Nazis gegen Kinderschänder

Auf Endstation Rechts findet sich ein Bericht über eine von der NPD organisierte Demo in Schwerin, in der wieder einmal das Evergreen "Todesstrafe für Kinderschänder" gefordert wurde.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Mir erschien die auf­ge­reg­te Beses­sen­heit, mit der die­se fixe Idee im ein­schlä­gi­gen Milieu vor­ge­tra­gen wird, immer schon als reich­lich bizarr. In jedem Fall ist sie ein Sym­ptom für die kom­plet­te poli­ti­sche Instinkt­lo­sig­keit und die nagel­dich­te Gehirn­ver­bret­te­rung der NPD- Szene.

Vor allem aber scheint sich hier wie­der ein­mal etwas typisch BRD-Patho­lo­gi­sches die Bahn zu bre­chen. Der “BRD-Nazi”, das ist eine in Euro­pa ver­mut­lich ein­zig­ar­ti­ge Spe­zi­es der hei­mi­schen poli­ti­schen Fau­na, nicht weni­ger als der “Anti­deut­sche” und sei­ne ver­wand­ten Artgenossen.

Vor­aus­schi­cken möch­te ich, daß ich hier nicht als libe­ra­ler Gut­mensch rede, und es bezüg­lich der Todes­stra­fe mit Micha­el Klo­novs­ky halte:

Die Abschaf­fung der Todes­stra­fe gestat­tet dem Lust­mör­der, ein Leben lang die erleb­te Lust am Mord wei­ter­zu­emp­fin­den. Bis er stirbt, wird die Qual des Opfers in der Welt sein. Nur die kal­te Rache löscht die Tat aus.

Dar­über­hin­aus habe ich noch kei­ne Mei­nung dazu, ob die Jus­tiz in Deutsch­land mit dem Delikt des Kin­des­miß­brauchs nun tat­säch­lich zu lax ver­fährt, und ob dadurch nun wirk­lich Kin­der gefähr­det wer­den. Aber daß Pas­törs und Co ange­sichts die­ses The­mas den Boden der Ratio­na­li­tät längst hin­ter sich gelas­sen haben, ist unüber­seh­bar. Das Bild, das NPD-Demos die­ser Art vom “Kin­der­schän­der” ver­brei­ten, ist dabei ers­ter Linie das des auf zwang­haft auf Beu­te­zug gehen­den Lust­mör­ders. Mit der Angst vor sol­chen doch eher sel­ten auf­tre­ten­den Gestal­ten wird eben­so scham- wie geschmack­los ver­sucht, eine veri­ta­ble Hys­te­rie zu schü­ren, um dar­in ein poli­ti­sches Süpp­chen zu kochen.

Wie auch im Fall der his­to­ri­schen Opfer von Dres­den wer­den hier die Opfer der Kin­der­schän­der als Vor­wand benutzt, um sich in eine sze­nennar­ziß­ti­sche Insze­nie­rung und Gefühls­auf­put­schung hin­ein­zu­stei­gern. Dabei gibt es wohl nie­man­den außer­halb der Sze­ne, der die­sen Fim­mel wirk­lich nach­voll­zie­hen kann und nicht irgend­wie unheim­lich fin­det. Trotz­dem wird vom Milieu dar­an ver­bis­sen fest­ge­hal­ten, ohne daß sich dar­aus ein poli­ti­scher Gewinn ergäbe.

Wie kam das zustan­de? Ich ver­mu­te mal ganz banal als Rechts­rock-Sub­gen­re, nach­dem ein­mal irgend­ei­ne Band begon­nen hat, über das The­ma einen Song auf­zu­neh­men, und die­ses seit­her von jeder nach­kom­men­den Jung-Nazi-Com­bo für einen obli­ga­ten Glau­bens­ar­ti­kel gehal­ten wird. Für den Rest der Welt wirkt die Num­mer eher wie der Aus­druck einer gera­de noch unter­drück­ten Pogrom­lust, die gie­rig nach einem Opfer sucht, an dem sie sich ohne schlech­tes Gewis­sen aus­to­ben kann. Das gute Gewis­sen ist ja die Vor­aus­set­zung, um der­glei­chen zu ent­fes­seln, wofür es genug his­to­ri­sche Bei­spie­le gibt. Es gibt offen­bar tief drin­nen im Men­schen eine Bes­tie, die immer wie­der dar­auf war­tet, die­se Erlaub­nis erteilt zu bekommen.

Der Effekt die­ser Auf­mär­sche ist daher iro­ni­schwei­se, daß auf nor­ma­le Men­schen, die noch alle Tas­sen im Schrank haben (oder im NS-Slang: ein “gesun­des Volks­emp­fin­den” besit­zen), eher die fins­ter ein­her­schrei­ten­den Kame­ra­den selbst wie unter­drück­te Lust­mör­der wir­ken. Harald Harz­heim hat­te recht, als er neu­lich im JF-Blog bemerk­te, daß zuviel Reden über “Gesund­heit” ein untrüg­li­ches patho­lo­gi­sches Anzei­chen sei. Das riecht man die­sen Demos auf Kilo­me­ter­ent­fer­nung an. Schon allein des­we­gen sind die­se Aktio­nen von einer kaum zu über­bie­ten­den, knall­däm­li­chen Kon­tra­pro­duk­ti­vi­tät: man muß schon wirk­lich tief im Saft des eige­nen Ghet­to­kol­lers brut­zeln, um der­lei ernst­haft für einen Weg zu hal­ten, Sym­pa­thien in der Bevöl­ke­rung hei­schen zu kön­nen. Das kras­se Gegen­teil ist der Fall: eher treibt sich die NPD damit noch mehr in die gesell­schaft­li­che Iso­la­ti­on. Das ver­stärkt mit­hin noch den Ein­druck einer trieb­haf­ten, fast schon hyp­no­ti­sier­ten Irrationalität.

Irgend­wo ist das schon wie­der auf ver­que­re Wei­se fas­zi­nie­rend, wie ein Auto­un­fall oder eine eth­no­lo­gi­sche Bizar­re­rie. Die­se Auf­mär­sche haben die Aura einer nur dürf­tig ratio­na­li­sier­ten gewalt­tä­ti­gen Archa­ik an sich, wie sie etwa Réne Girard in sei­nem Klas­si­ker “Das Hei­li­ge und die Gewalt” beschrie­ben hat: am Anfang der Gesell­schaft ste­he immer die vom ein­zel­nen auf ein sakra­les Opfer, einen Sün­den­bock abge­lenk­te Gewalt, die sol­cher­ma­ßen als kol­lek­ti­ve Grün­dungs- und Eini­gungs­ge­walt wirkt.

Wenn die BRD-Nazis mit fins­te­ren Mie­nen, stramm “faschis­ti­schem” Bür­ger­schreck-Look und Lands­knecht­strom­meln mal wie­der eine Lynch­mob-Show in Sze­ne set­zen, um die Tötung von anony­men “Kin­der­schän­dern” zu for­dern, und sich dabei als Ret­ter und Rächer der Unschul­di­gen auf­spie­len, dann muß ich immer an den Klas­si­ker “M – Eine Stadt sucht einen Mör­der” von Fritz Lang den­ken. Gedreht 1931, am Vor­abend der NS-Herr­schaft, als Reflex auf die Pro­zes­se um Haar­mann, Kür­ten und ande­re Seri­en­mör­der der Wei­ma­rer Repu­blik, ist die­ser Film nach bei­nah 80 Jah­ren immer noch aktu­ell, ja bei­nah zeit­los geblie­ben. Die Phä­no­me­ne, die er beschreibt, und die Fra­gen, die er auf­wirft, tau­chen zuver­läs­sig immer wie­der auf, wenn sinn­lo­se, patho­lo­gi­sche Blut­ta­ten die Gesell­schaft erschüt­tern, beson­ders, wenn sie sich gegen ihre schwächs­ten Glie­der richten.

Lang zeigt, wie die Unta­ten eines Kin­der­mör­ders eine Stadt (ein­deu­tig, aber nie genannt: Ber­lin) in Atem hal­ten und in die Hys­te­rie und Para­noia trei­ben. Der denk­wür­digs­te Genie­streich des Films ist sei­ne gewal­ti­ge Schluß­se­quenz. Die orga­ni­sier­te Unter­welt der Stadt hat die im Zuge der Fahn­dung nach dem Kin­der­mör­der inten­si­vier­ten Poli­zei­raz­zi­en satt; sie schafft es, den Täter (Peter Lor­re, einer der geni­als­ten Schau­spie­ler aller Zei­ten)  zu kid­nap­pen und vor eine Art Volks­tri­bu­nal zu stel­len, wo über des­sen Leben und Tod ent­schie­den wer­den soll.  Nun kommt es zu der gro­tes­ken Situa­ti­on, daß aus­ge­rech­net die Raub­mör­der, Die­be, Ein­bre­cher, Schie­ber und Pro­sti­tu­ier­ten der Stadt dar­über debat­tie­ren, ob die­ser Schäd­ling der Gesell­schaft aus­ge­merzt wer­den darf oder nicht.

Deren Anfüh­rer, der “Schrän­ker” (Gus­taf Gründ­gens), begrün­det die Not­wen­dig­keit der Unschäd­lich­ma­chung des Täters damit, daß der Staat mit sei­nes­glei­chen zu nach­sich­tig umge­he, ihn vor­aus­sicht­lich wegen man­geln­der geis­ti­ger Zurech­nungs­fä­hig­keit am Leben las­sen wer­de, “und dann brichs­te aus, oder es kommt ne Amnes­tie, und du gehst wie­der fröh­lich auf die klee­nen Kin­der los!”. Sei­ne Argu­men­ta­ti­on und Dik­ti­on ist bei­na­he wört­lich die­sel­be, wie sie auch in den  “Volks­ge­rich­ten” der NPD-Demos gepflegt wird. “Ich kann doch nichts dafür!!” schreit der Mör­der mit schril­ler Stim­me in einem der schreck­lichs­ten, schau­rigs­ten Momen­te der Film­ge­schich­te. Als sich  schließ­lich die Meu­te auf ihn stür­zen will, greift in letz­ter Sekun­de die Poli­zei ein – der Staat über­nimmt nun sei­ne Ver­ur­tei­lung, und, wie ange­deu­tet wird, sei­ne Hinrichtung.

 

Ich sage nun nicht, daß die NPD-Demons­tran­ten Ver­bre­cher wären; sie wer­den von der Gesell­schaft aber als sol­che – oder zumin­dest als ethisch schwer Defek­te – wahr­ge­nom­men und gebrand­markt, und sie selbst spie­len in die­sem Koor­di­na­ten­sys­tem all­zu wil­lig und blind­lings die Rol­le des bösen Buben und der “sata­ni­schen” Gegen­fi­gur, bis zu einem Grad, in dem sie sich ihre Posi­tio­nie­run­gen, ja selbst ihren Habi­tus gera­de­zu ex nega­tivo dik­tie­ren las­sen. Was moti­viert die­se jun­gen Män­ner, auf die Stra­ße zu gehen, sich in die Scho­cker-Pose eines “gna­den­lo­sen” Pogrom­hel­den zu wer­fen und die phy­si­sche Aus­mer­zung von jenen zu for­dern, die als wohl ein­zi­ge in der ethi­schen Wer­te­ska­la der links­li­be­ra­len Gesell­schaft noch unter den “Nazis” ste­hen? Ich ver­ste­he es immer noch nicht so recht. Eine authen­ti­sche Sor­ge um etwa­ige gefähr­de­te Kin­der ist es bestimmt nicht; und wenn, dann wäre eine sol­che Reak­ti­on eher ein Zei­chen von Unrei­fe und Hysterie.

Was da auch immer psy­cho­lo­gisch dahin­ter­ste­hen mag: poli­tisch ist die Kin­der­schän­der-Obses­si­on, mehr noch als die “Holo­caust­leug­nung”, eine rei­ne Ver­lie­rer­num­mer, die den Out­si­der­sta­tus der NPD noch zemen­tiert und den Lin­ken und den Berufs­kämp­fern “gegen Rechts” einen will­kom­me­nen Popanz lie­fert, um ihr Busi­ness wei­ter zu rechtfertigen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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