… doch am Ende wars wohl eine Art Zeitmaschine, die uns da als „Leihwagen” vermietet wurde. Geheimtip, sowas! Was wir mitbrachten von diesen zwei Tagen, ist ein Ur-Erlebnis: sich selbst, hierzulande gern in die Kategorie der Erzkonservativen eingestuft, einmal als progressive Kraft wahrzunehmen. Ein denkwürdiges Erlebnis.
Sicher, wir waren schon häufig a) in Österreich und b) unter Verbindungsstudenten. Das sind Welten, die wir kennen und über die wir urteilen können. Aber gerade da waren wir noch nicht: in Linz, seines Zeichens europäische Kulturhauptstadt 2009.
Hitler ist in Linz aufgewachsen und wollte es später zu einem der Pfeiler des Reichs machen mit megalomanen Bauten, einem Adolf-Hitler-Hotel und dergleichen. Draus wurde nichts, aber im Linzer Schloßmuseum erinnert man nun per Ausstellung an die „Kulturhauptstadt des Führers”. Hier ahnten wir schon, daß wir uns in einer Art zeitversetztem Paralleluniversum befinden. Ob es das auch im Hier & Jetzt Bundesdeutschlands gibt? Präsentation, historische Schau ohne Hysterie? Daß beispielsweise die sogenannte entartete quer durcheinander mit NS-Kunst präsentiert wird, daß erstgenannte nicht mit deutlichen Anführungszeichen apostrophiert wird und letztere nicht in ihrem schmählichen Kitsch, sondern gefällig daherkommt? So waren wir damals, dieses beinahe neutral gehaltene Bekenntnis zieht sich durch die Ausstellung, und nicht: So waren die.
Wir sind in Anderland. Noch exotischer – auf eine bezaubernde Weise – war die Stimmung des Abends. Kubitschek war geladen, die Festrede anläßlich des großen Kommers zu halten, den die hiesige Burschenschaft Arminia Czernowitz veranstaltete. Ein riesiger, prunkvoll geschmückter Saal, feierlich kostümierte Verbindungsmänner, angereist aus allen Teilen Anderlands, daneben honorige Gäste, die außer Uniformen ganze Reihungen von Titeln mit sich trugen, wie’s eben anderländische Sitte ist: Herr Landratsabgeordneter Magister Brigadier soundso, Herr Diplom-Ingenieur Graf sonstwie. Unsereins, dermaßen aus der Zeit gefallen, trug sich etliche höchst freundlich vorgetragene Rügen ein: Ob man den eigenen, fehlenden Titel in Deutschland vergessen habe? Ob es sich zieme, die Dame sich ohne Hilfe des Mantels entledigen zu lassen? Daß der Herr (aus Prinzip) über keine Krawatte verfüge und (aus Zufall) über kein Jackett, wurde genauso zur Kenntnis genommen wie das – natürlich aus Zufall – vergessene Dirndl der Dame. Aber, wie gesagt, alles höchst charmant.
Meine Güte, war das ein Abend! Gesang, Bier und Wein, Aufmarsch der säbelbewehrten Chargen, formelhafte Ankündigungen, Pathos: Dergleichen kennt, wer je „unter Burschen” war. Aber Achtung – man vergesse nicht, daß wir uns hier in anderer Zeit und an anderem Ort befanden! Was hier fehlte: die Steifheit, das Aufgesetzte, die offenkundige Hohlheit des Pathos, das geradezu bewußt Reaktionäre. Überschminkte Damen, schwer betrunkene Herren, die ab Mitternacht mit loser Zunge gewagte Lieder anstimmen – Fehlanzeige in Anderland. Wohlanständig das alles hier, unverkniffen – freiheitlich halt. In einer obskuren Vergangenheit gelandet waren wir aber offensichtlich nicht – daß wirklich jeder vor sich auf dem Tisch seinen blackberry liegen hatte, mußte doch heißen, daß wir nicht unter netten Vorgestrigen gelandet waren. Gleiche Zeit, anderer Ort.
Und der Brigadier Magister (mein Tischnachbar) brachte es mit einer kurzen Bemerkung auf den Punkt: Ihr Deutschen, sagte er, seid uns theoretisch überlegen (Kubitschek hatte seinen Vortrag gerade beendet), aber in der Praxis sind wir Euch meilenweit voraus.
Oder – hinterher, glücklicherweise? Ach! Felix Austria!