Netz und Dreizack

PDF der Druckfassung aus Sezession 72 / Juni 2016

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Ein Netz bie­tet vie­le Mög­lich­kei­ten und hat eben­so vie­le Tücken. So, wie man sei­ne Unsicht­bar­keit aus­nutzt, um ahnungs­lo­se Geschöp­fe, vor allem Vögel und Fische, zu fan­gen, so leicht kann man sich selbst dar­in ver­hed­dern. Im Alten Rom war das der Aus­gangs­punkt für eine unge­wöhn­li­che Duell­si­tua­ti­on. Bei Gla­dia­to­ren­kämp­fen wur­de ein Mann, der ledig­lich mit einem Wurf­netz und einem Drei­zack bewaff­net war, der Retia­ri­us, einem klas­sisch mit Schild und Schwert bewaff­ne­ten Geg­ner gegen­über­ge­stellt. Der Sinn die­ser Paa­run­gen war es, den Zuschau­er durch einen mög­lichst inter­es­san­ten Kampf zu unter­hal­ten. Gelang es dem Retia­ri­us, den Geg­ner im Netz zu fan­gen und damit zumin­dest kurz­zei­tig bewe­gungs­un­fä­hig zu machen, hat­te er eine rea­lis­ti­sche Chan­ce, ihn zu besie­gen. Ver­hed­der­te er sich selbst oder ver­fehl­te mit sei­nem Netz das Ziel, ging es für ihn in der Regel übel aus.

Die­se Dop­pel­ge­sich­tig­keit des Net­zes setzt sich bis in die Gegen­wart fort und ist so etwas wie ein ewi­ges Gleich­nis dafür, daß nicht die Din­ge selbst, son­dern der Gebrauch der Din­ge über ihren Wert ent­schei­det. Es sei nur an Jesus erin­nert, der den nach erfolg­lo­sem Fisch­zug Net­ze rei­ni­gen­den Petrus noch ein­mal auf den See hin­aus­schickt und ihm die Net­ze füllt. Dem über­wäl­tig­ten und gläu­bi­gen Petrus gibt Jesus die Wor­te mit auf den Weg: »Fürch­te dich nicht, von nun an wirst du Men­schen fan­gen.« Das Netz, das Petrus jetzt benutzt, ist der Glau­be; er wird zum Men­schen­fi­scher und macht rei­che Beu­te für das Him­mel­reich. Man kann die Gemein­de der Gläu­bi­gen als ver­netzt bezeich­nen (unter­ein­an­der und mit Gott), aber dabei gerät aus dem Blick, daß es hier gar nicht um die Ver­net­zung, son­dern um die Hand­ha­bung des Net­zes geht.

In Zei­ten der vir­tu­el­len »sozia­len Netz­wer­ke« gewinnt die­ser Aspekt eine ganz neue Dimen­si­on. Das Netz ist öffent­lich, wir alle kön­nen uns dar­an betei­li­gen, und vor allem ist es sicht­bar (hier wird die For­de­rung nach Trans­pa­renz, Durch­sich­tig­keit, gleich­sam umge­dreht) und damit nicht geheim. Es wird sug­ge­riert, daß in einem sol­chen Netz­werk ein Hau­fen Gleich­be­rech­tig­te am Wer­ke sei­en und daß es kei­ne Hier­ar­chien oder Auto­ri­tä­ten gebe: Auto­no­me Indi­vi­du­en bas­tel­ten gemein­sam und gleich­be­rech­tigt an der bes­se­ren Welt. Daß es sich dabei um eine Illu­si­on han­delt, soll­te selbst­ver­ständ­lich sein. Allein die Tat­sa­che, daß sich immer wie­der Netz­wer­ker im eige­nen Netz ver­hed­dern, wenn ihnen selbst nicht klar ist, wer alles noch dazu­ge­hört, soll­te bezüg­lich der Beherrsch­bar­keit des Net­zes demü­tig machen.

Der Gedan­ke, daß alles »Netz« sei, ist omni­prä­sent. Wenn kei­nes offen­kun­dig ist, wird eines kon­stru­iert: Wer hängt mit wem über wel­che Kno­ten zusam­men? Auf die­sem Wege läßt sich jedes belie­bi­ge Netz knüp­fen, da über zig Kno­ten irgend­wie jeder mit jedem ver­netzt ist – und sei es nur, daß man die glei­che Zei­tung liest oder jeden Mor­gen die S‑Bahn benutzt.

Der Vor­wurf an den poli­ti­schen Geg­ner lau­tet, er habe ein Netz geknüpft, um dar­in die Ahnungs- oder Wehr­lo­sen zu fan­gen. Man unter­stellt ihm Hin­ter­list. Das Sicht­bar­ma­chen des Net­zes ist daher als Ankla­ge zu ver­ste­hen, die min­des­tens den unlau­te­ren Wett­be­werb mit­tels Öffent­lich­keit aus der Welt schaf­fen will. Und ganz selbst­ver­ständ­lich sucht man sich dabei selbst eines Netz­wer­kes zu bedie­nen, um den Vor­wurf und die Auf­klä­rung über den Geg­ner ent­spre­chend ver­brei­ten zu können.

Aber jen­seits die­ser denun­zia­to­risch gemein­ten Kon­struk­tio­nen und wohl­mei­nen­den Illu­sio­nen gibt es natür­lich Netz­wer­ke, und es hat sie immer gege­ben. Daß man sie nie so genannt hat, ist leicht ein­zu­se­hen, weil es sich auch hier um die Über­nah­me eines eng­li­schen Begriffs han­delt, dem eine dop­pel­zün­gi­ge Kon­no­ta­ti­on anhaf­tet. Wen­det man den Begriff des Netz­wer­kes auf his­to­ri­sche Kon­stel­la­tio­nen an, wird deut­lich, daß es sich dabei zumin­dest um eine Ver­schleie­rung von Tat­sa­chen han­delt. Wel­chen Erkennt­nis­ge­winn hat es, Ernst Jün­ger als Netz­wer­ker zu klas­si­fi­zie­ren, weil er mit der hal­ben Welt in Brief­kon­takt stand?

Und kaum jeman­dem wür­de es ein­fal­len, die Bor­gi­as als gute Netz­wer­ker zu bezeich­nen, obwohl sie in der Lage waren, über Jahr­hun­der­te ein Netz aus Bezie­hun­gen zu knüp­fen, zu pfle­gen und für sich zu nut­zen. Der Vor­stel­lung vom Netz­wer­ker haf­tet doch zu sehr die Illu­si­on der Gleich­heit an, die bei den Bor­gi­as nicht gege­ben war. Hier müß­te man dann eher von der Spin­ne reden, die ein Netz knüpft, das nur ihr nützt und sonst eigent­lich nie­man­dem. Soll­te auch noch jemand anders davon pro­fi­tie­ren, so nur aus dem Grund, weil man nach dem Grund­satz »eine Hand wäscht die ande­re« gezwun­gen war, gemein­sam zu han­deln, wenn kei­ne ande­ren Mit­tel zur Ver­fü­gung standen.

Das alles ist recht banal, und schon der Blick auf die schlich­ten Tat­sa­chen des Lebens lehrt die Grund­sät­ze: Ein Mensch exis­tiert in Bezie­hun­gen und kann ohne die­se kaum sein Leben bewäl­ti­gen. Dabei ist es zunächst gleich­gül­tig, wel­cher Natur die­se Bezie­hun­gen sind, ob es sich um Geschäfts- oder Lie­bes­be­zie­hun­gen han­delt. Wer­den die­se Bezie­hun­gen nach dem Nut­zen sor­tiert, kom­men wir in den Bereich des­sen, was man meint, wenn davon die Rede ist, daß man gut ver­netzt sei. Fami­li­en­ban­de zäh­len nicht. Die sind in der Regel gege­ben, man kann sie pfle­gen oder ver­nach­läs­si­gen, muß sie aber nicht erst knüpfen.

Da der Mensch sei­ne Umwelt sor­tie­ren muß, weil er sonst vor lau­ter Ein­drü­cken nicht weiß, wie er sich ver­hal­ten soll, kann er auch nicht jede Bezie­hung gleich behan­deln. Neben den Nut­zen, den eine Bezie­hung haben kann, also den akti­ven Part, tritt gleich­sam der pas­si­ve: das Ver­trau­en, das da ist, ohne daß es erst gebil­det wur­de (was als sekun­dä­res Moment erst nach einer Hür­de hin­zu­tre­ten kann). Die­ses mag in dem Ruf des ande­ren begrün­det sein, beginnt aber übli­cher­wei­se damit, daß man sei­nes­glei­chen mehr ver­traut als Frem­den, mit denen also auch das Netz­wer­ken deut­lich schwie­ri­ger ist.

Viel­leicht soll­te man dabei nicht unter­schät­zen, daß vie­le Bezie­hun­gen dar­auf beru­hen, daß man  jemand  anders  etwas  schul­det. Und wer mir etwas schul­det, auf den kann ich im Zwei­fel zurück­grei­fen und von ihm einen Gefal­len verlangen.

Will man etwas errei­chen, muß man Bezie­hun­gen knüp­fen. Weil wir es hier mit etwas zu tun haben, das weder anonym noch vir­tu­ell noch demo­kra­tisch funk­tio­niert, ist der Begriff »Netz­werk« unge­eig­net, um es zu beschrei­ben. Abge­se­hen  von  der  Brauch­bar­keit  des  Wor­tes ist eine Welt vol­ler Netz­wer­ker eine Vor­stel­lung, die irgend­wo zwi­schen Geheim­po­li­zei und Manage­ment ange­sie­delt ist. Wer die Welt in die­sem Sin­ne für beschreib­bar hält, will auch, daß sie so ist. Und er wird blind für all die ande­ren Bezie­hun­gen, die es gibt und aus denen im Zwei­fel eine viel grö­ße­re Gefahr für ihn erwächst. Wer nur auf das Netz starrt, über­sieht viel­leicht den Dreizack.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.