Noch mehr Schwedisches

Angeregt von meinen letzten beiden Beiträgen über Schweden, schreibt mir eine aufmerksame Leserin, die lange Zeit in diesem Land gelebt hat.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Ins­be­son­de­re zu mei­nem Kul­tur­schock über das Duzen hat sie eini­ges Ergän­zen­de und Inter­es­san­te zu sagen, das ich hier mit ihrer Erlaub­nis zitie­ren möchte.

Wie bei allem, ist es nicht ganz so ein­fach. War­um? Die lan­ge Geschich­te von Schwe­den ist eine Geschich­te der Fischer, Wald­ar­bei­ter, Bau­ern, viel län­ger als ande­re euro­päi­sche Staa­ten wie Hol­land, Öster­reich, Deutsch­land, Eng­land, Frank­reich. “Ver­be­am­tet” wur­de Schwe­den durch die Deut­schen: Die sog. Säch­si­sche Kanz­lei­spra­che wur­de dem Schwe­di­schen vor Hun­der­ten von Jah­ren sozu­sa­gen auf­ge­pfropft. Bis dahin war Schwe­disch intakt, intim, iso­liert. Ohne “Sie”, ohne “Her­re”, “Frö­ken”. Die Schwe­den haben sich das Rechts- und Sprach­sys­tem der Deut­schen gern gefal­len las­sen, kam es doch ihrem Ver­ständ­nis von Ord­nung (“tings­rätt”) sehr entgegen.

Zu Ihrer Vermutung/Behauptung, dass mit dem ‘Du’ die Distanz auf­ge­ho­ben wird. Im Gegen­teil: Damit wird Nähe/Ferne, das Spiel zwi­schen Sym- und Empa­thie, auf einen Sta­tus, der sich in Schwe­den mit dem Wort “lagom” eta­bliert, buch­stäb­lich ein­ge­fro­ren. Die­ses Wort bedeu­tet eigent­lich “nicht mehr und nicht weni­ger” und ist der Lebens­stil/-sinn der Schwe­den schlecht­hin. Man könn­te auch sagen, “die Mit­te”, was an die poli­ti­sche Ent­wick­lung in Deutsch­land erin­nert. In Deutsch­land denkt man hier an das eher nega­ti­ve Wort “mit­tel­mä­ßig”, das “weder gut noch schlecht” meint, aber mit dem Akzent nicht auf “mit­tel-”, son­dern auf “-mäßig”.

Als in Schwe­den das “Du” wie­der­ein­ge­führt wur­de, griff man sozu­sa­gen auf eine alte Kul­tur und Natur der Schwe­den zurück. Des­halb funk­tio­nier­te es so rasch, aus­schließ­lich; per­fekt. Das per­fek­te Funk­tio­nie­ren gab es übri­gens auch noch im Ver­kehrs­be­reich: Von einem zum ande­ren Tag wur­de in Schwe­den der Links- auf den Rechts­ver­kehr umgestellt.

Dar­an anschlie­ßend über die Staats­gläu­big­keit der Schweden:

Die Fra­ge ist, war­um Schwe­den so per­fekt funk­tio­niert. Ich ver­mu­te, dass es dar­in begrün­det ist, dass die Schwe­den seit dem Reich­tum über den Schwe­den­s­tahl (Kano­nen für alle Krieg­teil­neh­mer, also neu­tral) nur noch Vor­tei­le vom Staat erfah­ren haben. Am Anfang des 19. Jahr­hun­derts herrsch­te noch die bit­ters­te Armut, so dass eine Mil­li­on Schwe­den nach Ame­ri­ka auswanderten.

Eine unge­wöhn­li­che Per­spek­ti­ve auf den skan­di­na­vi­schen Feminismus:

In den Rand­staa­ten im Nor­den leb­ten die Wikin­ger.  Die Män­ner waren stän­dig auf der Fahrt, mehr oder weni­ger in den Krieg…  Zurück blie­ben Frau­en und Kin­der. Die Frau­en hiel­ten stand, erle­dig­ten alle Auf­ga­ben: sie waren die Her­rin­nen des Hau­ses, der Stadt, des Lan­des. Von daher ent­wi­ckel­te sich die Haus­macht der Frau, von daher ent­wi­ckel­te sich ohne Auf­se­hen der star­ke Femi­nis­mus in Skan­di­na­vi­en, noch beein­dru­cken­der in Nor­we­gen. Die Frau, sie hat das Sagen im Haus, der Mann aber hat das Sagen in der Ferne/Fremde.

Und über die krie­ge­ri­sche Ver­gan­gen­heit Schwe­dens, die im Kon­trast zu sei­ner heu­ti­gen Fried­fer­tig­keit steht:

Schwe­den ist nun seit mehr als zwei­hun­dert Jah­ren die fried­lichs­te Nati­on in Euro­pa. Erobe­run­gen in Deutsch­land (Rügen, Stral­sund) haben sie auf­ge­ge­ben, einen gan­zen Staat, Nor­we­gen, haben sie in die Frei­heit ent­las­sen. Das ist unge­wöhn­lich für eine Groß-Macht, die Schwe­den nun ein­mal war und die einen ver­hee­ren­den, den 30jährigen Krieg über das Gebiet des Deut­schen Rei­ches gebracht hat. Fazit: Schon damals muss­te Deutsch­land Repa­ra­tio­nen bezah­len, in Gold, und das Raub­gut kann man noch heu­te in vie­len schwe­di­schen Muse­en, mehr noch in schwe­di­schen Dorf­kir­chen bewundern.

Bild: Carl Lars­son (1853–1919)

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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