besetzt. Neben­bei ist – auch dank GM – der Anteil der Pro­fes­so­rin­nen über­haupt ins­ge­samt von 4,5 Pro­zent (1980) auf 23,4 Pro­zent (2008) gestie­gen. Als die dama­li­ge Bil­dungs­mi­nis­te­rin 2002 ver­kün­de­te, 20 Pro­zent aller Pro­fes­so­ren­stel­len mit Frau­en beset­zen zu wol­len, hieß es in der Emma skep­tisch, das käme »einer Revo­lu­ti­on gleich«. Das Soll wäre heu­te dem­nach übererfüllt.

Auch jen­seits amt­li­cher Bestal­lun­gen wird uner­müd­lich gegen­dert, die Bei­spie­le sind zahl­reich. Im kom­men­den Juni ver­an­stal­tet die Uni­ver­si­tät der Bun­des­wehr in Mün­chen eine Tagung, die sich mit Fra­gen des Ter­ro­ris­mus unter Gen­der­aspek­ten befas­sen wird. Laut Ankün­di­gungs­text soll »eine Schnitt­stel­le zwi­schen For­schun­gen zu Ter­ro­ris­mus, Gen­der und Wis­sens­ge­ne­rie­rung bzw. –tra­die­rung« unter die Lupe genom­men wer­den. Zu fra­gen sei: »Wie wird in der öffent­li­chen Debat­te um Ter­ro­ris­mus Wis­sen über Geschlecht­er­ord­nun­gen her­ge­stellt? Inwie­fern wer­den dabei bekann­te Geschlech­ter­ste­reo­ty­pen und Deu­tungs­mus­ter reak­ti­viert bzw. modi­fi­ziert? Wie gehen hege­mo­nia­le Deu­tun­gen in die Erin­ne­rungs­kul­tur ein? Und wel­che Rol­le spie­len Kon­zep­te von Geschlecht in den genann­ten Pro­zes­sen?« Im Tagungs­haus der Katho­li­schen Aka­de­mie Stutt­gart-Hohen­heim fin­det im Novem­ber 2010 die 16. Tagung des Arbeits­krei­ses »Geschlech­ter­ge­schich­te der Frü­hen Neu­zeit« statt, dies­mal zum The­ma »Ver­floch­te­ne Lebens­wel­ten«. Die Ver­an­stal­te­rin­nen inter­es­siert dabei beson­ders, »wel­che Rele­vanz die Kate­go­rie Geschlecht für die Ver­flech­tung der Lebens­wel­ten wie auch für die Kon­struk­ti­on von deren Gren­zen hat­te.« Als mög­li­che The­men wer­den offe­riert: »Grenz­über­schrei­ten­de Ehen, geschlechts­spe­zi­fi­sche Funk­tio­na­li­tät von Übersetzer/inn/en und kul­tu­rel­len Ver­mitt­lern, das ›Gen­de­ring‹ von Prak­ti­ken und Stra­te­gien in mehr­kul­tu­rel­len Inter­ak­ti­ons­räu­men, geschlechts­spe­zi­fi­sche z. T. mit Zwang ver­bun­de­ne Mecha­nis­men des Trans­fers, der Akkul­tu­ra­ti­on und Transformation«.
In jedem Fall wird deut­lich, daß der Gen­der-Kom­plex einem Faß ohne Boden gleicht. Die Fra­ge­stel­lun­gen dre­hen sich im Kreis – wie­der und wie­der, schwin­del­erre­gend, allein die spe­zi­el­len Objek­te sind varia­bel. Schon den Femi­nis­tin­nen alten Schlags fiel es schwer, sich auf eine »dif­fe­ren­zia­lis­ti­sche« oder »uni­ver­sa­lis­ti­sche« Her­an­ge­hens­wei­se zu eini­gen. Soll frau die Sicht aus dezi­diert weib­li­cher Per­spek­ti­ve stär­ken und folg­lich (auf­grund des patri­ar­chal beding­ten männ­li­chen Vor­sprungs) bevor­zu­gen? Oder soll man den »Fak­tor Geschlecht« gene­rell als kul­tu­rel­le Lüge iden­ti­fi­zie­ren und ihn auf­he­ben? Letz­te­res wür­de bedeu­ten, die »Vik­ti­mi­sie­rung « der Frau mit einer aus­nah­me­lo­sen Gleich­stel­lung zu been­den. Im gesam­ten Bereich des GM lau­fen bei­de Optio­nen kreuz und quer. Einer­seits wird betont, daß bei­de Geschlech­ter »natür­li­cher­wei­se« exakt glei­che Inter­es­sen und Befä­hi­gun­gen haben, ander­seits sor­tie­ren »gen­der-sen­si­ble« Hand­rei­chun­gen deut­lich nach dem Fak­tor Geschlecht. Bei­spiels­wei­se gibt es eine Bro­schü­re des Gesund­heits­mi­nis­te­ri­ums zur Niko­tin­ent­wöh­nung für »Girls« – mit kichern­den Mäd­chen, die aus Schlank­heits­grün­den rau­chen –, und eine für »Boys«, denen auf­ge­zeigt wird, wie sie ohne Kip­pe »cool« und »erfolg­reich« wirken.

Die­se Ver­wir­rung wird im aka­de­mi­schen Gen­der-Dis­kurs fort­ge­schrie­ben. In einer Rezen­si­on des jüngst erschie­nen Sam­mel­ban­des Gen­de­ring his­to­rio­gra­phy heißt es, die »Ver­bin­dung von Geschichts­schrei­bung und Geschichts­kul­tur« erschei­ne aus »gen­der-sen­si­bler Per­spek­ti­ve als uner­läss­lich. Erst die Über­win­dung aka­de­misch-männ­lich gepräg­ter Defi­ni­tio­nen von ›wah­rer‹ oder ›wich­ti­ger‹ Geschich­te … macht es mög­lich, auch weib­li­che His­to­rio­gra­phen in den Blick zu bekom­men; schließ­lich waren Frau­en über Jahr­hun­der­te hin qua Geschlecht aus der aka­de­mi­schen Geschichts­for­schung und ‑schrei­bung aus­ge­schlos­sen.« Bis heu­te sei »das Feld der Geschichts­schrei­bung und ‑for­schung durch Geschlech­ter­dif­fe­ren­zen, ‑hier­ar­chien sowie Ein- und Aus­gren­zun­gen gekenn­zeich­net. Inso­fern ist das Anlie­gen, die His­to­rio­gra­phie zu ›gen­dern‹, wei­ter­hin ein emi­nent politisches.«
Sol­che Fra­gen mögen »span­nend« sein. Ihre Beant­wor­tung mag Raum ver­lan­gen – für ein paar Bücher, eini­ge Semi­na­re. Sie mag, wenn sie nun als bun­des­re­pu­bli­ka­ni­sche »Quer­schnitts­auf­ga­be« gesetzt ist, als roter Faden aka­de­mi­sche For­schun­gen durch­zie­hen. Doch erscheint die inter­dis­zi­pli­nä­re Gen­der-Fixiert­heit als uner­gie­bi­ge Aus­wal­zung eines Gesichts­punkts. Wo sich Frau­en mög­li­cher­wei­se einst in end­lo­sen Umdre­hun­gen und letzt­lich rein um des kom­mu­ni­ka­ti­ven Aspek­tes wil­len über das Wasch­mit­tel unter­hiel­ten, das »nicht nur sau­ber, son­dern rein« wusch, dreht sich heu­te das Bemü­hen eines gro­ßen Teils der jun­gen Aka­de­mi­ke­rin­nen­ge­ne­ra­ti­on um die »gen­der­ge­rech­tes­te« Sicht­wei­se. Eben­so, wie es bereits in rück­stän­di­gen Zei­ten Män­ner gab, die Putz­lap­pen schwan­gen, haben auch Män­ner teil am frau­en­do­mi­nier­ten Gen­der-Dis­kurs. Ihre Teil­ha­be bewegt sich im unte­ren ein­stel­li­gen Pro­zent­be­reich. Gan­ze zwei der Gen­der-Pro­fes­su­ren sind männ­lich besetzt. Ähn­li­ches läßt sich von ein­schlä­gi­gen Ver­öf­fent­li­chun­gen sagen. Immer­hin: Laut Emma ist jede vier­te Gen­der-Stu­den­tin (!) männ­lich. Den »alten« Femi­nis­tin­nen ist das zuviel. Die Emma druck­te vor län­ge­rer Zeit einen heu­te zwan­zig Jah­re alten Debat­ten­bei­trag der ame­ri­ka­ni­schen Sozio­lo­gie-Pro­fes­so­rin Rena­te Klein erneut ab. Femi­nis­tin Klein geht hart ins Gericht mit der dekon­struk­ti­vis­ti­schen Gen­der-Ideo­lo­gie. Die gen­der­üb­li­che Sicht­wei­se (pro­pa­giert vor allem durch die iko­nen­haft gefei­er­te Rhe­to­rik­pro­fes­so­rin Judith But­ler, vor­be­rei­tet unter ande­rem durch das femi­nis­ti­sche Idol Simo­ne de Beau­voir, wonach man als Frau nicht gebo­ren wer­de, son­dern zur Frau »gemacht« wer­de ), daß es »die Frau« nicht gebe, sei »ein Schlag ins Gesicht, der ech­ten leben­di­gen Frau«. »Virus­ähn­lich« habe der Trend zur Aka­de­mi­sie­rung von Frau­en­for­schung die west­li­che Welt befal­len. Der unzu­gäng­li­che »Fach­jar­gon« der »Dekon­struk­tio­nis­tin­nen« spie­le der Män­ner­welt in die Hän­de, drum sei es logisch, daß ein Mann den ers­ten US-Lehr­stuhl in Gen­der-Stu­dies inne­ha­be: »Eine theo­re­ti­sie­ren­de Frau auf ihrem Ter­ri­to­ri­um ist ihnen immer noch lie­ber, als eine ›Män­ner­has­se­rin‹ im sepa­ra­tis­ti­schen ›Ghet­to‹. Im weib­lich-aka­de­mi­schen Dau­er­selbst­ge­spräch haben sich bei­de Sicht­wei­sen meist zur Unkennt­lich­keit ver­mischt. Ein küh­ner Griff, zugleich das (mora­lisch) bes­se­re, ande­rer­seits das eben­bür­ti­ge Geschlecht sein zu wol­len, gleich­falls aber die Kate­go­rie Geschlecht zu negie­ren. Dazu paßt die Grund­satz­er­klä­rung der US Natio­nal Women’s Stu­dies Asso­cia­ti­on. Dem­nach wird die »ste­ri­le Auf­spal­tung in aka­de­mi­sches Wis­sen und Lai­en­wis­sen« eben­so abge­lehnt wie »die Frag­men­tie­rung in Kopf­weis­heit und Kör­per­emp­fin­den, Intel­lekt und Lei­den­schaft.« Ratio­na­le Vor­ge­hens­wei­sen fruch­ten hier kon­se­quen­ter­wei­se kaum, der spä­te Femi­nis­mus ist a) gut kam­pa­gnen­fä­hig und hat b) mitt­ler­wei­le zahl­rei­che Geset­ze auf sei­ner Sei­te. In einem Zeit­al­ter, das »Kom­mu­ni­ka­ti­on« an sich, das end­lo­se ver­ba­le Kreis(s)en und das Gere­de zur Pri­mär­tu­gend und als Leit­be­griff erho­ben hat, ste­hen wir vor eben­die­ser Wahl: der Ein­be­zie­hung spe­zi­fisch weib­li­cher Anlie­gen oder der Akzep­tanz eines uni­ver­sel­len Gen­der-Begriffs. Ein Drit­tes gibt es allen­falls in Sphä­ren, wo Frau­en bis heu­te deut­lich unter­re­prä­sen­tiert sind: in sämt­li­chen tech­no­lo­gi­schen und natur­wis­sen­schaft­li­chen For­schungs­fel­der. Man­che hal­ten dies für die Wis­sen­schaf­ten der Zukunft.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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