Birth or not

Seit einiger Zeit lassen “Pete und Alisha”, ein Paar aus den USA, auf ihrer Netzseite www.birthornot.com die Netzöffentlichkeit darüber abstimmen,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

ob sie ihr gemein­sa­mes, allem Anschein nach gesun­des Kind abtrei­ben las­sen sol­len oder nicht. Weil die­se furcht­bar ori­gi­nel­le Idee von hun­der­ten Mul­ti­pli­ka­to­ren ver­brei­tet wur­de, haben sich mitt­ler­wei­le über andert­halb Mil­lio­nen user zur Abga­be ihre Stim­me hin­rei­ßen lassen.

Bis dato plä­die­ren 1.220 000 für einen Abbruch und knapp 400.000 für eine Geburt des Kin­des; dabei nimmt die Quo­te der Abtrei­bungs­be­für­wor­ter seit Beginn ste­tig zu. Die Abstim­mung endet am 9. Dezem­ber, weil ab dann eine Abtrei­bung nicht mehr legal wäre. Die bei­den Erzeu­ger tun naiv so, als ver­hül­fen sie mit die­ser Mas­sen­be­fra­gung dem demo­kra­ti­schen Prin­zip zu einer end­lich mal rea­len Geltung:

Voting is such an inte­gral part of the Ame­ri­can iden­ti­ty. We vote on ever­y­thing. We vote on things ran­ging from the best sin­ger on Ame­ri­can Idol to who the next lea­der of the free world will be. Wouldn’t it be nice to voice your opi­ni­on and have it actual­ly make a dif­fe­rence in the real world? Why not vote on whe­ther to con­ti­nue or abort an actu­al pregnan­cy? Your vote can help a real cou­ple to make a decis­i­on on this issue.

Müßig, sich wei­ter über die­se Akti­on aus­zu­las­sen. Ob das Pär­chen, das bereits zwei Kin­der durch Fehl­ge­bur­ten ver­lo­ren hat, „auf­rüt­teln“ will (und wenn, in wel­chem Sin­ne?) oder ein­fach nur ein paar Tage welt­wei­te Auf­merk­sam­keit genie­ßen will – es ist rela­tiv egal.

Ach ja, „rela­tiv“ ist gera­de in die­sen „abso­lu­ten“ Fra­gen über Leben oder Tod so vie­les. Was aus mei­ner Sicht zur letz­ten Woche toben­den Prä­im­plan­ta­ti­ons­dia­gnos­tik zu sagen wäre, hat mir bereits Baal Mül­ler aus dem Mund genom­men: Da wur­de teils vehe­ment für das Lebens­recht  ext­rau­te­ri­ner Zel­len gestrit­ten, wäh­rend die “nor­ma­le”, täg­lich hun­dert­fach durch­ge­führ­te Abtrei­bung selbst für dezi­dier­te Geg­ner der PID poli­tisch nicht auf der Tages­ord­nung steht. Man darf getrost von einer Tabui­sie­rung der Sach­la­ge spre­chen. In all den Maga­zi­nen und Frau­en­zeit­schrif­ten, die sonst jedes “Tabu” bre­chen, wird das The­ma gemie­den. Zur Spra­che kommt es allen­falls, wo es um das noch durch­zu­set­zen­de welt­wei­te Frau­en­recht auf hygie­ni­schen, siche­ren und kos­ten­güns­ti­gen Schwan­ger­schafts­ab­bruch geht.

„Rela­tiv“ gese­hen steht Deutsch­land bei der Tötung von Embryo­nen ja gar nicht schlecht da, selbst, wenn man annimmt – wofür es hand­fes­te Indi­zi­en gibt -, daß die offi­zi­el­le Zahl eine geschön­te ist : Wir haben kon­stant um die 8 gemel­de­te Abbrü­che jähr­lich pro 1000 Frau­en im „gebär­fä­hi­gen Alter“ (die soge­nann­te Abtrei­bungs­quo­te). Die abso­lu­ten Gebur­ten­zah­len (665.000 im Vor­jahr) gehen dabei aller­dings jähr­lich stär­ker zurück als die Abtrei­bungs­zah­len (offi­zi­ell 111 000).

Inter­es­sant ist, daß die embryo­na­len Über­le­bens­chan­cen in eini­gen Bun­des­län­dern (Rhein­land-Pfalz, Bay­ern, BaWü, Nie­der­sach­sen, Schles­wig-Hol­stein) signi­fi­kant höher sind als etwa in Ber­lin oder Bre­men. In Bay­ern kamen auf 1000 lebens­ge­bo­re­ne Kin­der rund 124 Abge­trie­be­ne, in Ber­lin waren es 307 – Zah­len von 2007.

Allein die Schweiz und die bei­den ein­zig ver­blie­be­nen Län­der mit einer restrik­ti­ven Abtrei­bungs­re­ge­lung, Polen und Irland haben vita­le­re Quo­ten. In Ruß­land wer­den Jahr für Jahr deut­lich mehr Kin­der abge­trie­ben als gebo­ren, in Est­land, Lett­land, Rumä­ni­en (hier­zu gab vor Jah­ren einen der ein­drück­li­che Fil­me, die ich ken­ne) und Bul­ga­ri­en sieht es ähn­lich aus, selbst der Wohl­fahrts­staat Schwe­den weist eine Abtrei­bungs­quo­te von über 21 auf, kaum nied­ri­ger ist sie in den USA und nur gering­fü­gig bes­ser in Frank­reich (17), Nor­we­gen (16) und Spa­ni­en (16).

Kürz­lich las und rezen­sier­te ich das auto­bio­gra­phi­sche Buch der Schrift­stel­le­rin Ire­ne Vilar, die zwi­schen ihrem 18. und 34. Lebens­jahr 15 Abtrei­bun­gen hat vor­neh­men las­sen. Nun hat sie zwei Töch­ter und berich­tet ein­dring­lich über die schmerz­haf­ten Jah­re ihrer Selbst­ver­leug­nung. Vilar wird von nun Femi­nis­tin­nen ange­fein­det – wegen ihrer inni­gen Umkehr – , noch mehr jedoch von Ange­hö­ri­gen der ame­ri­ka­ni­schen Pro-Life-Bewe­gung und „aus dem Volk her­aus“, von Leu­ten also, die grund­sätz­lich womög­lich „pro choice“ ein­ge­stellt sind, aber fin­den, hier habe eine deut­lich die Gren­zen des Ver­ant­wort­ba­ren und Erträg­li­chen über­schrit­ten. (Wo, bei wel­cher Zahl an Abbrü­chen, läge die wohl?) Die Schmä­hun­gen, mit denen Vilar im Netz für ihr trau­ri­ges Bekennt­nis über­zo­gen wird, sind nie­der­träch­tig und wohl­feil, sie soll bereits Mord­dro­hun­gen erhal­ten haben. Das ist auch eine Frucht des Kamp­fes, den die Lebens­recht-Bewe­gung in den USA führt. Ich kanns Vilar nicht ver­den­ken, daß sie trotz aller Reue von Anfang an Distanz zu die­sen haßer­füll­ten, bis­wei­len bigot­ten Grup­pen gehal­ten hat, denen die Nöte unge­wollt schwan­ge­rer Frau­en nichts gelten.

Daß wir in Deutsch­land eine zwar immer noch bedrü­cken­de, aber inter­na­tio­nal güns­ti­ge Zahl an Abbrü­chen haben (fest­hal­ten muß man ja, daß Frau­en zu allen Zei­ten abge­trie­ben haben, auch jen­seits der Lega­li­tät und ohne Kos­ten­über­nah­me durch den Staat), ist – neben einer ver­gleichs­wei­se tief­ge­hen­den Vor­stel­lung des Begriffs Men­schen­wür­de – vor allem zwei­er­lei zu ver­dan­ken: Ein­mal einer Ver­hü­tungs­men­ta­li­tät, die man als „typisch deutsch“ bezeich­nen wird dür­fen: zuver­läs­sig, ver­ant­wor­tungs­be­wußt, im gan­zen lie­ber auf „Num­mer Sicher“ denn auf roman­ti­sche Spon­ta­nei­tät setzend.

Zum ande­ren ist die Arbeit, die die Lebens­rech­t­or­ga­ni­sa­tio­nen hier leis­ten, gar nicht hoch genug ein­zu­schät­zen! Pole­mi­ken gegen Frau­en, die kei­nen ande­ren Aus­weg als Abtrei­bung sehen oder über­haupt jed­we­des aggres­si­ve Vor­ge­hen fin­det man hier nicht. Wie­vie­le Leben durch die ein­fühl­sa­me, hilf­rei­che und, ja, auf­op­fern­de Arbeit die­ser Frau­en bereits geret­tet wur­den, läßt sich schwer bezif­fern. Der oft ket­ze­risch geäu­ßer­te Vor­wurf, die Lebens­recht­ler inter­es­sier­ten sich nur für den Embryo und nicht für die aus­tra­gen­de und spä­ter­hin ver­ant­wort­li­che Frau, geht völ­lig an der Rea­li­tät vor­bei. Für beson­ders lobens­wert und unbe­dingt unter­stüt­zens­wert hal­te ich das Pro­jekt 1000plus, das die Orga­ni­sa­tio­nen Pro femi­na e.V., Stif­tung Ja zum Leben und Die BIRKE e.V. gemein­sam initi­iert haben. Ange­sichts der mas­siv gestie­ge­nen Nach­fra­ge nach Bera­tung und Hil­fe wol­len die­se Initia­ti­ven ihr Bera­tungs­netz bun­des­weit so aus­bau­en, daß sie jähr­lich min­des­tens 1000 Schwan­ge­re in Kon­flikt­si­tua­tio­nen unter­stüt­zen kön­nen. 2010 haben allein die Online-Bera­te­rin­nen 700 Frau­en nach Kräf­ten zu hel­fen ver­such­ten. Nach eige­nen Anga­ben ent­schei­den sich um 80% der unge­wollt Schwan­ge­ren nach die­sen indi­vi­du­el­len Hilfs­an­ge­bo­ten für ihr Kind. Aus­führ­lich und nach­voll­zieh­bar lis­ten die 1000­plus-Frau­en nun auf, wie sich die 84.000 Euro monat­lich zusam­men­set­zen, die das mitt­ler­wei­le weit­ge­spann­te Hilfs­werk benö­tigt, um die anvi­sier­ten 1000 Schwan­ge­ren jähr­lich zu errei­chen. Die Fir­ma HiPP hat nun 1000 Baby­fla­schen gespons­ort, damit Bot­schaf­ter des Anlie­gens die­se als Spen­den­do­sen umwan­deln, auch Prof. Claus Hipp sam­melt per­sön­lich damit für 1000plus. Das Kon­zept von 1000plus mag auch des­halb so über­zeu­gend sein, weil sich die­ses Pro­jekt so hand­fest, das heißt zeit­ge­mäß und unver­kitscht, den Schwan­ge­ren im Kon­flikt annimmt. Mei­ne vor­ad­vent­li­che Tat jeden­falls war, eine Ver­eins­mit­glied­schaft zu kün­di­gen und das Geld als monat­li­che Klein- Spen­de zu 1000plus umzuleiten.

Hier nach­tun!

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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