Ernst Jünger und die Nouvelle Droite

pdf der Druckfassung aus Sezession 22 /Februar 2008

sez_nr_226von Alain de Benoist

Die Nouvelle Droite (die französische Neue Rechte) brauchte Ernst Jünger nicht erst zu entdecken. Als die Bewegung Ende der sechziger Jahre aufkommt, ist der Autor der Marmorklippen der französischen Öffentlichkeit bereits wohlbekannt. Mehr noch, er kann zu dieser Zeit auf der anderen Rheinseite zweifellos als der berühmteste und meistgelesene deutsche Autor gelten. Für diesen Bekanntheitsgrad, der Deutsche unweigerlich in Erstaunen versetzt, gibt es vielfältige Erklärungen. Eine Rolle spielt sicher, daß Jünger vergleichsweise früh übersetzt wurde: Seine Hauptwerke über den Ersten Weltkrieg erschienen schon Anfang der dreißiger Jahre und verschafften ihm rasch Ansehen. Vor allem aber spielte Frankreich für Jüngers Laufbahn, sowohl für seinen Lebensweg wie für seine geistige und literarische Entwicklung, eine ungemein wichtige Rolle. Nach seinem Jugendabenteuer in der Fremdenlegion, nach der furchtbaren Erfahrung der Schützengräben maß er dem Land immer eine besondere Bedeutung zu. Er pflegte zahlreiche Beziehungen zu französischen Schriftstellern und Intellektuellen, las Maurice Barrès und Léon Bloy, übersetzte Werke wie Rivarols Maximen oder Texte von Guy de Maupassant und Paul Léautaud. Schließlich hatte Jünger das Glück, in Frankreich stets hervorragende Übersetzer zu finden: Männer wie Henri Thomas und Henri Plard, Julien Hervier und François Poncet, denen es gelang, seinen Stil und seine Gedankengänge in sämtlichen Nuancen nachzuvollziehen.


„Ich glau­be”, sag­te Jün­ger 1973, „die Fran­zo­sen wis­sen es zu schät­zen, wenn ein Deut­scher sich als sol­cher gibt, statt sich um jeden Preis ein Gesicht ver­lei­hen zu wol­len, das nicht das sei­ne ist.”
Frei­lich wur­de ihm die­se Berühmt­heit lan­ge Zeit nur um den Preis eines gewis­sen Miß­ver­ständ­nis­ses zuteil. Zumin­dest bis unge­fähr 1975 nah­men die Fran­zo­sen Jün­ger als eine Figur wahr, die aus­schließ­lich der lite­ra­ri­schen Welt ange­hör­te. Zwar wuß­te man selbst­ver­ständ­lich um den zeit­ge­schicht­li­chen Hin­ter­grund, vor dem sein Werk ent­stan­den war, doch wur­de Jün­ger nicht als ein Mann jener Jah­re gese­hen. Von sei­nem Auf­ent­halt in Paris als Ange­hö­ri­ger der Besat­zungs­macht waren haupt­säch­lich die lite­ra­ri­schen Kon­tak­te in Erin­ne­rung geblie­ben, die er vor allem in Flo­rence Goulds Salon knüpf­te (Jean Coc­teau, Paul Morand, Pierre Drieu La Rochel­le, Sacha Guit­ry, Jean Girau­doux, Hen­ry de Mon­t­her­lant, Jean Schlum­ber­ger, etc.). Hat­te Jün­ger sei­ner­seits Paris nicht als „gro­ße Bücher­stadt” geprie­sen? Der brei­ten Öffent­lich­keit in Frank­reich jeden­falls waren die poli­ti­schen Schrif­ten sei­ner Jugend völ­lig unbe­kannt. Auch Namen wie Franz Schau­we­cker, Hugo Fischer, Ernst Nie­kisch, Fried­rich Hiel­scher, ja selbst Carl Schmitt sag­ten ihr nichts. Kurz­um, Jün­ger kann­te man ein­zig und allein als Schrift­stel­ler. Jün­ger sel­ber war das offen­bar durch­aus recht. Indem er sich gegen eine Über­set­zung des Arbei­ters, sei­nes gro­ßes Werks von 1932, sperr­te, trug er sogar sei­nen Teil dazu bei, daß es so blieb.

Indes übten gera­de die nicht ins fran­zö­si­sche über­setz­ten Bücher, die schon des­halb eine Art mythi­sche Aura umgab, eine gro­ße Fas­zi­na­ti­on auf die Nou­vel­le Droi­te aus. In den frü­hen sech­zi­ger Jah­ren kann­te auch ich von Jün­ger nur die bereits auf Fran­zö­sisch erschie­ne­nen Bücher. Natür­lich hat­te ich sei­ne Pro­sa aus dem Ers­ten Welt­krieg gele­sen, doch anders als man­che mei­ner Freun­de hat­te ich die­se Lek­tü­re nicht als Erwe­ckungs­er­leb­nis emp­fun­den, was zwei­fel­los an mei­nem man­geln­den Inter­es­se an mili­tä­ri­schen Din­gen lag! Stär­ker hat­ten mich Sur les falai­ses de marb­re (Auf den Mar­mor­klip­pen) und Jeux afri­cains (Afri­ka­ni­sche Spie­le) beein­druckt, eben­so Hélio­po­lis und erst recht Trai­té du Rebel­le ou le recours aux forêts (Der Wald­gang). L’E­tat uni­ver­sel (Der Welt­staat) hin­ge­gen fand ich eher abstoßend.
Die Ent­de­ckung des „ande­ren Jün­ger” ver­dan­ke ich ein­deu­tig mei­nem Freund Armin Moh­ler. Des­sen Hand­buch Die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on, das ich mit den spär­li­chen Bruch­stü­cken deut­scher Sprach­kennt­nis zu ent­zif­fern ver­such­te, über die ich damals ver­füg­te, erleb­te ich als Offen­ba­rung. Nir­gend­wo in die­ser weit­läu­fi­gen Bewe­gung mit ihren unzäh­li­gen Ver­äs­te­lun­gen gewahr­te ich eine geis­ti­ge Strö­mung, die dem Natio­nal­so­zia­lis­mus als Weg­be­rei­ter hät­te die­nen kön­nen, wie bis­wei­len behaup­tet wur­de. Im Gegen­teil erschien sie mir als eine alter­na­ti­ve Denk­strö­mung, deren Wei­ter­ent­wick­lung und bes­se­re Struk­tu­rie­rung der Welt womög­lich die Hit­ler­sche Kata­stro­phe erspart hätte.
In mei­nen Gesprä­chen mit Armin Moh­ler fiel immer wie­der der Name Ernst Jün­gers, für den er in der Nach­kriegs­zeit bekannt­lich als Pri­vat­se­kre­tär gear­bei­tet hat­te. Auf­grund die­ser Erfah­rung hat­te er ein recht gespal­te­nes Ver­hält­nis zu Jün­ger. Wäh­rend mir sel­ber die jung­kon­ser­va­ti­ve Bewe­gung poli­tisch und intel­lek­tu­ell am inter­es­san­tes­ten schien, mach­te Moh­ler kein Hehl aus sei­ner Prä­fe­renz für die natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re Strö­mung. Ich hat­te stär­ke­re Vor­be­hal­te gegen die Begrif­fe „Nati­on” und „Bewe­gung” als er, doch läßt sich nicht bestrei­ten, daß mir die Idee der Revo­lu­ti­on ver­füh­re­risch in den Ohren klang. Von Moh­ler erfuhr ich, daß Jün­ger an „neo­na­tio­na­lis­ti­schen” oder bün­di­schen Publi­ka­tio­nen wie Armi­ni­us, Die Stan­dar­te oder Die Kom­men­den mit­ge­ar­bei­tet, daß er den Arbei­ter und Die tota­le Mobil­ma­chung geschrie­ben und daß er dem „Natio­nal­bol­sche­wis­ten” Ernst Nie­kisch nahe­ge­stan­den hat­te. Zur sel­ben Zeit ent­deck­te ich auch die Zeich­nun­gen von A. Paul Weber, die einen unge­heu­ren Ein­druck hin­ter­lie­ßen. Heu­te kennt man das alles, damals war es jeden­falls für mich etwas voll­kom­men Neues.

Die­se Ent­de­ckun­gen moch­te ich nicht für mich behal­ten. Immer wie­der las ich mich in Moh­lers Hand­buch fest und schwor, daß es mir eines Tages gelin­gen wür­de, es in fran­zö­si­scher Über­set­zung zu ver­öf­fent­li­chen (die­ser Plan ließ sich 1993 ver­wirk­li­chen). Als ers­te Frucht die­ser Bemü­hun­gen konn­te ich die Neu­auf­la­ge eines der weni­gen Tex­te her­aus­brin­gen, die in Frank­reich zum Arbei­ter erschie­nen waren, Mar­cel Decom­bis’ Ernst Jün­ger et la „Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on”. Une ana­ly­se de „Der Arbei­ter” (GRECE, Paris 1973). Ver­le­ger war der Grou­pe­ment d’étu­des et de recher­che pour la civi­li­sa­ti­on euro­pé­en­ne, der wich­tigs­te Ver­band einer Bewe­gung, die sich damals noch nicht als Nou­vel­le Droi­te bezeich­ne­te. (Ursprüng­lich war der Begriff Nou­vel­le Droi­te kei­ne Selbst­be­zeich­nung. Er wur­de 1979 von den Medi­en erfun­den, um eine geis­ti­ge Strö­mung zu beschrei­ben, die damals bereits seit über zehn Jah­ren exis­tier­te. Aus eben­die­sem Grund und im Bewußt­sein der damit ver­bun­de­nen Miß­ver­ständ­nis­se ver­mei­de ich sel­ber es nach Mög­lich­keit, ihn zu verwenden.)
Die­se Schrift eines bereits ver­stor­be­nen Ger- manis­ten wur­de ergänzt um eine knap­pe Biblio­gra­phie und ein eigens für die­se Auf­la­ge von Armin Moh­ler ver­faß­tes Vor­wort. Dort stell­te er Jün­gers Werk als „eines der weni­gen gro­ßen Bücher die­ses Jahr­hun­derts” vor, aber auch als „erra­ti­schen Block” inner­halb sei­nes gesam­ten Œuvre, des­sen Erschei­nen 1932 ein „außer­ge­wöhn­li­ches Ereig­nis” gewe­sen sei. Über den Arbei­ter und die ers­te Fas­sung des Aben­teu­er­li­chen Her­zens soll­te er spä­ter sagen: „Noch heu­te kann mei­ne Hand die­se Wer­ke nicht grei­fen, ohne daß sie zu zit­tern anfinge.”
Außer­dem bekräf­tig­te Moh­ler in sei­nem Vor­wort gleich mehr­mals, Der Arbei­ter sei „unüber­setz­bar”. Den­noch wur­de er 1989 schließ­lich von Juli­en Her­vier über­setzt. Der Erre­gungs­sturm, den Jün­ger befürch­tet hat­te, blieb übri­gens weit­ge­hend aus.
Nie hät­te ich erwar­tet, den Schrift­stel­ler eines Tages per­sön­lich ken­nen­zu­ler­nen. Doch am 15. Mai 1977, als ich im Namen sowohl des Figa­ro-Maga­zi­ne wie des Ver­la­ges Coper­nic, der dort einen Stand hat­te, am Inter­na­tio­na­len Fes­ti­val des Buches in Niz­za teil­nahm (mein Buch Vu de droi­te wur­de bei die­sem Anlaß mit dem Gro­ßen Essay­preis der Aca­dé­mie fran­çai­se aus­ge­zeich­net), hör­te ich plötz­lich, wie jemand mei­nen Namen rief. Ich dreh­te mich um und sah einen Mann von mitt­le­rer Grö­ße, sehr auf­rech­ter Hal­tung und dich­ten wei­ßen Haa­ren, der eine Wes­te aus Velours und einen ele­gan­ten Roll­kra­gen­pull­over trug und den ich abso­lut nicht erkann­te. „Guten Tag”, begrüß­te er mich. „Ich bin Ernst Jün­ger.” Nach­dem ich mei­ne Spra­che wie­der­ge­fun­den hat­te, unter­hiel­ten wir uns über eine Stun­de lang. Wir lie­ßen uns foto­gra­fie­ren – ein groß­ar­ti­ges An-den­ken an die­sen Tag.

Mit der Zeit, fast zehn Jah­re nach der Ver­öf­fent­li­chung von Mar­cel Decom­bis’ Stu­die, hat­te ich genü­gend wich­ti­ges Mate­ri­al über die „poli­ti­sche” Peri­ode des jun­gen Ernst Jün­ger zusam­men­ge­tra­gen, um nun sel­ber einen Auf­satz zum Arbei­ter zu ver­fas­sen. Eine ers­te Fas­sung erschien Ende 1981 in der Zeit­schrift Elé­ments, eine wei­te­re, sehr viel aus­führ­li­che­re zwei Jah­re spä­ter in Nou­vel­le Eco­le. Tat­säch­lich hat­te die­se zwei­te Fas­sung, gefolgt von der Über­set­zung eines im Okto­ber 1932 im Wider­stand ver­öf­fent­lich­ten Arti­kels von Ernst Nie­kisch („Zu Ernst Jün­gers neu­em Buche”), den Umfang einer Mono­gra­phie. Erst in Spa­ni­en, dann in Ita­li­en erschie­nen spä­ter Über­set­zun­gen in Buchform.
Mein Bestre­ben war nicht nur, die wich­tigs­ten in Jün­gers Buch ent­hal­te­nen Gedan­ken und Begrif­fe vor­zu­stel­len und den Lebens­weg des Schrift­stel­lers zwi­schen 1920 und 1930 nach­zu­zeich­nen, um dem Leser eini­ge Anhalts­punk­te zur Geschich­te der natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­ren Bewe­gung zu geben. Dar­über hin­aus woll­te ich zei­gen, wie die „Pro­ble­ma­tik des Arbei­ters” in immer neu­en For­men Jün­gers wei­te­res Schaf­fen durch­zog. Beson­ders offen­sicht­lich schien mir dies für die Ent­wick­lung sei­ner Ideen zur Tech­nik zu gel­ten, die ganz unter dem Ein­fluß sei­nes Bru­ders Fried­rich Georg Jün­ger stand. Ich stell­te den Arbei­ter als ein zum Ver­ständ­nis einer Über­gangs­epo­che, des „Inter­re­gnum” zwi­schen der Herr­schaft der Tita­nen und jener der Göt­ter, unver­zicht­ba­res Buch dar. Dabei bezog ich mich immer wie­der auf das Den­ken Carl Schmitts und die Phi­lo­so­phie Mar­tin Heid­eg­gers, mit denen ich mich eben­falls ein­ge­hend befaßt hatte.
Zu sei­nem 90. Geburts­tag am 29. März 1985 – tags zuvor hat­te ich an einer öffent­li­chen Kon­fe­renz in Saint-Eti­en­ne teil­ge­nom­men – schick­te ich dem Schrift­stel­ler ein Glück­wunsch­te­le­gramm. Er bedank­te sich mit einem kur­zen hand­schrift­li­chen Brief, dem er ein Foto ange­hef­tet hat­te. Zehn Jah­re spä­ter, am 25. März 1995, schrieb ich ihm einen Brief, der nur einen ein­zi­gen Satz ent­hielt: „Dan­ke, daß Sie leben.” Zur Fei­er die­ses Hun­derts­ten ver­an­stal­te­te der Club de Mil­le (eine Orga­ni­sa­ti­on zur finan­zi­el­len Unter­stüt­zung der Nou­vel­le Droi­te) am 21. Juni ein Fest zu sei­nen Ehren.
Im Fol­ge­jahr beschloß ich, Jün­ger eine gesam­te Aus­ga­be der Nou­vel­le Eco­le zu wid­men. Mein Edi­to­ri­al dazu begann mit den Wor­ten: „Das 20. Jahr­hun­dert ist das Jahr­hun­dert, in dem der Nobel­preis nicht an Ernst Jün­ger ver­lie­hen wur­de. Auch so kann man es defi­nie­ren.” Das Heft ent­hielt ein Inter­view mit Ernst Jün­ger, das sein spa­ni­scher Über­set­zer Andrés Sán­chez Pascual geführt hat­te, Auf­sät­ze von Armin Moh­ler, Gerd-Klaus Kal­ten­brun­ner, Wer­ner Bräu­nin­ger, Mar­cus Beck­mann sowie – im Sin­ne einer Doku­men­ta­ti­on – Über­set­zun­gen von Tex­ten von Fried­rich Hiel­scher, Albrecht Erich Gün­ther, Ernst Nie­kisch und Fried­rich Sieburg.

Jün­ger schien Unsterb­lich­keit erlangt zu haben! Ende 1997 ver­öf­fent­lich­te ich eine Biblio­gra­phie sei­nes Gesamt­wer­kes in einem Ver­lag, der mutig (oder leicht­sin­nig) genug war, um der­ar­ti­ge Wer­ke her­aus­zu­brin­gen, die nur bei einem ziem­lich begrenz­ten Leser­pu­bli­kum Anklang fan­den. Von die­ser Biblio­gra­phie, mit der ich nie ganz zufrie­den war, soll­te eigent­lich eine beträcht­lich erwei­ter­te Neu­auf­la­ge erschei­nen, an der ich meh­re­re Jah­re lang gear­bei­tet habe. Die­ses Vor­ha­ben gab ich auf, als Nico­lai Rie­del, ein wür­di­ger Nach­fol­ger von Hans-Peter des Coud­res und Horst Mühl­ei­sen, 2003 die sei­ne ver­öf­fent­lich­te. (Seit­her hat sich mei­ne Arbeit als Biblio­graph eher auf Carl Schmitt kon­zen­triert!) Im ers­ten Teil schil­der­te ich die wich­tigs­ten Etap­pen in Jün­gers Leben. Im Jahr 1997 ange­kom­men, schrieb ich: „Nun­mehr in sei­nem 103. Lebens­jahr schreibt Jün­ger wei­ter­hin.” Lei­der, lei­der ver­starb er weni­ge Mona­te spä­ter, am 17. Febru­ar 1998. Ich gedach­te sei­ner in einem Nach­ruf, den Radio-Cour­toi­sie am 7. März sendete.
Seit sei­nem Tod ist das wis­sen­schaft­li­che Inter­es­se an Jün­ger grö­ßer als je zuvor. Bereits am 7. Novem­ber hat­te ich an einer Jün­ger-Tagung teil­ge­nom­men, die unter dem Titel „Due vol­te la come­ta” an der Uni­ver­si­tät La Sapi­en­za in Rom statt­fand: eine Anspie­lung dar­auf, daß der Hal­ley­sche Komet zu Leb­zei­ten des Schrift­stel­lers zwei­mal von der Erde aus zu sehen war. Als Höhe­punkt der gro­ßen Jün­ger-Tagung in Mai­land vom 20. bis 24. Okto­ber 2000 hat­te ich vor einem Kon­zert von Ricar­do Mut­ti in der Sca­la Gele­gen­heit, mit Nico­lai Rie­del Bekannt­schaft zu schlie­ßen. Im Anschluß an eine „Pil­ger­rei­se” ent­lang dem Che­min-des-Dames nahm ich über­dies am 8. Novem­ber 1998 in Laon an einer Tagung zu Jün­ger und dem Ers­ten Welt­krieg teil, bei der auch Daniè­le Bel­tran-Vidal, Fran­çois Pon­cet, Isa­bel­le Rozet, Oli­vi­er Auber­tin, Manue­la Ales­sio unter den Anwe­sen­den waren.
Mei­ne Bewun­de­rung für Jün­ger – für den Men­schen sel­ber wie für sein Werk – ist immer noch so stark wie eh und je. Womög­lich hat sich ihre Aus­rich­tung aber ein wenig geän­dert. Drei­ßig Jah­re lang begeis­ter­te ich mich für den „ers­ten” Jün­ger, jenen der zwan­zi­ger und drei­ßi­ger Jah­re. Mit der Zeit und wohl auch mit zuneh­men­dem Alter bin ich zuneh­mend emp­fäng­lich gewor­den für den „zwei­ten” – für den Anar­chen mehr als den Rebel­len, für den „unzeit­ge­mä­ßen” Den­ker, der weil er sehr hoch gestie­gen war, auch sehr weit sehen konnte.
Eine sehr per­sön­li­che Erin­ne­rung möch­te ich noch ergän­zen. Am 6. Febru­ar 1993 war ich zu einer Debat­te in Ber­lin ein­ge­la­den. Zu mei­ner äußerst unan­ge­neh­men Über­ra­schung wur­de ich von einer Grup­pe jun­ger mili­tan­ter „Auto­no­mer” – Anhän­gern eines archai­schen „Anti­fa­schis­mus”, die nicht ein­mal wuß­ten, daß ich sich mein Bei­trag zu der Debat­te gegen Frem­den­feind­lich­keit rich­ten soll­te! – buch­stäb­lich ent­führt, kör­per­lich ange­grif­fen und sogar geprü­gelt. Die Nacht ver­brach­te ich auf dem Poli­zei­re­vier, wo man mich auf­for­der­te, mei­ne Angrei­fer anhand von Fotos zu iden­ti­fi­zie­ren. Ich erkann­te sie mit abso­lu­ter Gewiß­heit, ver­wei­ger­te aber die Aus­sa­ge. Mit der Poli­zei kol­la­bo­rie­re ich nicht.

Als ich wie­der zu Hau­se in Paris ange­kom­men war, erhielt ich einen Anruf von Armin Moh­ler. Er woll­te mir mit­tei­len, daß Jün­ger, der von dem Vor­fall erfah­ren hat­te, sich umge­hend bei ihm nach mei­nem Befin­den erkun­digt habe. Die­se Anteil­nah­me rühr­te mich ungemein.
Ernst Jün­ger gehört wahr­schein­lich nicht zu den Autoren, auf die sich die Nou­vel­le Droi­te am häu­figs­ten bezieht. Außer Zwei­fel steht jedoch, wie aus dem Vor­an­ge­gan­ge­nen klar­ge­wor­den sein soll­te, daß er eine gro­ße Bedeu­tung für sie hat.
Heut­zu­ta­ge ist es nicht mehr nötig, das Jün­ger-Bild der Fran­zo­sen zu „ver­voll­stän­di­gen”, wie ich es mir einst zum Ziel setz­te. Die viel­fäl­ti­gen Aspek­te sei­nes Wer­kes sind längst wohl­be­kannt. Ähn­lich wie Schmitt und Heid­eg­ger oder auch Mir­cea Elia­de fiel auch Jün­ger zeit­wei­se einer denun­zia­to­ri­schen Kri­tik anheim. Erho­ben wur­de sie von sek­tie­re­ri­schen Köp­fen, die sich nicht nur in der Epo­che irr­ten, son­dern Jün­ger nur lasen, um zu Schluß­fol­ge­run­gen zu kom­men, die den Vor­ur­tei­len ent­spra­chen, mit denen sie die Lek­tü­re begon­nen hat­ten. Der­ar­ti­ge Ver­wer­fun­gen blie­ben jedoch die Aus­nah­me. Frei­lich, es kommt all­zu sel­ten vor, daß einer der gera­de ange­sag­ten Intel­lek­tu­el­len Jün­ger zitiert: Wer hören will, wie Intel­lek­tu­el­le des gesam­ten Mei­nungs­spek­trums von rechts bis links stän­dig Jün­ger (oder auch Schmitt und Heid­eg­ger) im Mun­de füh­ren, muß heut­zu­ta­ge nach Ita­li­en rei­sen. Nichts­des­to­trotz hat der Autor von Eumes­wil und Chas­ses sub­ti­les (Sub­ti­le Jag­den) in Frank­reich eine sehr gro­ße und treue Leserschaft.
Inzwi­schen lie­gen so gut wie alle Bücher Jün­gers in fran­zö­si­scher Über­set­zung vor. Sie erschei­nen in den größ­ten Ver­la­gen, und die meis­ten von ihnen wer­den stän­dig neu­auf­ge­legt. Eine Neu­auf­la­ge sei­ner Kriegs­ta­ge­bü­cher (Strah­lun­gen) wird die­ser Tage bei Gal­li­mard in der renom­mier­ten „Pléiade”-Reihe her­aus­kom­men, ver­se­hen mit einem aus­führ­li­chen kri­ti­schen Anmer­kungs­ap­pa­rat von Juli­en Her­vier, der über­dies eine Samm­lung von Inter­views mit Jün­ger her­aus­ge­ge­ben hat. Für die Koor­di­nie­rung wis­sen­schaft­li­cher Arbei­ten zu Jün­ger ist ein For­schungs- und Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum (CERDEJ) unter Lei­tung von Daniè­le Bel­tran-Vidal zustän­dig, das seit Dezem­ber 1996 die Car­nets Ernst Jün­ger als Jahr­buch ver­öf­fent­licht. Was nach wie vor fehlt, ist eine fran­zö­si­sche Gesamt­aus­ga­be der poli­ti­schen Arti­kel aus sei­ner Jugend­zeit (in Ita­li­en sind sie vor kur­zem in drei Bän­den erschie­nen) und der Kor­re­spon­denz (wie gern sähe man eine Ver­öf­fent­li­chung der Brief­wech­sel mit Schmitt, Heid­eg­ger, Hiel­scher, Gott­fried Benn und Ger­hard Nebel!) sowie eine „defi­ni­ti­ve” Bio­gra­phie, wie sie Heimo Schwilk kürz­lich in Deutsch­land fer­tig­ge­stellt hat.
Sehr son­der­bar ist auch, daß kein ein­zi­ges Buch von Fried­rich Georg Jün­ger jemals voll­stän­dig ins Fran­zö­si­sche über­setzt wor­den ist. In Anbe­tracht all sei­ner Bezie­hun­gen zu Ver­le­ger­krei­sen hät­te Ernst Jün­ger mei­nes Erach­tens ohne wei­te­res dafür sor­gen kön­nen, daß eini­ge Wer­ke sei­nes Bru­ders in Frank­reich ver­öf­fent­licht wer­den. Wenn ich mich nicht irre, hat er sich nie­mals dar­um bemüht. Ich habe mich schon oft gefragt, war­um nicht.
In die­sem Jahr wäre Ernst Jün­ger 113 gewor­den. „Die stil­len Revo­lu­tio­nen sind die wirk­sams­ten”, hat er gesagt. In die­ser Stil­le muß man ihn lesen.

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