Medienkompetenz für Kinder und ihre Erwachsenen

Sie und ich, wir dürfen uns als womöglich halbgeniale Autodidakten schon mal auf die Schulter klopfen. Ich schreibe Ihnen diesen Text, Sie lesen ihn,...

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

und die­sen Bruch­teil Ihrer und mei­ner Medi­en­kom­pe­tenz haben wir alle­samt – ver­mu­te ich mal – ohne didak­ti­sche Fin­ger­zei­ge, ohne Volks­hoch­schul­kurs und sons­ti­ges coa­ching erworben.

Ganz zu schwei­gen davon, daß wir uns mit einem ver­pflich­ten­den Schul­fach „Moder­ne Medi­en­wel­ten“ her­um­pla­gen hät­ten müs­sen, in dem mei­ne Kin­der nun bei­spiels­wei­se üben, wie man glit­zern­de elek­tro­ni­sche Gruß­kar­ten erstellt. Auch alles ande­re, die all­tags not­wen­di­ge Grund­fä­hig­kei­ten jeden­falls (ein biß­chen Netz­rech­re­che, email-schrei­ben, Kor­rek­tur­pro­gram­me instal­lie­ren) haben wir ganz gut ohne päd­ago­gi­sche Füh­rung hinbekommen.

Ges­tern hat mir (per Brief­post) die Deut­sche Post ver­kün­det, daß sie gera­de in Zusam­men­ar­beit mit der Stif­tung Lesen und unter Schirm­herr­schaft der Bun­des­mi­nis­te­rin Prof. Dr. Annet­te Scha­van „einen lang­fris­ti­gen bil­dungs­po­li­ti­schen Impuls“ gesetzt hat. Näm­lich: das neue Online­por­tal www.clixmix.de. Das Pro­jekt „erfül­le einen gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Bil­dungs­auf­trag, indem Kin­der zu einer kri­ti­schen, ver­ant­wor­tungs­be­wuß­ten Teil­ha­be in einer zuneh­mend digi­ta­len Welt befä­higt wer­den“, sagt Frau Scha­van, und der Herr Krei­bich (Stif­tung Lesen) lobt das „nach­hal­ti­ge Bildungsinvestment“.

Durchs grund­schul­kind­ge­rech­te Online-Pro­gramm füh­ren uns „auf die unter­schied­li­chen kind­li­chen Lern­ty­pen zuge­schnit­te­ne Tier-Cha­rak­te­re” – „von der sach­lich-for­schen­den Schild­krö­te über die sen­si­bel-zurück­hal­ten­de Maus bis hin zum tem­pe­ra­ment­vol­len Affen“ (ein Schelm, wer sich für die­se Äff­chen und Mäus­chen Schü­ler­ty­pen aus dem ech­ten Leben ver­ge­gen­wär­tigt). “Die­se Tier-Ava­tare möch­ten den Kin­dern hel­fen, ihren indi­vi­du­el­len Zugang zu Infor­ma­ti­on und Wis­sens-Inhal­ten zu entwickeln.“

Klin­ge­lin­ge­ling! Ist’s schon der Weih­nachts­mann oder nur Wort­ge­klin­gel, was hier zu uns dringt? Stif­tung Lesen, quo vadis? Gut, schon das Vor­wort der zuge­sand­ten Bro­schü­re hät­te mir klar­ma­chen sol­len, daß ich der fal­sche Ansprech­part­ner für ein sol­ches Ange­bot bin. Weder wer­den unse­re Kin­der von Radio­mu­sik geweckt, noch ver­stau­en sie ihre „Schul­bü­cher im Spon­geb­ob-Ruck­sack“, sie gehen weder „an Pla­kat­wän­den vor­bei zur Schu­le“ noch debat­tie­ren sie „in den Pau­sen das neue Kon­so­len-Spiel“, und kei­nes­falls ruft die „Mama mal kurz auf dem Han­dy“ an oder wer­den „beim Ein­schla­fen Fern­seh­ge­räu­sche aus dem Wohn­zim­mer“ gehört.

Also rei­he ich mich nur pro for­ma ein bei den Eltern, denen es so schwer fällt, mit den „Ver­än­de­run­gen im Tech­nik­be­reich Schritt zu hal­ten.“ Was könn­te ich tun, bevor mir mein Netz­äff­chen ent­glei­tet? Beispielsweise:

„Spie­len Sie ihrem Kind eine Modern-Tal­king-Plat­te vor und erklä­ren (!) Sie, daß die­se Musik von DSDS-Dau­er-Juror Boh­len stammt.“

„Erin­nern Sie sich, was sie damals in den Medi­en gese­hen und gefun­den haben, und fra­gen Sie Ihr Kind, was es in „sei­nen“ Medi­en sucht und sieht.“

„Wel­ches Com­pu­ter­spiel spielt ihr Kind gera­de beson­ders gern?“

Kei­ne Fra­ge: Wer hän­de­rin­gend nach Gesprächs­in­hal­ten mit sei­nen Kin­dern sucht, wird hier fün­dig. Und zumin­dest die Tere­sa, 8 Jah­re, 3. Klas­se, fin­det Clixmix

„so cool, da kann man spie­len und tol­le Sachen erfah­ren, die man sonst nicht weiß.“

Mei­ne eige­nen Kin­der habe ich das coo­le Por­tal noch nicht aus­zu­pro­bie­ren las­sen. Die Klei­ne­ren haben irgend­wie nie rich­tig Zeit. Grad locken der Schnee und die Puz­zle, davor warens die auf­ge­türm­ten Blät­ter­hau­fen, noch vor­her das aus But­ter­milch­be­häl­tern und Nylon­schnur gebas­tel­te Tele­fon, über das sie über zwei Gär­ten hin­weg von Baum­haus zu Baum­haus kom­mu­ni­zier­ten (Medi­en­kom­pe­tenz!), und wenn es mal drau­ßen nichts zu tun gibt, krie­ge ich sie wegen der viel­fäl­ti­gen Ablen­kun­gen (Bücher, Arzt­kof­fer, Back­stu­be, Musik (selbst­ge­macht), diver­se Sam­mel­tä­tig­kei­ten) auch nur mit eiser­ner Stren­ge und per Befehls­ton an den Rechner.

Die Grö­ße­ren erle­di­gen am „digi­ta­len Arbeits­platz“ das Nötigs­te. Die Neun­jäh­ri­ge (als Jung­gym­na­sis­a­tin gra­de der Ziel­grup­pe ent­wach­sen) hat sich die „krea­ti­ven und inter­ak­ti­ven Aspek­te“ auf clixmix.de kurz ange­schaut und beur­teilt. Wenn sie noch “sie­ben” sei, wür­de sie sich das viel­leicht anschau­en, aber jetzt fän­de sie es extrem lang­wei­lig, außer­dem häß­lich und über­trie­ben gemalt. “Die Geduld, mir nach dem Kli­cken jedes­mal erst­mal ein Post­pa­ket anzu­schau­en, das rein­glei­tet und sich dann öff­net – die hät­te ich nicht.“

Die Kin­der und Eltern, die in der click­mix-Bro­schü­re strah­lend ihre gemein­sa­me qua­li­ty time vor dem Lap­top ver­brin­gen (ger­ne lie­gend) und die zwei ganz klei­nen Jungs, Rücken an Rücken mit je einem Trag­rech­ner auf den Knien, sehen ande­rer­seits rich­tig hap­py aus.

Man darf sicher sein, daß sie alle den bei clix­mix run­ter­lad­ba­ren Inter­net­ver­trag unter­zeich­net haben, der eine ver­pflich­ten­de Ver­ein­ba­rung zwi­schen Kind und „sei­nem Erwach­se­nen“ beinhal­tet. Hier dür­fen das Kind und sein Erwach­se­ner ein­tra­gen, wie vie­le Minu­ten im Inter­net gesurft wer­den dür­fen, wel­che Sei­ten außer Clix­mix besucht wer­den dür­fen. Punkt 3 des wich­ti­gen Ver­trags: „Bei allen ande­ren Sei­ten fra­ge ich zuerst ob es okay ist.“

Okay. Wer nicht fragt, bleibt dumm. Daß im Umkehr­schluß klug wür­de (oder wenigs­tens mit eini­gen Kom­ma­re­geln ver­traut wür­de), wer sich auf minis­te­ri­ell geför­der­ten Blö­del­sei­ten „Fit für die Medi­en­welt“ macht, ist damit nicht gesagt.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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