Zwei Flügel – Graz hat gewählt

pdf der Druckfassung aus Sezession 23/April 2008

sez_nr_2310von Wolfgang Dvorak-Stocker

Die Gemeinderatswahl in der österreichischen 300.000 Einwohner-Stadt Graz hat für internationales Aufsehen gesorgt. Schuld daran war FPÖ-Spitzenkanditatin Susanne Winter, die sich mit islamkritischen Aussagen in Position zu bringen versuchte. Insbesondere ihre Feststellung, Mohammed selbst sei aus heutiger Sicht als Kinderschänder zu bezeichnen, sorgte österreichweit und darüber hinaus für Aufregung. Schon zuvor hatte Winter den Vorschlag der Parteijugend, im Stadtpark Schafe weiden zu lassen, mit denen sich Moslems sodomitisch vergnügen könnten, gutgeheißen, um so angeblichen Vergewaltigungsgefahren vorzubeugen.


Der Schuß ging aber nach hin­ten los. Gera­de in FPÖ-nahen Krei­sen wur­de der Ver­such, Reli­gi­on zum Wahl­kampf­the­ma zu machen, ein­hel­lig abge­lehnt. Nicht, daß Win­ters Aus­sa­gen völ­lig falsch gewe­sen wären – aber das Ver­hal­ten Moham­meds in einer ganz anders gear­te­ten Kul­tur vor 1300 Jah­ren hat mit den rea­len Pro­ble­men der unfrei­wil­lig mul­ti­kul­tu­rell gewor­de­nen Stadt genau­so­we­nig zu tun wie mit dem Ver­hal­ten der heu­te in Öster­reich leben­den Mos­lems. Ihre Äuße­run­gen wur­den daher als vor­sätz­li­cher Affront gegen Men­schen isla­mi­schen Glau­bens emp­fun­den, die ins­be­son­de­re Wäh­ler „schlich­te­rer” Geis­tes­hal­tung anspre­chen soll­ten. Pla­ka­te mit Slo­gans wie „Daham statt Islam”, die die Frei­heit­li­chen seit eini­gen Wahl­gän­gen ver­wen­den, zie­len ja auf ein ähn­li­ches Publi­kum. In der Fol­ge gewann die FPÖ zwar in sozi­al pro­ble­ma­ti­schen Bezir­ken dazu, die von einem star­ken Aus­län­der­an­teil geprägt sind, ver­lor aber sogar noch Stim­men in den „bes­se­ren” Stadt­tei­len. Dabei war Graz über Jahr­zehn­te eine Hoch­burg der FPÖ gewe­sen, die schon in den sieb­zi­ger Jah­ren Ergeb­nis­se von mehr als 20 Pro­zent erzie­len und 10 Jah­re den Bür­ger­meis­ter stel­len konn­te. 2003 hat­te die FPÖ mit 8 Pro­zent bedingt durch inner­par­tei­li­che Que­re­len das schlech­tes­te Ergeb­nis ihrer Geschich­te ein­ge­fah­ren. Daß in den „bür­ger­li­chen” Bezir­ken nun noch­mals Stim­men ver­lo­ren wur­den, hat­te man nach Gesprä­chen mit FPÖ-Sym­pa­thi­san­ten bereits abschät­zen kön­nen, und der Tenor die­ser Gesprä­che war klar: Nicht die Reli­gi­on an sich darf Wahl­kampf­the­ma sein, the­ma­ti­siert wer­den muß die Gefahr von Isla­mi­sie­rung und Über­frem­dung; nicht „der Islam” ist als Geg­ner aus­zu­ma­chen, son­dern jene poli­ti­schen Kräf­te sind es, die die­se unheil­vol­le Ent­wick­lung för­dern und vor­an­trei­ben. Ins­ge­samt blieb die FPÖ mit 11 Pro­zent unter dem von Mei­nungs­for­schern erwar­te­ten Ergeb­nis, da vie­le ihrer Wäh­ler zu Hau­se geblie­ben waren (Wahl­be­tei­li­gung: 53 Pro­zent) oder ande­ren Par­tei­en ihre Stim­me gege­ben hatten.

Das Wahl­recht in Graz führt dazu, daß jede Par­tei ab einem bestimm­ten Stim­men­an­teil Mit­glied der Stadt­re­gie­rung ist. Und anders als in Wien, wo es Stadt­rä­te ohne Geschäfts­be­reich gibt, betei­ligt man in Graz brav alle ent­spre­chend stim­men­stark gewor­de­nen Par­tei­en an der Macht. Daher regier­te in den letz­ten Jah­ren auch ein christ­lich-sozia­ler Bür­ger­meis­ter trotz lin­ker Mehr­heit im Gemein­de­rat. Und die­ser, Sieg­fried Nagl, ver­such­te sich sogar als Expo­nent des kon­ser­va­ti­ven Flü­gels der ÖVP zu posi­tio­nie­ren. So sprach er von Graz als „Boll­werk” gegen einen EU-Bei­tritt der Tür­kei (die Stadt hat­te drei Tür­ken­be­la­ge­run­gen zu über­ste­hen) und äußer­te sich trotz media­ler Schel­te deut­lich nega­tiv zur Homo­se­xua­li­tät. Im jüngs­ten Gemein­de­rats­wahl­kampf aber waren pola­ri­sie­ren­de Sprü­che außen vor geblie­ben, der Bür­ger­meis­ter führ­te eine Sym­pa­thie-Kam­pa­gne unter dem Mot­to „Graz macht Spaß” und konn­te sei­ne Par­tei von 36 Pro­zent auf 38 Pro­zent verbessern.
Doch nicht nur hin zur ÖVP, auch zum BZÖ wand­ten sich poten­ti­el­le Wäh­ler der FPÖ: Die­se skur­ri­le Par­tei ver­dankt ihre Exis­tenz Jörg Hai­der, der sich mit­samt der Füh­rungs­spit­ze von der eige­nen Par­tei abspal­te­te, der FPÖ nur den ange­häuf­ten Schul­den­berg hin­ter­las­send. Nun konn­te das BZÖ in Graz mit 4,3 Pro­zent erst­mals außer­halb von Kärn­ten in eine Gebiets­kör­per­schaft ein­zie­hen. Von sei­ten des jüngst instal­lier­ten „Men­schen­rechts­bei­ra­tes” (Graz ist „Men­schen­rechts­stadt”!) wur­de dem BZÖ, das sonst nichts unver­sucht läßt, die FPÖ ins brau­ne Eck zu stel­len, ange­sichts sei­nes „Wir säu­bern Graz”-Wahlkampfes frei­lich selbst ras­sis­ti­sche Men­schen­ver­ach­tung vor­ge­wor­fen. Der Wäh­ler hat wohl nichts der­glei­chen dar­in gese­hen, son­dern den Spruch eher auf die zuneh­men­de Gewalt­kri­mi­na­li­tät in nächt­li­chen Stra­ßen und Parks, die Ver­wahr­lo­sung zen­tra­ler Plät­ze durch kam­pie­ren­de Punks, die meist schwarz­afri­ka­ni­schen Dro­gen­dea­ler und die orga­ni­siert auf­tre­ten­de Bett­ler­flut slo­wa­ki­scher Zigeu­ner bezo­gen. Für die eta­blier­ten Kräf­te uner­war­tet war wohl, daß es gera­de die Erst­wäh­ler des auf 16 Jah­re her­ab­ge­setz­ten Wahl­al­ters waren, die über­pro­por­tio­nal für FPÖ und BZÖ stimmten!

Graz, die alte Hoch­burg des deutsch­na­tio­na­len Lagers, war schon immer für unge­wöhn­li­che poli­ti­sche Ver­hält­nis­se bekannt: 1938 erwarb sie sich den Titel „Stadt der Volks­er­he­bung”, nach­dem Wochen vor dem deut­schen Ein­marsch die Natio­nal­so­zia­lis­ten fak­tisch Besitz von ihr ergrif­fen hat­ten und sie trotz Ver­bot mit Auf­mär­schen und Haken­kreuz­fah­nen domi­nier­ten, ohne daß die Regie­rung in Wien es wag­te, dage­gen einzuschreiten.
Spä­ter war Graz dann die „Stadt der Bür­ger­initia­ti­ven” und das Stadt­par­la­ment tra­di­tio­nell bunt. Bei den letz­ten Wah­len mach­ten ins­be­son­de­re die Kom­mu­nis­ten Furo­re, deren per­sön­lich inte­grer Spit­zen­kan­di­dat Ernst Kal­ten­eg­ger sich erfolg­reich als Anwalt des klei­nen Man­nes ver­kau­fen konn­te. 2003 erziel­te die sonst öster­reich­weit im 0,1‑Prozent-Bereich vege­tie­ren­de Par­tei gan­ze 21 Pro­zent! Dies ver­dank­te Kal­ten­eg­ger nicht nur sei­ner per­sön­li­chen Wir­kung, son­dern auch den Gra­zer Medi­en, die sei­nen Wohl­fühl­kom­mu­nis­mus nie in Fra­ge stell­ten, obwohl etwa die Par­tei­ju­gend offi­zi­ell der DDR nach­trau­ert, Nord­ko­rea zu ihren Vor­bil­dern zählt und davon träumt, daß die Macht­mit­tel des Staa­tes der bür­ger­li­chen Klas­se aus den Hän­den geris­sen wer­den müs­sen. Freund­lich wird dabei ver­si­chert, daß die Revo­lu­ti­on nicht unbe­dingt blu­tig ver­lau­fen müs­se: näm­lich dann nicht, wenn die Kapi­ta­lis­tIn­nen die­ser kei­nen Wider­stand entgegensetzten!
Bei der letz­ten Gemein­de­rats­wahl fiel die KPÖ jedoch auf 11,2 Pro­zent zurück, nach­dem ihr zug­kräf­ti­ger Spit­zen­kan­di­dat in die Lan­des­po­li­tik wech­sel­te. Zwi­schen den Fron­ten zer­rie­ben wur­de die Sozi­al­de­mo­kra­tie, die von 26 Pro­zent auf 19,8 Pro­zent abstürz­te und ein skur­ri­les Klein­od die­ses an Selt­sam­kei­ten rei­chen Wahl­kamp­fes lie­fer­te: Ihr amtie­ren­der Lan­des­haupt­mann (stei­ri­scher Minis­ter­prä­si­dent), der noch im letz­ten Herbst ein Ver­bot der schla­gen­den Bur­schen­schaf­ten und Corps gefor­dert hat­te, über­nahm nun aus­ge­rech­net den Ehren­schutz für einen Ball eben­die­ser Stu­den­ten­ver­bin­dun­gen. Als ein­zi­ge Links­par­tei konn­ten die Grü­nen mode­rat auf 14,5 Pro­zent zulegen.
Die meis­ten Medi­en­kom­men­ta­re ziel­ten nach der Wahl jeden­falls auf die ver­meint­li­che Nie­der­la­ge der FPÖ ab, obwohl die­se ins­ge­samt 3 Pro­zent Stim­men­an­teil dazu­ge­win­nen konn­te. Das eigent­li­che Ergeb­nis die­ses Wahl­tags wur­de hin­ge­gen höchst sel­ten erwähnt: Graz hat nun wie­der eine deut­lich nicht-lin­ke Mehr­heit: BZÖ, FPÖ und ÖVP kom­men zusam­men auf 53,5 Pro­zent, wäh­rend Rote, Grü­ne und Blut­ro­te nur 45,5 Pro­zent auf die Waa­ge brin­gen. Den Gra­zer Bür­ger­meis­ter Sieg­fried Nagl, der sich frü­her so schön am kon­ser­va­ti­ven Rand der ÖVP zu posi­tio­nie­ren ver­such­te, hält dies frei­lich nicht davon ab, nun aus­ge­rech­net in den Grü­nen den Haupt­an­sprech­part­ner zu sehen.

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