Ein Flügel – Landtagswahl in Niedersachsen

pdf der Druckfassung aus Sezession 23/April 2008

sez_nr_2311von Christian Vollradt

Daß unter den drei jüngst veranstalteten Landtagswahlen ausgerechnet diejenige in Niedersachsen für die CDU ein befriedigendes Ergebnis - und im Umkehrschluß für die SPD die wohl größte Enttäuschung - einbrachte, mutet fast etwas merkwürdig an. Ließ sich hier doch vor zehn Jahren noch der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder medienwirksam mit einem 48-Prozent-Ergebnis zum sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten gegen seinen innerparteilichen Konkurrenten Oskar Lafontaine küren, indem man in der SPD mittelbar den niedersächsischen Urnengang zur parteiinternen Urwahl ausgerufen hatte. Doch das ist lange her; Schröder ist mittlerweile Polit-Pensionär, und ausgerechnet die neuetablierte tiefrote Truppe seines Erzrivalen Lafontaine hat jetzt in Niedersachsen mit über 7 Prozent ihr bestes Ergebnis in einem Flächenland der Alt-Bundesrepublik erzielt. Und die SPD, zuletzt von 1990 an dreizehn Jahre Regierungspartei, mußte feststellen, daß ihr Zustimmungstief des Jahres 2003 (33,4 Prozent) noch einmal unterboten werden konnte: 30,3 Prozent und damit über 12 Prozent hinter der christdemokratischen Konkurrenz. Nicht wenige in und außerhalb der alten Arbeiterpartei gaben die Hauptschuld daran dem Spitzenkandidaten Wolfgang Jüttner, einem etwas drögen Alt-Funktionär in Siebziger-Jahre-Optik. An dritter Stelle konnten sich die Freien Demokraten mit 8,2 vor den Grünen mit 8 Prozent behaupten.


Die Uni­on muß sich in Han­no­ver anders als in den bei­den Nach­bar­län­dern im Nor­den und Süden nicht den Kopf über (un-)mögliche neue Koali­tio­nen zer­bre­chen (Ham­burg), oder gar den Macht­ver­lust ertra­gen (Hes­sen): Minis­ter­prä­si­dent Chris­ti­an Wulff setzt nicht nur das Bünd­nis mit dem Wunsch­part­ner FDP fort, son­dern ver­zich­te­te auch nahe­zu ganz auf Aus­wech­se­lun­gen in der Regie­rungs­mann­schaft. Ledig­lich ein Tausch an den Spit­zen des Kul­tus- und des Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums wur­de voll­zo­gen. Schnell deu­te­ten Beob­ach­ter die­se ein­zi­ge Ände­rung als eine Abschie­bung des bei Wulff offen­bar nicht son­der­lich belieb­ten Bernd Buse­mann in das Jus­tiz­res­sort, wäh­rend des­sen ehe­ma­li­ge Che­fin Eli­sa­beth Heis­ter-Neu­mann künf­tig mit der obers­ten Lei­tung des Schul­we­sens betraut wird. Auf dem Gebiet hat die Uni­on sicher­lich mit am meis­ten Pres­ti­ge­ver­lust erlit­ten. Zwar lös­te sie in der ver­gan­ge­nen Legis­la­tur­pe­ri­ode end­lich ihr Wahl­ver­spre­chen ein, die Ori­en­tie­rungs­stu­fe als eigen­stän­di­ge Schul­form (Klas­se 5 und 6) abzu­schaf­fen; da jedoch der Eltern­wil­le und nicht die Emp­feh­lung der Grund­schu­le aus­schlag­ge­bend für den Besuch der wei­ter­füh­ren­den Schu­le ist, plat­zen die Gym­na­si­en aus allen Näh­ten, wäh­rend die Haupt­schu­len ver­öden. Um nicht kurz vor dem Urnen­gang die Wäh­ler doch noch wie­der in die Fän­ge der bil­dungs­po­li­tisch ega­li­tä­ren SPD zu trei­ben, muß­te Buse­mannn schließ­lich auch sei­nen Wider­stand gegen die Aus­wei­tung des Ange­bots an Gesamt­schu­len aufgeben.

Mit der laut­lo­sen Regie­rungs­neu­bil­dung ist aus Sicht der Wulff-Trup­pe bereits eine wesent­li­che Hür­de über­wun­den. In der nie­der­säch­si­schen CDU gilt es näm­lich nicht, ver­schie­de­ne Par­tei­flü­gel (die es eigent­lich schon gar nicht mehr gibt) in das Macht­ge­fü­ge von Kabi­nett und Land­tags­frak­ti­on ein­zu­bin­den, son­dern eben dort den Regio­nal­pro­porz zu berück­sich­ti­gen; denn – so para­dox es klingt – nir­gend­wo tritt so deut­lich wie hier zuta­ge, daß der von der bri­ti­schen Besat­zungs­macht 1946 geschaf­fe­ne Flä­chen­staat eigent­lich ein Kunst­ge­bil­de ist. Die CDU ist ein Jahr älter als das Bun­des­land, und so exis­tie­ren – als lan­des­spe­zi­fi­sches Kurio­sum – neben den Bezirks- noch zwei wei­te­re Lan­desver­bän­de (Olden­burg und Braun­schweig) inner­halb Nie­der­sach­sens, die noch dazu auf Bun­des­ebe­ne unab­hän­gig agie­ren. Ent­spre­chend selbst­be­wußt tre­ten die Regio­nal­fürs­ten der Uni­on auf, und so ist die Kabi­netts­bil­dung, für die der Wohn­sitz eines mög­li­chen Pos­ten­be­wer­bers schon mal wich­ti­ger sein kann als sei­ne Fach­kom­pe­tenz, stets ein aus­ge­spro­che­ner Balanceakt.
Wäh­rend also Christ- und Frei­de­mo­kra­ten schon am Wahl­abend uni­so­no beton­ten, sie hät­ten den Beweis für den mög­li­chen Fort­be­stand bür­ger­li­cher Mehr­hei­ten in Deutsch­land erbracht, wer­den die klei­nen Schön­heits­feh­ler beschwie­gen: In abso­lu­ten Zah­len ver­lor die Wulff-Uni­on 470.000 Wäh­ler, allein 270.000 ehe­ma­li­ge Anhän­ger von Schwarz-Gelb blie­ben dies­mal gleich ganz zu Hause.
Ein Blick auf die Land­kar­te, in der die regio­na­len Par­tei­prä­fe­ren­zen ein­ge­zeich­net sind, beweist, daß es die klas­si­schen Wäh­ler­mi­lieus durch­aus noch gibt: Nie­der­sach­sen wählt dort schwarz, wo es länd­lich, tra­di­ti­ons­ver­bun­den und – vor allem – katho­lisch ist: im Ems­land, in Clop­pen­burg und süd­lich von Osna­brück erziel­te die Uni­on auch dies­mal wie­der Ergeb­nis­se von über sech­zig Pro­zent der Zweit­stim­men, wäh­rend die SPD dort zum Teil bei ledig­lich 15 Pro­zent dümpelte.
Umge­kehrt sind die klas­si­schen Indus­trie­ge­bie­te Pei­ne, Salz­git­ter, eben­so wie das struk­tur­schwa­che Ost­fries­land und der äußers­te Süd­zip­fel Nie­der­sach­sens tief­rot; dort erlang­ten die Sozi­al­de­mo­kra­ten außer­dem fast alle zu ver­ge­ben­den Direkt­man­da­te. Und auch in den Wahl­be­zir­ken der groß­städ­ti­schen Bal­lungs­räu­me brach­te es die Uni­on teil­wei­se bloß auf mage­re 25 Prozent.

Grün sind die Wohn­or­te der „Post­ma­te­ria­lis­ten”, also die geho­be­nen Alt­bau­vier­tel der Groß- und Uni­ver­si­täts­städ­te (z.B. mit über 20 Pro­zent in Göt­tin­gen-Stadt). Und wo das Ein­kom­men nied­rig, die Arbeits­lo­sen­quo­te hoch und die Nach­bar­schaft ein­ge­wan­dert ist, wähl­te man tief­rot: in Han­no­ver-Lin­den, Wil­helms­ha­ven oder Delmenhorst.
Natür­lich war der mühe­lo­se Ein­zug der „Lin­ken” bei ihrer nie­der­säch­si­schen Land­tags­wahl-Pre­mie­re die Sen­sa­ti­on; hat­te die „alte” West-PDS bei ihrem letz­ten Solo­auf­tritt 2003 doch nur schlap­pe 0,5 Pro­zent der Zweit­stim­men erhal­ten. Nun sit­zen 10 Abge­ord­ne­te als fünf­te Frak­ti­on im Lei­ne­schloß, die nicht nur fest im lin­ken Gewerk­schafts­spek­trum ver­an­kert sind, son­dern in min­des­tens zwei Fäl­len auch über gute Ver­bin­dun­gen ins Lager „auto­no­mer Anti­fa­schis­ten” ver­fü­gen. Die DKP-Frau Weg­ner wur­de wegen ihres all­zu ost­al­gi­schen Fern­seh­auf­tritts sogleich mit gro­ßer Ges­te aus der Frak­ti­on ver­bannt – obwohl sie die­ser qua Geschäfts­ord­nung ohne­hin nicht hät­te ange­hö­ren dürfen.
Fast über­flüs­sig zu beto­nen, daß am rech­ten Rand tota­le Flau­te herrscht: Die Repu­bli­ka­ner ver­zich­te­ten gleich ganz auf einen lan­des­wei­ten Wahl­an­tritt und belie­ßen es bei einem ein­zi­gen Direkt­kan­di­da­ten. Die NPD beschränk­te sich dar­auf, lan­ge vor dem eigent­li­chen Wahl­kampf­be­ginn ein wenig für Furo­re zu sor­gen. Mit der Nomi­nie­rung des ehe­ma­li­gen Wal­dorf-Päd­ago­gen Andre­as Molau zum Spit­zen­kan­di­da­ten gelang es ihr, zumin­dest in eini­gen Stra­te­gie­zir­keln der Uni­on Ver­wir­rung und Unru­he zu stif­ten; dort näm­lich war der NPD-Mann einer­seits völ­lig unbe­kannt, ande­rer­seits genüg­te der Hin­weis, es han­de­le sich dabei offen­bar um einen „Rechts­in­tel­lek­tu­el­len”, um hek­ti­sche Betrieb­sam­keit aus­zu­lö­sen. Man befürch­te­te das Ein­si­ckern rech­ter Kader in eige­ne Wahl­ver­an­stal­tun­gen, und so wur­den flugs For­mu­lie­rungs­hil­fen und Merk­blät­ter pro­du­ziert, um nach Mög­lich­keit die eige­nen Leu­te in sol­chen Fäl­len vor einem argu­men­ta­ti­ven Schiff­bruch zu bewahren.
Am Ende war die gan­ze Auf­re­gung offen­sicht­lich über­trie­ben, die NPD erreich­te ledig­lich 1,5 Pro­zent. So mach­te sich auch der Ver­such, mit einer Ein­bin­dung soge­nann­ter „Frei­er Natio­na­lis­ten” den Spa­gat von Bil­dungs­bür­ger bis Bür­ger­schreck hin­zu­be­kom­men, in den Wahl­ka­bi­nen nicht bezahlt.
Uni­ons­in­tern heißt die Lek­ti­on nach Nie­der­sach­sen: Pola­ri­sie­run­gen ver­mei­den (sie­he Hes­sen als abschre­cken­des Bei­spiel), wei­ter auf der libe­ra­len Linie à la Rütt­gers-Wulff-Beust. Ein inter­es­san­tes Span­nungs­ver­hält­nis ergibt sich, wenn man die­sem Umstand die – oben erwähn­te – schwar­ze Stamm­wäh­ler­schaft gegen­über­stellt: Nie­mand steht loya­ler zur CDU als die­je­ni­gen, deren Wert­vor­stel­lun­gen am rasan­tes­ten aus dem Pro­gramm die­ser Par­tei getilgt werden.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.