Andreas Krause Landt: Mein jüdisches Viertel, meine deutsche Angst

Neben Josef Schüßlburner und Martin Lichtmesz hat Sezession natürlich auch Andreas Krause Landt drei Fragen zu seinem kaplaken-Bändchen „Mein jüdisches Viertel, meine deutsche Angst“ gestellt.

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

Er beschreibt anhand sei­ner eige­nen Fami­li­en­ge­schich­te, wie schwer es für einen Deut­schen ist, ange­mes­sen mit der Ver­gan­gen­heit umzugehen.

Herr Landt, in Ihrem sehr per­sön­li­chen Essay „Mein jüdi­sches Vier­tel, mei­ne deut­sche Angst“ erzäh­len Sie uns, wie Sie erst vor kur­zem von Ihren jüdi­schen Vor­fah­ren erfah­ren haben. Was hat sich seit die­sem Moment für Sie geändert?

Die­se Nach­richt hat mich zunächst erschreckt, weil ich plötz­lich und mit gro­ßer Wucht die bis dahin unbe­wuß­te Fol­ge­rich­tig­keit mei­nes Lebens­we­ges erken­nen muß­te. Schließ­lich hat­te ich mich lan­ge Zeit inten­siv mit Iden­ti­täts­fra­gen beschäf­tigt, im Hin­blick auf Deutsch­tum und Juden­tum, deut­sche Juden und jüdi­sche Deut­sche und im Zusam­men­hang mit der Schuld­fra­ge nach 1945. Vor über zehn Jah­ren sag­te eine gute Freun­din zu mir: „Fehlt nur noch, daß Du Jude bist.“ Der Fami­li­en­na­me mei­nes Vaters, den ich damals schon kann­te, ließ in die­se Rich­tung kei­ne Schlüs­se zu, da sein Juden­tum über sei­ne müt­ter­li­che Linie kam, über die ich vor unse­rer Begeg­nung nichts gewußt habe.

Den jüdi­schen Anteil mei­ner väter­li­chen Fami­lie, zu dem auch die unga­ri­sche Her­kunft mei­ner Groß­el­tern Fröh­lich gehört, sehe ich inzwi­schen als eine Berei­che­rung an, die mich ande­rer­seits nicht auf ein jüdi­sches Leben ver­pflich­tet. Ich bin kein Jude, nach jüdi­schem Gesetz schon gar nicht. Ich hof­fe aber, daß die inten­si­ve Intel­lek­tua­li­tät des säku­la­ren Juden­tums, die ich in mei­ner väter­lich-groß­müt­ter­li­chen Fami­lie sehe, ein wenig auch auf mich abge­färbt hat, ohne daß ich glück­li­cher­wei­se die mit dem Juden­tum ver­bun­de­nen Iden­ti­täts­pro­ble­me (Assi­mi­la­ti­ons­druck und Eman­zi­pa­ti­ons­hoff­nung) mit über­neh­men muß. Mein Wis­sen um den jüdi­schen Anteil wei­tet mei­nen Hori­zont und klärt die Sicht auf mei­ne Her­kunft. Ein Schick­sal, das ich ken­ne, ist leich­ter zu tra­gen als eines, das ich nur dun­kel ahne, und das als dun­kel Geahn­tes oder dumpf Gefühl­tes nicht weni­ger Macht über mein Leben hat, son­dern mehr … Tat­säch­lich füh­le ich mich heu­te nicht schwe­rer, son­dern leichter.

Sie schrei­ben, daß Sie unter der Ver­gan­gen­heit der Deut­schen lei­den. Warum?

Als Fol­ge der Jah­re 1933 bis 1945 spü­re ich in mei­ner müt­ter­li­chen und in mei­ner väter­li­chen Fami­lie ähn­li­che see­li­sche Belas­tun­gen. Wer will bestrei­ten, daß auch vie­le „Täter“ spä­ter unter ihren Taten gelit­ten und unaus­ge­spro­che­nes Leid an ihre Kin­der und Kin­des­kin­der wei­ter­ge­ge­ben haben? Daß ich nicht aus­schließ­lich mit dem „Täter­volk“ iden­ti­fi­ziert bin, öff­net mei­nen Blick auf alle, die bis heu­te direkt oder indi­rekt unter den Ereig­nis­sen der Jah­re 1933 (bzw. 1939) bis 1945 lei­den. Erst vor­ges­tern habe ich erfah­ren, daß mein Groß­va­ter müt­ter­li­cher­seits einen älte­ren Bru­der hat­te, der 1919 an Tuber­ku­lo­se starb. Er war einer mei­ner Großonkel.

Bis heu­te weiß ich nicht, was die Ver­schlos­sen­heit mei­nes Groß­va­ters aus­ge­löst hat, die mich bis in mein eige­nes Erwach­se­nen­da­sein hin­ein belas­te­te – ob es sei­ne Kriegs­teil­nah­me war oder zum Bei­spiel der frü­he Tod sei­nes Bru­ders, der ver­mut­lich eine Fol­ge der schlech­ten Ernäh­rungs­la­ge nach dem Ers­ten Welt­krieg war. Stel­len Sie sich eine kin­der­lo­se, allein­ste­hen­de Frau um die 50 vor, deren hand­werk­lich begab­ter Bru­der arbeits­los im Hau­se der Eltern lebt, eben­falls allein­ste­hend. Alle ihre Vor­fah­ren wur­den aus Schle­si­en bzw. aus Masu­ren ver­trie­ben. Die Eltern die­ses Geschwis­ter­paa­res haben ihr Leben äußer­lich noch gut bewäl­tigt. Daß bei ihren Kin­dern eine bestimm­te Kraft offen­sicht­lich fehlt, hängt nach mei­nem Ver­ständ­nis mit dem Ver­trei­bungs­schick­sal der Vor­fah­ren zusammen.

Es gibt kaum eine Fami­lie in Deutsch­land, die nicht unter dem Zwei­ten Welt­krieg schwer gelit­ten hat, die nicht Ange­hö­ri­ge als Sol­da­ten oder Bom­ben­op­fer ver­lo­ren hat, in der nie­mand ver­trie­ben oder ver­ge­wal­tigt wur­de. Die­ses mas­sen­haf­te Leid teilt sich bis heu­te mit, es wirkt bis heu­te nach. Oft ist es aber bis heu­te nicht betrau­ert wor­den. Es gibt die Ver­schat­tun­gen und Lebens­hem­mun­gen, die auch mein eige­nes Leben und das mei­ner Ver­wand­ten geprägt haben. Die­se Sym­pto­me waren mir lan­ge Zeit uner­klär­lich. Heu­te sehe ich sie als direk­te Kriegs­fol­gen an. Das macht es mög­lich, mit ihnen umzu­ge­hen, bis hin zur Heilung.

Sie sind der Mei­nung, die lau­tes­ten Geg­ner von Hit­ler wür­den hel­fen, sein Werk fort­zu­set­zen. Wie kön­nen wir denn Hit­ler end­gül­tig begra­ben und ihn aus unse­ren Köp­fen herausbekommen?

Den Weg wies bereits Tho­mas Mann in sei­nem Auf­satz „Bru­der Hit­ler“, von dem er spä­ter nichts mehr wis­sen woll­te. Hit­ler ist in der Tat unser „Bru­der“. Hit­ler, das sind wir selbst, das ist das Böse in jedem von uns. Ich sage das in einem anthro­po­lo­gi­schen Sin­ne, nicht im Sin­ne einer Kol­lek­tiv­schuld­the­se, die jeden Deut­schen im Drit­ten Reich zu einem Ver­bre­cher macht. Ich mei­ne also nicht die Tat, son­dern die Fähig­keit zur Tat. Die wer­den wir nicht los, indem wir auf Hit­ler als den ganz Ande­ren zei­gen, von dem wir uns nur zu distan­zie­ren brauch­ten. Denis de Rouge­mont sagt: Der Teu­fel hat uns erst rich­tig in sei­ner Gewalt, wenn wir glau­ben, Hit­ler sei der Teu­fel. Dann kann er mit uns machen, was er will.

Mar­ga­re­te Mit­scher­lich hat schon vor zwan­zig Jah­ren vor­ge­schla­gen, daß man Rechts­ra­di­ka­len gestat­ten möge, um ihre toten Ido­le zu trau­ern. Jeder hat das Recht, ent­täusch­te Hoff­nun­gen und tote Ido­le zu betrau­ern. Trau­er ist ein Men­schen­recht. Eine Bestat­tung Hit­lers wür­fe die­sel­ben Fra­gen auf wie die Bestat­tung von Polin­ei­kes – Anti­go­nes Bru­der, der als Feind The­bens nicht beer­digt wer­den soll­te. Ihn „mit­zu­lie­ben“, bean­sprucht Anti­go­ne. Ihrer For­de­rung nach einem Grab für Polin­ei­kes müs­sen auch wir uns stel­len. Wir kön­nen nicht so tun, als gin­gen uns wegen Hit­lers Unmensch­lich­keit ele­men­ta­re Fra­gen der Mensch­lich­keit nichts mehr an.

Mitt­ler­wei­le spricht es sich zum Glück her­um, daß wir nicht glaub­haft um jeg­li­che Opfer trau­ern kön­nen, wenn wir unse­ren eige­nen Vor­fah­ren die Trau­er ver­sa­gen, weil sie Mit­glie­der der SS oder der NSDAP waren. Vor den Toten muß das mensch­li­che Rich­ten auf­hö­ren. Viel­leicht kommt der Tag, an dem wir Hit­lers Schä­del­res­te aus Mos­kau zurück­be­kom­men und sie irgend­wo in Öster­reich oder in der Bun­des­re­pu­blik in einem schlich­ten Grab bei­set­zen. Im Augen­blick ist das nahe­zu unvor­stell­bar. Aber die Ruhe des toten Hit­ler wür­de auch der Ruhe aller ande­ren Toten die­nen, an denen wir bis heu­te her­um­zer­ren. Wenn wir damit auf­hör­ten, wür­de sich vie­les beru­hi­gen. Ich glau­be, daß zum Bei­spiel auch die Nach­fah­ren der KZ-Opfer dann ein leich­te­res, der Zukunft zuge­wand­te­res Leben hät­ten. Und dar­um geht es.

 

Felix Menzel

Felix Menzel ist Chefredakteur des Schülerblogs blauenarzisse.de.

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