Theoretisch könnte man die Homosexuellen-Frage an dieser Stelle stehen lassen, zumal die einst zentrale Forderung der Homosexuellenbewegung nach Entkriminalisierung seit den Entschärfungen des berüchtigten Paragraphen 175 in den Jahren 1969 und 1973 schon geraume Zeit erfüllt worden ist. Daß die Abschaffung dieses Relikts aus Kaiser Wilhelms Zeiten gerechtfertigt war, ist heute Konsens. Selbst unter den Konservativen gibt es nur wenige, die wie Gabriele Kuby Homosexualität für grundsätzlich ethisch problematisch und pathologisch halten. Diese Sichtweise blendet aus, daß hier nicht bloß eine abweichende Form der Triebabfuhr, sondern auch ein authentischer Eros am Werk ist, wofür sich als klassische Zeugen immerhin ein Platon, ein Shakespeare oder ein Michelangelo aufrufen lassen.
Mit der Entkriminalisierung stand freilich weiterhin die Frage nach der gesellschaftlichen Akzeptanz offen, und diese ist der Punkt, an dem Homosexualität eine fortgesetzte politische Problematik mit sich bringt: dank der zahlreichen Handreichungen staatlich subventionierter Institutionen (mit Tips zum Coming-Out u.ä.) läßt sich heute von einer soliden Übererfüllung der alten Schwulenprogrammatik sprechen.
Wenn nun der Bürgermeister von Berlin (SPD) anläßlich seines Amtsantritts öffentlich verkündet »Ich bin schwul, und das ist gut so«, dann ist das ein gezielter politischer Akt, der weit über das private »Outing« hinausweist. Ebenso ist es Teil einer umfassenderen Strategie, wenn gegenüber dem Berliner Holocaust-Mahnmal zum Gedenken an die im Dritten Reich verfolgten Homosexuellen ein großer schwarzer Quader mit einem eingebautem Guckkasten aufgestellt wird, in dem in einer Dauerschleife ein Paar sich küssender Männer gezeigt wird.
Mindestens seit den sechziger Jahren steht die Homosexualität einschlägig im Dienst des Kulturkampfes der Linken – obwohl sie durchaus nicht deren Vorrecht ist, denkt man an Dichter wie Stefan George und Yukio Mishima, publizistische Pioniere wie Adolf Brand und Hans Blüher, Nationalsozialisten wie Ernst Röhm und seinen Epigonen Michael Kühnen oder Rechtspopulisten wie (vermutlich) Jörg Haider und Pim Fortuyn. Es genügte der Schwulenbewegung ab einem bestimmten Punkt nicht mehr, Toleranz für eine Minderheit einzufordern, die abweichende Sexualität wurde zum Hebel, um die Legitimität der Werte der Mehrheit, ja deren sexuelle Identität selbst in Frage zu stellen. Dies konnte freilich nur verfangen, weil die Argumentation der »Gender-Bender« ein gutes Stück Wahrheit auf ihrer Seite hat: tatsächlich ist die Sexualforschung heute kaum über Freud, Weininger, Blüher, Hirschfeld oder Kinsey hinausgekommen, die allesamt in verschiedenen Fassungen eine prinzipielle, latente Bisexualität des Menschen postulierten. Auf dieser Grundlage basieren letztlich auch jene heute stark bekämpften Theorien, die im scharfen Gegensatz zu den Schwulenlobbys Homosexualität als nicht wünschenswerte, weil primär sozialisationstechnisch erworbene Fehlprägung betrachten: ex nihilo nihil fit.
»Homophobie« wurde neben »Rassismus« und »Sexismus« zu einem der Grundpfeiler der Antidiskriminierungsideologie, während die bunte Schar der »Queers« zum Ersatz-Proletariat und revolutionären Subjekt erklärt und in Frontstellung gegen die »Heteronormativität« gebracht wurde. Die ehemals Ausgegrenzten sind also von der Defensive in die Offensive übergegangen. Als partieller Antrieb dieser Entwicklung ist unschwer ein gerüttelt Maß an Ressentiment auszumachen, etwa in der linksfeministischen Frauenbewegung und ihrer Tochterfiliale, dem Gender Mainstreaming, die beide maßgeblich von lesbischen, kinderlosen Frauen angeführt wurden und werden. Der Einfluß dieser Ideologien ist inzwischen so weitreichend, daß sich die Machtverhältnisse umgekehrt haben. Schwulenfeindliche Äußerungen werden von den Exekutiven der Political Correctness mitunter ebenso erbarmungslos geahndet wie etwa »Rassismus«. Wie bei diesem wird auch hier von einem unerfüllbaren, quasi-puritanischen Ideal ausgegangen, dem genauen Gegenstück zu der Vorstellung, man könne Homosexualität durch medizinische Behandlung oder sexualethische »Umpolung« aus der Welt schaffen.
Die Verfälschung des ursprünglich rein psychiatrischen Begriffs »Homophobie « führte zu seiner Anwendung auf schlichtweg jede, noch so milde Form des Befremdens und des Ekels gegenüber sexuell abweichend Ausgerichteten. Stärker noch als beim »Rassismus« kann es hier allerdings kein Entrinnen geben: da Sexualität nun einmal auf (oft sehr komplexen) polaren Spannungen basiert, ist die Abstoßung des unpassenden Pols ebenso unvermeidlich wie die Anziehung des komplementären. Es gibt wohl nur sehr wenige heterosexuelle Männer, die bei der Konfrontation mit homosexueller Erotik kein spontanes Unbehagen empfinden. Eine ähnlich »polare« Reaktion stellt sich bei den meisten Männern auch gegenüber stark effeminierten Geschlechtsgenossen ein, die durchaus nicht immer homosexuell sein müssen – ein instinktiver Widerwille, den sie indessen mit vielen Frauen teilen.
Die Äußerung entsprechender Affekte unterliegt einem öffentlichen Tabu, das freilich im privaten Alltag selten eingehalten wird. Die Folge dieses Drucks ist wie immer eine allgemeine Heuchelei, die nicht selten von den schrilleren Teilen der Szene durch demonstrative Zurschaustellung des Perversen auf die Schmerzgrenze geprüft wird. Hypersexualisierungen und Fetischisierungen verzerren ihr Objekt: die grelle Drag-Queen ist gemessen an der Norm eine ebenso lächerliche, vage höhnische Karikatur des Weiblichen wie ihr Komplementärbild, der muskelbepackte, uniformierte Lederkerl mit seinen grotesk übertriebenen Männlichkeitsattributen. Hier wird die Provokation zum doppelbödigen Spiel: der narzißtischen Inszenierung des eigenen »Andersseins« wird die Beschwerde über die »Homophobie« und das vermeintliche »Spießertum« der sexuellen Mehrheit zur Seite gestellt.
Wie sämtliche Antidiskriminierungs-Axiome basiert das Konzept der »Homophobie« auf einer irrigen Vorstellung von der Natur des Menschen, in diesem Fall: von der (sexuellen) Natur des Mannes. Camille Paglia bemerkte dazu: »Die Idee, es könnte eine Welt ohne Schwulenfeindlichkeit geben, kann ich nicht nachvollziehen, wenn ich die entflammbare Beschaffenheit der Männlichkeit betrachte. Männlichkeit und die Übergangsphase vom Jungen zum Mann sind etwas Gefährliches. Alle Proteste der Welt werden die Schwulenfeindlichkeit nicht verhindern, solange die schwulen Männer nicht verstehen, was deren Wurzel ist. Und zwar nicht einfach Homophobie, sondern die Natur der Männlichkeit selbst, und ihre Gefährdung in einer Welt, die von Frauen beherrscht wird. Es gibt reale und legitime Ursachen für die Angst, die viele Männer vor dem Ausdruck des Homosexuellen haben.«
Dies sind unausrottbare Gegebenheiten. Trotz aller Anstrengungen der Gender-Ideologen sind Jungen und Männer nicht davon abzubringen, »schwul« als Schimpf- oder Spottwort zu benutzen. Bei näherer Betrachtung ist es in erster Linie nicht die Homosexualität an sich, die als bedrohlich, verächtlich oder lächerlich empfunden wird, sondern vor allem die damit konnotierte Verweiblichung des Mannes, die als Kennzeichen psychischer und physischer Regression gilt. Die verachtete »Schwuchtel« meint den weichlichen, passiven, unterwürfigen, feigen, affektierten, emotional unkontrollierten Mann, der sich körperlich nicht verteidigen kann. Nicht nur in der embryologischen Entwicklung geht das Weibliche dem Männlichen voran, auch die kindliche Welt steht primär unter der Herrschaft der Frau. Schon die Psychoanalyse wies auf den Prozeß der psychischen Abnabelung von der Mutter hin, die für ein männliches Kind ganz andere Identitätskrisen birgt als für ein weibliches. Das spiegelt sich auch auf der äußeren Ebene: hohe Stimmen, zierliche Körper, runde Formen und bartlose Gesichter gehen dem späteren Habitus und den sekundären Geschlechtsmerkmalen des Mannes voran. Der seelische Einschnitt reicht in der Regel tiefer als bei der Entwicklung von Mädchen. Folgerichtig waren die grausamen Initiationsrituale primitiver Gesellschaften in erster Linie der männlichen Jugend zugedacht. Ein Widerhall davon findet sich noch heute in der rauhen Sprache militärischer Ausbildner, deren Ziel letztlich die Ausmerzung des »Muttersöhnchenhaften« der ihnen anvertrauten jungen Männer ist.
Damit wird auch das klassische Postulat des Zusammenhangs zwischen Dekadenz und Verweiblichung plausibel. »In Spätphasen befindet sich die Männlichkeit stets auf dem Rückzug«, bemerkte Paglia. Mario Praz hat in seiner Studie Liebe, Tod und Teufel gezeigt, wie in der Kunst und Literatur des späten 19. Jahrhunderts der Typus des Androgynen, – asexuell, morbid, überfeinert und unfruchtbar –, zum verbreiteten Topos wurde. Anfang des 21. Jahrhunderts, in Zeiten von »Metrosexualität« und Gender Mainstreaming, taucht dieser Typus in veränderter Form erneut als Ideal auf. Die politische Beschlagnahme der Homosexualität spielt heute wie alle radikalegalitären Bewegungen offensiv der Dekadenz des Westens in die Hände, also der Unterminierung seiner Tradition, seiner Identität und seines Selbstbehauptungswillens. Mit dem ironischen Ergebnis, daß sowohl Feministinnen als auch Schwule blindlings daran mitarbeiten, sich den Ast abzusägen, auf dem sie selbst sitzen, indem sie der Islamisierung des Kontinents Vorschub leisten. »Nach uns der grausame Gott«, schrieb William Butler Yeats im Rückblick auf die ermüdete, überzüchtete Kultur des Fin de Siècle.
Dieser Schlagseite zur Dekadenz war sich auch Hans Blüher bewußt, als er 1913 postulierte, es sei »die Zeit vorüber, wo die homosexuelle Frage den Homosexuellen allein gehörte und nur sie betraf«. Denn auch für Blüher war die Homosexualität ein Politikum, und zwar ein kaum zu Unterschätzendes. Der erst vierundzwanzigjährige umstrittene Deuter der »Wandervogel«-Bewegung hatte bereits im Kern seine berühmte Theorie ausformuliert, wonach die »standfesten Formen der Homosexualität mit der jedem Menschen begegnenden, der ganzen Kultur dauernd immanenten Nuancierungen« verknüpft seien. Ausgehend von einer allgemeinen Bisexualität des Menschen entwickelte er einen hochdifferenzierten Eros-Begriff, mit dem er aufzuzeigen versuchte, daß der Staat im Gegensatz zur heterosexuell begründeten Familie auf den im weiteren wie im engeren Sinne homoerotischen Bindekräften des »Männerbundes« beruhte. In dem Aufsatz »Die drei Grundformen der sexuellen Inversion« siedelte er, gewiß nicht zufällig, den absolut »Invertierten« innerhalb des Spektrums der sexuellen Neigung ganz »links« an, den absolut Heterosexuellen ganz »rechts«. Nichtsdestotrotz entwickelte sich Blühers Konzept des Männerbundes besonders nach dem 1. Weltkrieg zu einer gänzlich konträr zum heutigen Trend stehenden, dezidiert »rechten« Politisierung der Homosexualität: der den Männerbund tragende »Invertierte« stand in diesem Konzept keineswegs für die Verweiblichung des Mannes, sondern war vielmehr der Gralswächter der unkorrumpierten Männlichkeit, im erweiterten Sinne des Staates überhaupt und sogar des preußischen Königtums, das Blüher gegen die als »feminin« aufgefaßte Demokratie verteidigte.
Blüher hielt die Frage, ob ein Mensch »dem eigenen« oder »dem andern Geschlechte verfallen ist«, für entscheidender, als die tatsächliche sexuelle Betätigung: »Nicht Form und Art zweier einander gegenüberstehender erogener Zonen bilden das Charakteristikum für die Entscheidung heterosexuellhomosexuell, sondern allein die Imago des Geschlechts«, also eine Art platonisches geschlechtliches Urbild, das dem Begehren vorangeht. In Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft brachte Blüher diese »Imago« in Verbindung mit dem »Bild des Helden« als zentraler innerer Sehnsucht des Mannes, die sich schon früh in der »Kriegsspiel- und Indianerperiode« äußert und später zu seinem entscheidenden ethischen Antrieb wird.
Es handelt sich hierbei letztlich um genau jene archetypische heroische Männlichkeit, die heute als obsolet gilt, politisch unter Beschuß und Verdacht steht, als Jungentraum ausgegendert werden soll, und deren tradierte Ikonographie allenfalls als Film- und Comicsfigur (wie in dem Film »300«, der einen hypermaskulinen Leonidas gegen einen tuntig-bizarren Xerxes antreten ließ) oder eben in der unverbindlichen bis subversiven Karikatur des schwulen Fetisch geduldet wird. Protest gegen diese Demontage kommt nun nicht nur aus den Reihen der stetig anwachsenden »Männerbewegung«, sondern auch von Homosexuellen, die mit den im Vordergrund stehenden Lobbys nichts anfangen können. In jüngster Zeit formulierte der 1974 geborene homosexuelle Schriftsteller (und Bodybuilder) Jack Donovan, alias Jack Malebranche, diesen Einspruch am entschiedensten. Seine Polemik Androphilia: A Manifesto trug den Untertitel: »Rejecting the Gay Identity, Reclaiming Masculinity«, also etwa: »Gegen die schwule Identität, für die Wiedereroberung des Männlichen«. Für diesen nachgeborenen Blüherschen »Männerhelden« steht der Begriff »gay« (schwul) für ein politisches, soziales und ästhetisches Milieu, von dem er sich scharf abgegrenzt wissen will. An dessen Stelle setzt er den Alternativbegriff der »Androphilie«. »Ich fühle mich nicht nur zu erwachsenen Männern hingezogen«, erklärte Donovan in einem Interview, »sondern zu dem Ausdruck des Archetyps MANN überhaupt. Und die Werte und Qualitäten, die mit der archetypischen Männlichkeit assoziiert werden, stehen in einer gegensätzlichen Polarität zu den Werten und der zentralen Kultur der schwulen Szene.« Dementsprechend attackiert Donovan die »Schwulenvertretungs-Industrie« sowie die »Homo-Ehe«, und kritisiert die Allianz der Homosexuellen mit dem Feminismus als »paradox«, da männerliebende Männer sich hier mit den schlimmsten Feinden der Männlichkeit verbündet hätten. Donovan ist inzwischen regelmäßiger Kolumnist bei dem konservativen US-amerikanischen Netzmagazin Alternative Right und dem antifeministischen Blog The Spearhead, wo er für »paläomaskuline und patriarchale Werte« eintritt, und Homosexuelle auffordert, sich »in den Dienst der westlichen Zivilisation zu stellen« statt sich an ihrer Zerstörung durch die Linken und Liberalen zu beteiligen.