gewöhnlich beim Blick aus dem Fenster nur einen Birnbaum und einen Lehmstall, beim Gang durchs Dorf nur den Radfahrer, den Traktorfahrer, den Rollstuhlfahrer sieht, die man immer sieht und von denen man weiß, wie man sie nehmen muß, damit es ein gutes Gespräch oder ein “Zuruf von zuhause” wird.
Ich muß gestehen: Ich bin nach Buchmessen stets voller Verachtung für die Masse, und diese Verachtung konzentriert sich für Sekunden immer auf denjenigen, der mir beim Vorübergehen sein Gesicht zuwendet, während ich wie ein Zootier in meinem Messestand sitze. Ich kann beim besten Willen keine Reifung, keine Höherentwicklung erkennen, ich kann keine immer noch feinere Auffaltung des Geistes konstatieren, und dabei ist es doch wahrscheinlich die gebildetere Hälfte der Deutschen, die vorüberzieht. Die Deutschen, also: meine Leute, also: diejenigen, für die man das zu tun vorgibt, was man tagelang auf der Messe tut, und dann wieder monatelang, jahrelang am Schreibtisch.
Ich sehe diese Menschen halbe Stunden für ein trockenes Schnitzel anstehen, während sie einen Messestand vielleicht in zwei Minuten abschreiten. Ich sehe sie dieses Schnitzel nur zur Hälfte verzehren, und ich sehe sie dann in die Empörung über Massentierhaltung oder in Schleppnetzen verendende Delphine einstimmen, während auf ihrem Teller also ein Teil von jenem Schwein zurückbleibt, das doch starb für sie. Nach dem Fressen stehen sie am Klo an, und dann nehmen sie ein Probeheft von meinem Stand mit und zeichnen zehn Meter weiter ein Schnupperabo bei der Jungen Welt, aber beides trägt im Schnitt nichts aus.
Wie weiter?
Es hilft fürs erste, sich vorzustellen, daß man mit fast jedem dieser fremden Andern im Dorfe doch wohl auskommen würde, daß man wüßte, wie man einander zu nehmen hat. Das kann lange dauern, übrigens, bis man das weiß. In der Stadt aber, ehrlich, würde ich meine Verachtung nicht mehr los.
(Ich selbst übrigens, als ich mein Schnupperabo zeichnete, wurde erkannt von einer jungen Frau. Sie strahlte noch die Lust aus, politisch etwas zu reißen, und sie wartete, bis ich wieder fort war vom Junge-Welt-Stand, aber ich beobachtete sie: Und sie zog wirklich meinen Verlags-Prospekt aus der Tasche und zeigte dem Schnupperabo-Verkäufer die übereinstimmende Adresse: meine und die von meinem bösen Verlag. Also werde ich nicht drei Wochen lang die Junge Welt lesen dürfen. Zielgruppe sind die Schnitzelfresser und Vorbeischlenderer.)