Ideenwerkstatt der Bielefelder Normannia-Nibelungen

von Alex Klein

Wie Mechanismen zur Unterdrückung eines kontroversen Diskurses funktionieren, zeigte sich bereits im Vorfeld der VI. Bielefelder Ideenwerkstatt,...

die Ende Novem­ber bei der Bur­schen­schaft Nor­man­nia-Nibe­lun­gen zu Bie­le­feld statt­fand. Zum The­ma „Die Infor­ma­ti­ons- und Wis­sens­ge­sell­schaft – zwi­schen Risi­ken und neu­en Mög­lich­kei­ten“, soll­ten Refe­ren­ten unter­schied­li­cher Cou­leur dis­ku­tie­ren. Doch neben der Sach­de­bat­te kam es auch zu Problemen.

Über The­men wie „Hum­boldt im 21. Jahr­hun­dert“ und „Medi­enstra­te­gien von Al-Qaeda“ woll­te die Bur­schen­schaft Kon­tro­ver­sen eröff­nen. Eben­falls auf der Agen­da stand ein Vor­trag von Dani­el Flachs­haar aus dem Bun­des­vor­stand der Pira­ten­par­tei. Zu die­sem Vor­trag ist es aller­dings nicht gekom­men. Bereits eine Woche vor der Ver­an­stal­tung kri­ti­sier­te ein Nut­zer im Forum der Pira­ten­par­tei Flachs­haars Teil­nah­me, da er sei­ner Auf­fas­sung nach von den „extrem Rech­ten“ instru­men­ta­li­siert wer­den wür­de. Eine Absa­ge von Flachs­haars Sei­te blieb indes vor­erst aus, weil er gera­de eine Dis­kus­si­on mit unter­schied­li­chen Auf­fas­sun­gen als durch­aus erstre­bens­wert betrach­te­te. Von den Ver­zer­run­gen ließ er sich nicht beein­flus­sen. Aus sei­ner Zusa­ge wur­de trotz­dem weni­ge Tage spä­ter eine Absa­ge, aller­dings nicht aus frei­en Stücken.

Laut Aus­kunft der Bur­schen­schaft habe Flachs­haar mit­ge­teilt, sein Brief­kas­ten sei mit „faschis­ti­schen Sym­bo­len“ voll­ge­schmiert wor­den. Innen habe ein Zet­tel gele­gen, auf wel­chem ihm gera­ten wur­de, nicht nach Bie­le­feld zu fah­ren, wenn ihm das Wohl sei­ner Fami­lie am Her­zen liege.

Der Droh­brief bewirk­te, was er soll­te. Flachs­haar blieb das Wochen­en­de zuhau­se, da er nichts ris­kie­ren woll­te. Die wohl poli­tisch moti­vier­ten Täter erreich­ten somit ihr Ziel, einen Refe­ren­ten der Pira­ten­par­tei von einer Ver­an­stal­tung mit aus­ge­präg­ter Debat­ten­kul­tur fern­zu­hal­ten. Täter vom glei­chen Schlag ver­zier­ten zudem das Bur­schen­haus zwei Tage vor Beginn mit roter Farbe.

Den gewünsch­ten Plu­ra­lis­mus bot die Ver­an­stal­tung den­noch. Gro­ßen Stel­len­wert nahm dabei die Lage der gegen­wär­ti­gen Uni­ver­si­tät ein. Pro­fes­sor Harald Seu­bert ergrün­de­te „Hum­boldt im 21. Jahr­hun­dert“ und kri­ti­sier­te die Ver­falls­er­schei­nun­gen der gegen­wär­ti­gen Bolo­gna-Uni­ver­si­tät und die Lee­re im Bil­dungs­be­griff. Heu­te sei kaum noch von geis­ti­ger Tra­di­ti­on und For­schung die Rede. Respekt vor höhe­rer Bil­dung hät­ten nur noch die wenigs­ten. Dar­aus fol­ge die unhin­ter­frag­te Auf­nah­me alles vor­ge­ge­be­nen Wis­sens. Eine für Bil­dung unbe­dingt not­wen­di­ge Urteils­kraft sei jedoch nicht erreich­bar. Seu­bert wünscht sich als Gegen­kraft zu die­sem Ver­fall der aka­de­mi­schen Insti­tu­ti­on eine „kon­ser­va­tiv-wis­sen­schaft­li­che Universität“.

Pro­fes­sor Geor­ge Tur­ner inten­si­vier­te die Sicht auf die Hoch­schu­len, indem er eine Über­sicht der Refor­men seit der Nach­kriegs­zeit gab und den Bolo­gna-Pro­zess erklär­te und hin­ter­frag­te. So hät­ten sich die Fach­hoch­schu­le und Uni­ver­si­tät stark ein­an­der ange­nä­hert. Auf­fal­lend sei auch der stei­gen­de Ein­zug einer „Pen­nä­ler­men­ta­li­tät“ in die Uni­ver­si­tä­ten, die sich dadurch aus­zeich­ne, daß nur das Not­wen­digs­te gelernt, über die Vor­le­sun­gen hin­aus jedoch ein The­ma nicht ver­tieft wür­de. Den­noch beton­te Tur­ner, die Reform sei unaus­weich­lich gewe­sen und nicht so schlecht wie sie oft dar­ge­stellt werde.

Anstän­dig zu pro­vo­zie­ren wuß­te Felix Men­zel, der sein ange­kün­dig­tes Vor­trags­the­ma abwan­del­te und über die „per­fek­te Zei­tung der Zukunft“ refe­rier­te, wel­che nur „rechts“ sein kön­ne und einen kla­ren Blick auf die Wirk­lich­keit ent­wi­ckeln müs­se. Die­se Zei­tung über­win­de auf­grund des rau­hen Mei­nungs­kli­mas in Deutsch­land die Gren­zen der Bericht­erstat­tung und bewe­ge sich zwi­schen Lite­ra­tur und Jour­na­lis­mus. Men­zel ori­en­tiert sich in Form und Inhalt stark am soge­nann­ten „New Jour­na­lism“. Als Bei­spiel dafür ver­las er die Kolum­ne „Hun­dert Zei­len Hass“ aus der All­ge­mei­nen Euro­päi­schen Staa­ten­zei­tung und gab einen Über­blick auf ähn­li­che Ver­su­che in den letz­ten Jahr­zehn­ten, etwa die Zeit­schrif­ten Tem­po und Der Freund.

Die Rol­le des Inter­nets für das Ter­ror­netz­werk Al-Qaeda stell­te Phil­ipp Holt­mann anhand des Pro­jekts „Dschi­ha­dis­mus im Inter­net“, wel­ches von der Ger­da Hen­kel-Stif­tung geför­dert wird, umfas­send dar. Er ist Dok­to­rand an der Stif­tung Wis­sen­schaft und Poli­tik (SWP). Die Al-Qaeda habe die bes­te „Pro­pa­gan­da­struk­tur“, die jemals von einer Ter­ror­grup­pe ent­wi­ckelt wur­de. Holt­mann pick­te sich ein­zel­ne Selbst­mord­at­ten­tä­ter her­aus, die sich in Foren radi­ka­li­sier­ten und die vor ihrem Tod für die Ver­mark­tung ihres Anschla­ges gesorgt hatten.

Die Vor­trä­ge wur­den von den Zuhö­rern alle­samt eif­rig dis­ku­tiert. Dabei wur­den ver­schie­de­ne Mei­nun­gen und Ansich­ten aus­ge­tauscht. Die Vor­komm­nis­se im Vor­feld der Ver­an­stal­tung haben trotz­dem gezeigt, wie schwer es ist, eine Debat­te zwi­schen Per­so­nen unter­schied­li­cher Cou­leur zu organisieren.

Die Refe­ren­ten waren sich zudem der Schwie­rig­keit bewußt, im Inter­net­zeit­al­ter aus Infor­ma­tio­nen anwend­ba­res Wis­sen zu erschlie­ßen. Uns ste­hen so vie­le Infor­ma­tio­nen wie nie zuvor zur Ver­fü­gung, die Mehr­heit ist aber kaum noch in der Lage, mit die­sen ver­nünf­tig umzu­ge­hen. Gera­de dies ist das Para­do­xon die­ses Zeit­al­ters. Auf der ande­ren Sei­te zeigt gera­de das Bei­spiel Al-Qaeda: Wer sei­ne Infor­ma­ti­ons­struk­tu­ren per­fek­tio­niert, kann mit weni­gen Mit­teln durch­schla­gen­de Effek­te erzielen.

Infor­ma­tio­nen zur Bie­le­fel­der Ideenwerkstatt
zur Bur­schen­schaft Nor­man­nia Nibelungen
und per Bild zur Besu­de­lung kurz vor der Veranstaltung:

 

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